Mobilität als Geschenk
23.03.2020 RheinfeldenVon der Gründung an war Thomas Isenring für den Behindertenfahrdienst Rheinfelden als Fahrer im Einsatz. Um die 42000 Kilometer geschenkter Mobilität für viele Betagte und Menschen mit einem Handicap aus dem Fricktal gehen also auf sein Konto.
Birke Luu
In seinen vier Wänden wie eingesperrt zu sein, sich nicht frei überall hin bewegen zu können, das ist in diesen Tagen für viele Menschen neue Realität. Allerdings wird dies in einiger Zeit wieder vorbei sein und die gewohnte Mobilität und Freiheit werden wieder zurückkehren. Für manche Menschen jedoch, beispielsweise Behinderte oder Betagte, ist diese Situation dauerhaft. Wer schlecht zu Fuss ist oder im Rollstuhl sitzt und die öffentlichen Verkehrsmittel nicht benützen kann, da er von Tür zu Tür gebracht werden muss, ist stark eingeschränkt. Um notwendige Arztbesuche und Reha-Aufenthalte oder auch mal den Besuch der Enkel oder eines Familienfestes zu ermöglichen, gibt es seit 1981 den Behindertenfahrdienst Rheinfelden. Dabei handelt es sich um eine Stiftung, die mit ihren rollstuhlgängigen Kleinbussen einen Tür-zu-Tür-Service anbietet. Ehrenamtliche Fahrer bilden dabei das Fundament dieses Angebots.
Wochenenden bevorzugt
Von Beginn an dabei war Thomas Isenring. Er kannte die Mehrheit der ersten Stiftungsratsmitglieder, die alle Bekannte aus dem Augarten waren und ihn gleich als Chauffeur rekrutierten. Der heute 77-Jährige gab seine Fahreinsätze erst Ende 2018 altersbedingt auf. «Mit 75 Jahren soll man als Fahrer auf hören. Das finde ich eine gute Lösung, obwohl es nach all den Jahren natürlich zunächst für mich eine Umstellung war», erzählt der Rheinfelder. Während 37 Jahren gab es selten mal einen ganzen Monat, in dem er nicht als freiwilliger Fahrer unterwegs war. Bis zur Pensionierung einmal monatlich, danach auch häufiger, stellte er seine Freizeit in den Dienst derer, die ohne ihn nicht mobil sein konnten. Wie die anderen Fahrer hatte auch er bevorzugte Einsatztage. «Ich meldete mich immer für den Wochenenddienst, denn dann gab es oft längere Fahrten», schmunzelt Thomas Isenring.
Lieber als diverse kurze Fahrten in und um Rheinfelden hatte er die weiteren Fahrten bis hin in den Jura, ins Bündnerland oder ins Berner Oberland. «Ich habe die Leute zur Reha und Erholung in die ganze Schweiz gefahren und zudem oft ältere Menschen über Ostern oder Weihnachten zu ihren Familien heimgebracht.» Dabei habe er selbst auch seinen Plausch gehabt, denn: «Ich bin immer gerne Auto gefahren und fand es interessant, wie es woanders aussieht. Zusätzlich habe ich dann auch noch denen geholfen, die nicht mehr so f lexibel waren und ihnen damit eine grosse Freude gemacht».
Auf diese längeren Fahrten sei teils auch seine Frau mitgekommen, da eine der Fahrtrichtungen ja zumeist eine Leerfahrt gewesen sei. Einzelne Male hätten sie diese auch noch mit einem Verwandtenbesuch verbinden können, so dass die Fahrt sowohl seinem Kunden als auch ihm selbst etwas gebracht hätte.
Erlebnisse und Geschichten
Und sein schönstes Erlebnis in all den Jahren? Das war wohl eine Fahrt nach Magglingen am Bielersee, wohin er einen 18-jährigen behinderten jungen Mann samt Familie in einen Ferienaufenthalt gebracht hatte und anschliessend noch dort wandern gegangen war. Meistens jedoch sei ihm keine Zeit für Privates geblieben und er hätte gleich wieder zurück nach Rheinfelden fahren müssen. Ein anderes besonders schönes Erlebnis fällt Thomas Isenring später noch ein. «Ich habe einen alten Bekannten zu einem Geburtstagsfest nach Maisprach gebracht. Um Mitternacht sollte ich ihn wieder abholen, aber er hat mich einfach eingeladen noch mitzufeiern, und so wurde es tatsächlich halb drei bis wir dann zu Hause ankamen. Es war ein toller Abend mit mehreren Bekannten, das bleibt mir für immer», erinnert er sich.
Auch von einer älteren Frau weiss er zu berichten, die er nach Obermumpf zu ihren Kindern gefahren hatte und dabei auf deren Wegbeschreibung angewiesen war. Leider hatte die Dame immer erst nach der relevanten Abzweigung angemerkt, dass er schon wieder an der richtigen Strasse vorbeigefahren wäre. So etwas nahm er gelassen, blieb ruhig – «kein Problem, dann wende ich einfach» – und hatte auch immer Geduld mit seinen Kunden, die beim Ein- und Aussteigen natürlich nicht die Schnellsten waren. Doch seine Fahrt und Verantwortung endete für ihn nicht rein am geografischen Ziel, nein, es war ihm wichtig, dass seine Kunden wirklich gut dort ankamen, wohin sie mussten. So schaute er, dass eine junge Mutter, deren Baby kurz nach der Geburt per Helikopter ins Unispital Zürich gebracht worden war, dann von ihm auch anschliessend nicht nur zum Haupteingang des Spitals, sondern genau zum richtigen der zahlreichen Gebäude und Eingänge gebracht worden war. Sicher in diesem Moment ein unbezahlbarer Dienst für die junge Mutter, jedoch eine Selbstverständlichkeit für Thomas Isenring. Wenn alle Fahrer so sind wie er, dann wird klar, warum Reklamationen der Kunden recht selten sind.
Von der Karte zum Navi
Über seine Einsatzjahre haben sich zwar die Kunden, die anderen Fahrer sowie die Stiftungsratsmitglieder geändert und auch modernere Fahrzeuge mit bequemerer Ein- und Ausstiegstechnik wurden besorgt, aber die wohl einschneidendste Änderung war das Auf kommen des GPS. «Früher musste man vor Fahrtantritt noch mühsam die Karten studieren, da war man froh, wenn die Leute selbst wussten, wo sie hinmussten». Das Navi sei da schon eine grosse Erleichterung gewesen – auch wenn es nicht immer recht gehabt hätte und er dann doch wieder auf das lokale Wissen seiner Kunden angewiesen gewesen sei, wie er schmunzelnd berichtet.
Alles in allem sei er in den vielen Jahren ohne Unfälle oder grössere Blechschäden geblieben und hätte viel Freude am Chauffieren seiner Kunden gehabt, resümiert Thomas Isenring. Er macht aus seinem Engagement keine grosse Sache. Dennoch, es ist und bleibt eine Tatsache, dass er mit zahlreichen Stunden und vielen Kilometern Einsatz so manch einem Menschen ein unschätzbares Geschenk gemacht hat, nämlich das der Mobilität und Freiheit, des Ausbruchs aus den eigenen vier Wänden.