Wo es sich in jedem Alter gut lebt
05.05.2019 WölflinswilBettina Müller (21) und Martina Herzog (26) führen uns heute durch Wölflinswil. Der Spaziergang im Rahmen unserer Serie «Unterwägs dehei» führt vom Dorfplatz aus zu Stationen, die den beiden jungen Frauen früher wichtig waren und es heute noch sind. Denn in Wölflinswil, so sagen sie, lebt es sich in jedem Alter gut. Warum das so ist und wie sie es mit dem Nachbar Oberhof halten, lesen Sie auf den nächsten Seiten.
«In Wölflinswil ist fast jede Person in einem Verein»
Ein Frühlings-Spaziergang am Fusse des Benkerjochs
Bettina Müller (21) und Martina Herzog (26) haben sich vor sechs Jahren im Damenturnverein kennengelernt. Bettina ist in Wölflinswil aufgewachsen, Martina von Oberhof zugezogen. Beide haben vor, in Wölflinswil zu bleiben.
Simone Rufli
Es ist Frühling im Benkental. Das Thermometer erreicht schon beinahe sommerliche Werte. Im Landgasthof Ochsen sitzen die Gäste draussen unter Sonnenschirmen und in den Gärten wird gearbeitet. In unregelmässigen Abständen brummt eine Kolonne Motorräder durch die S-Kurve beim Dorfplatz. Dann ist es wieder ruhig im Dorf in der Mitte zwischen Frick und Aarau. Der Dorfplatz; er bildet das Zentrum von Wölflinswil. Hier treffe ich meine beiden Begleiterinnen für den heutigen Spaziergang. Bettina Müller, 21, Fachfrau Operationstechnik im ersten Ausbildungsjahr – «ich habe zuerst die Matur gemacht, dann ein Zwischenjahr auf einem Hof und mich danach für diese Lehre im Gesundheitszentrum in Rheinfelden entschieden» – und Martina Herzog, 26, Anwältin. «Ich arbeite zurzeit an meiner Doktorarbeit im Bereich Wirtschaftsrecht.»
Der Dorfplatz sei völlig zu Recht das Zentrum, finden die beiden. «Hier ist viel los. Hier findet zum Beispiel der Herbstmärt statt und jeweils im Mai das traditionelle ‹Eierlesen›.» Bettina lacht, deutet auf den Brunnen in der Mitte. «Nachdem man dreimal von einer der Sagengestalten erwischt und mit Farbe markiert worden ist, wird man in den Brunnen geworfen.» «Ist dir das denn schon mal passiert?», will Martina wissen. Bettina nickt und die beiden setzen sich auf den Rand des zweiten Brunnes. Wir machen ein Foto während Bettina in Erinnerungen an schneereiche Winter versinkt. Sie deutet hinter sich zum Rank, wo sie mit ihrer Familie wohnt. «Den Rank sind wir früher von ganz oben hinuntergeschlittelt. Unterwegs haben wir versucht, die anderen durch ‹Butschen› abzudrängen.» Der Rank ist ganz schön steil. Wir halten weiter rechts und biegen dann in den Fussweg hinauf zur Kirche ein.
Mit der Feuerwehr auf dem Spielplatz
Oben angekommen steuern wir aufs Stöckli zu. «Hier war früher der Kindergarten untergebracht.» Die beiden Frauen stehen am Zaun zum Spielplatz. «Hier sind wir heute noch oft», sagen sie und erklären sich umgehend. «Wir sind beide in der Feuerwehr. Der Spielplatz dient immer wieder als Übungsgelände. Hier machen wir dann einen Parcours.» Bettina deutet auf die am Boden liegende Betonröhre. «Nicht ganz einfach, mit Atemschutzmaske und Flasche auf dem Rücken da durchzukriechen.» Martinas Ausrüstung ist ein bisschen angenehmer, sie kümmert sich im Ernstfall um den Verkehr. «Wir sind beide ganz schön aktiv im Dorf», stellt sie fest und zählt auf: «Damenturnverein, Feuerwehr, Jugi.» Früher selber aktiv in der Jugi, sind sie heute Jugi-Leiterinnen. Martina kümmert sich um die 2. und 3. Klässler «da sind Buben und Mädchen noch gemischt», Bettina um die älteren Mädchen.
Wir spazieren den Steindler entlang und biegen in den Holdenweg ein. Unser Blick fällt an den gegenüberliegenden Hang. «Das Dorf ist ganz schön gewachsen», sagen die beiden Frauen mit Blick auf die zahlreichen Neubauten. «Im Gegensatz zu Oberhof, wo die meisten in Einfamilienhäusern leben, hat es hier ein gutes Angebot an Mietwohnungen», weiss Martina. Sie wohnt selber zur Miete. Die Wohnungssuche war kein Problem. «Man kennt sich und hilft sich», sagt die 26-Jährige und es klingt zufrieden. Wölflinswil, Oberhof – hilft man sich bei allem so, wie bei der Wohnungssuche? «Ja. Es ist wirklich so. Die Vereine helfen sich bei grossen Anlässen, die Feuerwehr ist ganz zusammen, kulturelle Anlässe finden gemeinsam statt. Wir haben eine gemeinsame Kulturkommission, eine gemeinsame Musikgesellschaft, eine gemeinsame Dorfchronik, eine gemeinsame Wohnbaugenossenschaft und im Juni findet wieder die gemeinsame Natur- und Kulturwoche statt.» Könnte man – bei so viel Gemeinsamkeit und gegenseitiger Hilfsbereitschaft – nicht die beiden Gemeinden zusammenschliessen? Die beiden fahren herum: «Ganz sicher nicht!», sagen sie so laut, dass es vermutlich noch in Oberhof zu hören ist. Schnell wechseln wir das Thema. Landen beim Vereinsleben – ein unverfängliches Thema. «Wer sich in einem Verein engagiert, findet ganz schnell Anschluss – auch als Zugezogener.» Die beiden wenden sich einander zu: «Eigentlich ist in Wölflinswil fast jede Person in einem Verein», sie lachen und wir erreichen die Mühlmet.
Vor uns steht eine ganze Reihe Lastwagen der Firma Herzog Transporte AG. Martina lächelt, nickt und sagt: «Mein Vater ist ein Wölflinswiler, seinem Cousin gehört die Firma». Wir lassen die Lastwagen links stehen, spazieren weiter. «Es ist schön, dass um halb eins in der Nacht die Strassenlaternen gelöscht werden und es im Dorf richtig dunkel ist.» Die Natur ist beiden wichtig. In einer Stadt leben, wollen sie nicht. Wie auch mit diesen Tieren? «Mich sieht man entweder durch die Gegend reiten oder mit einem Esel im Schlepptau», sagt Bettina und lacht.
Wir biegen nach wenigen Metern ein in die Huebmet. Dem Sportplatz entlang führt uns der Weg zu Schulhaus und Turnhalle. Der Sportplatz – für meine beiden Begleiterinnen ist das so etwas wie die Erweiterung ihres Wohnzimmers. «Hier sind wir so oft mit der Jugi und dem Damenturnverein.» Das Foto ist gemacht, wir ziehen weiter, umrunden den Sportplatz und werfen einen Blick in die Badi. Noch ist sie geschlossen.
Ein wunderbarer Luxus
«Eigentlich ein Luxus für so ein kleines Dorf», sagt Bettina. Im gleichen Atemzug fügt sie hinzu: «aber toll, dass es sie gibt. Früher haben wir hier oft Wasserball gespielt. Heute erleben wir die Badi etwas anders. Wenn es heiss ist, kommen die Kinder direkt und ‹pflotschnass› aus der Badi in die Jugi.» «Am liebsten noch mit einer Glacé in der Hand», ergänzt Martina lachend. Im Übrigen bleibt die Badi ein Ort, wo man sich gerne trifft – «nicht nur zum Baden» – sind sich die beiden einig.
Wir spazieren weiter durch die Mühligass zurück in Richtung Dorfplatz. Links fliesst gemächlich der Dorfbach nebenher. «Mein Schulweg», bemerkt Bettina. «Früher war das ein Kiesweg. Da konnte ich mich verweilen, bis die Brüder mich zum Mittagessen holten», sie lacht. Wir stehen an der Stelle, wo der Bach aus unserem Blickfeld verschwindet, überdeckt vom Dorfplatz. Ein Anblick, der auch bei Martina Erinnerungen weckt – schmerzhafte allerdings: «Mein Bruder liebte es, in gebückter Haltung im Bachbett unter den Brücken durch zu laufen. Dabei kam er immer wieder oben an der Tunnelwand an und schürfte sich den Rücken auf.»
Wir sind zurück am Ausgangspunkt, stehen wieder auf dem Dorfplatz. Dass die Raiffeisenbank ihren Schalter unlängst geschlossen hat, stört die beiden nicht. «Es ist doch wichtiger, dass wir den Volg im Dorf haben, die Landi und den Beerenhof», finden sie und Martina fügt hinzu: «Hätte ich von hier weg gewollt, hätte ich das schon längst gemacht. Ich bin auch hier wohnen geblieben, als ich an der Universität in Bern studiert habe. Bern ist schön, aber an einem anderen Ort zu wohnen, kam für mich schon damals nicht in Frage.»