Der Misthaufen vor dem Hause und das erstickende Aroma des Abtritts

  09.08.2020 Fricktal

Die Cholera im 19. Jahrhundert – Parallelen zur heutigen COVID-Pandemie

Werner Rothweiler

Europa wurde im 19. Jh. von drei Choleraepidemien heimgesucht. Jene von 1854/55 hat in unserer Nachbarschaft die Region Basel heimgesucht. In den beiden Halbkantonen Basel-Stadt und Baselland starben rund 400 Menschen. 1854 hatte der Londoner Arzt John Snow den Nachweis erbracht, dass der Ausbruch der Cholera im Stadtteil Soho auf verunreinigtes Trinkwasser zurückzuführen war. Der Krankheitserreger wurde allerdings erst 1883 von Robert Koch entdeckt. Basel erlebte im 19. Jh. ein enormes Bevölkerungswachstum, u. a. wegen der Industrialisierung. Die bestehenden Quartiere wurden intensiv und planlos «verdichtet», Hinterhöfe wurden überbaut zu schlecht durchlüfteten dunklen Löchern. Die Wasserversorgung und die Ableitung der Abwässer waren dem Bevölkerungswachstum nicht mehr gewachsen. Der offene Birsig war eine stinkende Kloake, in die man die häuslichen Abwässer einleitete und den Abfall entsorgte. Zunächst war man sich uneinig darüber, wie man Snows Theorie einordnen sollte. Das mag mit ein Grund gewesen, weshalb die Regierung nur zögerlich handelte. 1860 begann die Stadterweiterung mit der Entfernung der Stadtmauer. Um die Stadt vom Seuchenherd des offenen Birsig zu befreien, brauchte es aber erst noch die Typhusepidemie von 1865/66, an der 3500 Basler erkrankten und 450 starben. Ein erstes Projekt zur Überdeckung des Birsig scheiterte 1876 am Referendum. Erst 1885 fand die Korrektion des Birsig und seine Überdeckung zwischen Schifflände und Barfüsserplatz die Billigung des Souveräns. Sie wurde 1900 abgeschlossen. Fünfzig Jahre später, 1948-50 folgte dann die zweite Hälfte vom Barfüsserplatz bis zur Heuwaage.

Rheinfelden, nicht weit von Basel und Liestal entfernt, pflegte mit beiden Städten lebhafte Handelsbeziehungen. Die Einstellung der Bevölkerung gegenüber behördlichen Anordnungen in der Cholera-Zeit war nicht viel anders als heute im Kampf gegen das Corona-Virus. Der charismatische und sehr beliebte Stadtpfarrer und Bezirkslehrer Karl Schröter, damals 29 Jahre alt, fühlte sich verpflichtet, den Rheinfelder Behörden den Rücken zu stärken und seinen Schäf lein den richtigen Weg zu weisen. So jedenfalls ist der folgende Beitrag auf der Titelseite der «Frickthaler-Zeitung» vom 26. September 1855 zu verstehen.

Etwas aus der alten Zeit
Von Karl Schröter, Stadtpfarrer u. Bezirkslehrer, in der «Frickthaler-Zeitung», 26. Sept. 1855.

Die Massregeln, welche der Gemeinderat von Rheinfelden zur Abwehr der Cholera und zur Fürsorge bei allfälligem Erscheinen derselben getroffen, haben, wie es gewöhnlich geschieht, nicht den allgemeinen Beifall erhalten. Namentlich können sich gewisse Leute nicht von der Unreinlichkeit trennen, glauben, der Misthaufen vor dem Hause stehe demselben wohl an und wenn ein erstickendes Aroma aus dem Abtritt das ganze Haus verpeste, so gehöre dies zur natürlichen Eigentümlichkeit eines sogenannten Landstädtchens. Dazu brüsten sich solche mit der leichten Entschuldigung: Wir haben die Cholera noch nicht, wozu diese unnützen Vorkehrungen! Es mag darum am Platze sein, aus der alten Zeit, auf deren historische Rechte sich diese Menschen stellen wollen, einige Notizen anzuführen, welche beweisen, dass unsere Heimat schon oftmals von derartigen Seuchen heimgesucht wurde, und dass die damaligen Behörden dieselben Massregeln ergriffen, welche heutzutage ergriffen werden.

Bekannt sind uns nach den Erzählungen der Chronisten die Verheerungen, welche die Pest in den frühern Zeiten in dem benachbarten Basel anrichtete. Dieselbe hat nun jedes Mal auch in unserer Heimat gewütet. So haben wir urkundliche Notizen von einer Pest in Rheinfelden v.J. 1349. Veranlassung gab diese Pest zur Gründung der Flaggellanten- oder Geisslerbruderschaft in Laufenburg, welche einige Jahrhunderte bestand und durch Geisselung und Kasteiung den Zorn Gottes abzuwenden suchte. Weitere Nachrichten von Pestkrankheiten im Fricktal haben wir vom Jahr 1432, wo in Basel täglich hundert Personen starben, dann von den Jahren 1541, 1552, 1564, 1582, 1611, 1629, und 1667. Vom Jahr 1541 erzählt der Basler Chronist Wurstisen, dass in Rheinfelden 700 Personen an der Pest gestorben seien und das Laufenburger Stadtbuch sagt: «Im Jahr 1541 was ain grosser Sterbent, dass hie bis in die 400 Menschen sturbent.» – Im Jahr 1611 starb in Schupfart, dieser hohen und gesund gelegenen Gemeinde, die Hälfte der Einwohnerschaft; in Rheinfelden ein Viertel; von anderen Gemeinden fehlen die Notizen. Dies beweist, dass die Seuchen in früheren Zeiten auch unsere heimatliche Gegend besucht haben und dass dieselben ebenso gut auch jetzt einen kleinen Abstecher von Basel oder Liestal zu uns machen könnten.

Was hat man in jener Zeit getan?
Darüber haben wir bloss von den Pestjahren 1582, 1611 und 1667 nähere Nachrichten. In den meisten anderen Fällen finden wir bloss allgemeine Sittenmandate, Gebote zu Bittgängen, Enthaltsamkeit von Lustbarkeiten u.s.w. Im Jahr 1582 erliess die Herrschaft Rheinfelden an die Vögte der Landschaften ein Kreisschreiben, worin verboten wird, dass Keiner, ausser Arzt und Abwart, mit Pestkranken Umgang habe, weil es sich erzeigt habe, dass ein einziger Ekel die Ansteckung bewirke; auch wird auf «besundere Säuberlichkeit» gedrungen. Dasselbe gebot der berühmte Basler Arzt Felix Platter, der im Jahr 1611 nach Rheinfelden zu Hülfe gerufen wurde, nachdem die Pest die beiden daselbst wohnenden Ärzte weggerafft hatte. Namentlich wurde in den Häusern und im «Kapuzinerkloster» Reinlichkeit anbefohlen. Ausführlicher ist das «Mandat über die Sterbleuff vom Jahr 1667.» Darin wird geboten:
1. Es sollen die Kranken in das Siechenhaus in der Kloos gebracht werden.
2. Kein Pestkranker soll vor einem Monat nach seiner Genesung mit den Einwohnern in Berührung kommen.
3. Der Besuch von Orten, in welchen die Pest herrscht, namentlich von Basel, ist, dringende Geschäfte vorbehalten, untersagt.
4. Die «unnützen» Personen, welche in der Stadt sind, sollen dieselbe räumen.
5. In den Gassen, in der Kirche, Schule und wo Leute zusammenkommen, sollen Räucherungen mit «Reckholder» stattfinden.
6. Der Unrat soll von den Gassen weggeschafft und dieselben fleissig gesäubert werden. Kein «Wischet» (Unrat) von Stuben und Gassen soll vor oder hinter das Haus, sondern in den fliessenden Bach oder in den Rhein geworfen werden.
7. Den Wirten in den Zünften und Wirtshäusern ist verboten den Gästen über Gebühr zu trinken und zu Essen zu geben; daher das Zutrinken, festliche Hochzeiten und Schmausereien nicht erlaubt sind u.s.w.

So geboten in Notzeiten unsere alten Behörden! Mögen darum unsere Mitbürger, welche sich über «Neuerungen» beschweren und mit ihrem historischen Recht trotzen, bedenken, dass schon unseren Voreltern die Gesundheit und das Leben teurer war, als ein – Dunghaufen vor dem Hause.


Image Title

1/10

Möchten Sie weiterlesen?

Ja. Ich bin Abonnent.

Haben Sie noch kein Konto? Registrieren Sie sich hier

Ja. Ich benötige ein Abo.

Abo Angebote