Dürfen gar nicht alle mitreden beim Tiefenlager?
01.03.2019 RheinfeldenHeinz Oftinger aus Bözen fordert eine bessere Einbindung der Basis
Wir seien gedankenlos ins atomare Zeitalter gestolpert und hätten viel dazugelernt. Die Bevölkerung sei mündig, sie wolle informiert werden und bei der Suche nach einem Tiefenlager für atomare Abfälle mitreden. Die NFZ unterhielt sich mit einem, der gerne mitreden würde.
Interview Simone Rufli
NFZ: Mitte Februar wurde der Gemeinde Effingen mitgeteilt, dass die Genossenschaft zur Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) vom UVEK die Bewilligung für eine Sondierbohrung am Standort Effingen erhalten hat. Im Verlauf dieses Jahres wird es in Effingen also zu Sondierbohrungen kommen. Wir befinden uns nun in Phase 3 im Sachplan Geologische Tiefenlager. Sie sagen, der Sachplan an sich sei mustergültig abgefasst. Im Prinzip garantiere er ein demokratisches Verfahren auf der Suche nach dem sichersten Standort für ein Tiefenlager. Und doch stehen Sie einigem kritisch gegenüber. Weshalb?
Heinz Oftinger: Weil die Umsetzung in manchen Bereichen nicht den Vorgaben entspricht. Gemäss Sachplan sollte ein effektiver Austausch aller Interessensgruppen in der Bevölkerung stattfinden. Stattdessen beobachten wir, dass sich die Entscheidungsträger von der Bevölkerung entfernen. Dass die Bevölkerung mitreden will, zeigt sich zum Beispiel an der zunehmenden Beteiligung der Bevölkerung an den Vernehmlassungsverfahren: Bei Phase 2 waren es zirka 1500. Darunter viele Leute aus Deutschland.
Vom Sachplan her wären die Mitwirkungsmöglichkeiten also gegeben. Sie haben aber die Erfahrung gemacht, dass nicht alle, die mitwirken möchten, mitwirken können...
Das ist richtig. Unser Verein «Attraktiver Standort Bözberg-West» (ASB), seit Beginn in der Sache aktiv, und ich selbst wurden in Phase 1 und 2 nicht zugelassen. Mit der Begründung, «Kontingent erschöpft» und «das falsche Demokratieverständnis». Wenn man von oben herab die Leute auswählt, die in der Regionalkonferenz mitwirken dürfen und sich gegenüber Gruppierungen oder einzelnen Bürgern verschliesst, die sich im Dienst der Sache engagieren wollen, dann ist das eher eine Scheindemokratie. In einer echten Demokratie dürfen alle Einwohner mitreden, die Volksvertreter sind unabhängig, sie kennen die Volksmeinung und vertreten diese auch.
Haben Sie denn das Gefühl, dass die involvierten Verwaltungen, Behörden und Institutionen auf den Ebenen Bund, Kanton, Gemeinden und Regionalkonferenz die Meinung der Basis gar nicht kennen wollen?
Es ist nicht überall gleich. Im Kanton Zürich klappt vieles hervorragend. Dort werden die Einwohner im Dialog auf dem Laufenden gehalten. Die Gemeinden suchen aktiv den Kontakt mit ihren Einwohnern und gestalten ergänzende Info- und Diskussionsanlässe mit der Bevölkerung. Wie es eigentlich Aufgabe einer Gemeinde wäre. Bei uns im Aargau vermisse ich dieses Engagement. Demokratie funktioniert nur mit informierten Bürgern. Und das braucht den Willen und die Kultur dazu, sowie Zeit und Geduld.
Ende Januar organisierte das Bundesamt für Energie (BFE) in Laufenburg einen Infoanlass, für den sich nicht übermässig viele Leute interessierten. Mit Ermüdungserscheinungen an der Basis habe das nichts zu tun, sagt Heinz Oftinger.
Warum bleiben die Leute solchen Anlässen denn fern?
Heinz Oftinger: Weil sie sich nicht mehr angesprochen fühlen. Wenn man die Leute abholt und sie informiert und einbezieht, dann entwickelt sich eine Dynamik. Man muss mit der Problemstellung im Alltag der Menschen präsent sein. Zum Beispiel an Messen, Ausstellungen, Ausbildungen. Es braucht Lehr- und Instruktionsmaterial wie Broschüren, Modelle, 3D-Grafiken. Die Nagra macht das sehr gut. Sie geht eigentlich als einzige Institution vorbildlich vor. Dort, wo alle dazugehören, passend informiert sind und ernst genommen werden, bildet sich eine entsprechende Kultur. Mit der Wirkung, dass auch qualifizierte, für die Allgemeinheit engagierte Personen Ämter und Funktionen motiviert übernehmen. Das ist genau wie im Wirtschaftsleben: Unternehmungen, die Wertschätzung praktizieren und sich gemeinsam für ihre Kunden einsetzen, haben Erfolg. Daran erfreuen sich dann alle und so nebenbei ist die Unternehmung attraktiv für Mitarbeitende bzw. Fachkräfte. Ich habe solche positiven Erfahrungen selber gemacht nach einem Besuch mit Vorträgen und Besichtigung im Felsenlabor. Der Tenor bei den Besuchern war: „Jetzt sehe und verstehe ich, worum es wirklich geht!»
Sie treten ganz entschieden dafür ein, dass die Abfälle am sichersten Ort gelagert werden sollen. Sie bezweifeln, dass sich in der Schweiz der passende Ort dazu findet. Die Schweiz ist aber per Gesetz dazu verpflichtet, ihren atomaren Abfall im eigenen Land zu entsorgen...
Man kann ein Gesetz ändern. Ich denke, die Erkenntnis, dass viele Probleme global gelöst werden müssen, nimmt zu, seit die Welt auch digital immer näher zusammenwächst. 99 Prozent der radioaktiven Abfälle entstehen ausserhalb der Schweiz.
Sie verbinden mit dem lange dauernden Sachplanverfahren die Hoffnung, dass die Schweizer Bevölkerung sich künftig mehr Gedanken macht in Sachen Zukunftstechnologien und deren Auswirkungen. Dient die Suche nach einem Tiefenlager also zumindest auch als bewusstseinsverändernder Prozess?
Das scheint tatsächlich der Fall zu sein. Das Verfahren regt die Leute zum Nachdenken an. Unsere Langzeitumfrage zeigt ein Umdenken der Bevölkerung. Sprachen sich die meisten früher aus für «entsorgen... in den Weltraum schiessen zur Sonne...» so rückt nun immer mehr ins Zentrum «beste globale Lösung suchen und finden» sowie «mehr ‹Denken› bei neuen Technologien». Ich will damit sagen, dass wir dazu gelernt haben, seit wir ziemlich gedankenlos ins atomare Zeitalter mit KKW eingestiegen sind. Die Leute denken heute selber mehr mit und wollen handeln.
Und genau da orten Sie ein Problem. Sie sagen, mitdenken und mithandeln ist gar nicht überall erwünscht. Wie zeigt sich das?
Das Bundesamt für Energie (BFE) hat im Sachplanverfahren die Federführung. Das heisst, das BFE müsste die Führungsrolle so interpretieren, dass es Vorgaben macht und die Umsetzung überprüft, gerade bei der Umsetzung der Regionalkonferenzen. Geld ist ja da. Es müsste Kanäle für eine Zwei-Weg-Kommunikation aufbauen, Feedback aus der Bevölkerung einholen, auswerten und umgehend korrigierende Massnahmen treffen Das ist eine neue Rolle, die dem BFE nicht leicht fällt. Es ist nicht damit getan, Aufgaben an die Kantone und Verwaltungen zu delegieren.