Fricktal aufgepasst: In der Pharmaindustrie wachsen die Bäume nicht in den Himmel

  20.01.2019 Fricktal, Wirtschaft

Gastbeitrag von Christoph Wolleb zum Leitartikel vom 28. 9. 2018 «Novartis-Abbau ‹schüttelt› das Fricktal»

Die Wirtschaft brummt, die Schweiz verfügt beinahe über Vollbeschäftigung und Investitionen werden anhaltend getätigt. Jüngste Beispiele mit substanziellem Stellenabbau zeigen jedoch, dass auch in der Pharmaindustrie die Bäume nicht in den Himmel wachsen – mit Konsequenzen auch für das Fricktal.

Das Phänomen ist aber auch für unsere Region nicht neu: Bereits vor 40 Jahren beispielsweise, 1978, stellte Firestone seine Reifenproduktion in Pratteln wegen hohen Produktionskosten und teurem Frankenkurs ein.

Pharmaindustrie am Scheideweg
Die jüngsten Entwicklungen kommen keinesfalls aus heiterem Himmel. Zwar generiert die Life Science Industrie immer noch gute Margen, sie steht jedoch an einem Scheideweg. In einem stark disruptiven Markt, der gekennzeichnet ist durch verändertes Verhalten der Krankenkassen und Versicherungen sowie stärkere Handlungsfähigkeit der Patienten. Weder schrittweise Anpassungen noch permanente Entwicklungen reichen, um den Rückgang der traditionellen Geschäftsmodelle aufzuhalten (vgl. auch KPMG Studie – Pharma outlook 2030: «From evolution to revolution»). Verschiedene Einflussfaktoren untermauern die Nervosität in der Pharmaindustrie:

Kostendruck: Regulierer und Versicherer fordern von Pharmaunternehmen signifikante Preisreduktionen und höheren Nutzen von Therapien. Dieser Druck kommt u.a. ganz stark aus den USA und (noch) nicht so sehr aus der Schweiz.

Individualisierte Medizin: Wie eine Krankheit entsteht oder verläuft, hängt unter anderem von der genetischen Veranlagung des Einzelnen und von Umwelteinflüssen ab. Die individualisierte Medizin erfasst diese Faktoren und leitet hieraus den Weg zu massgeschneiderten Therapien ab. Die Pharmaindustrie richtet demzufolge ihr Fertigungsnetzwerk dem sich verändernden Produktportfolio aus, welches immer weniger hochvolumige Produkte enthält und stärker auf innovative spezialisierte und personalisierte Medikamente setzt.

Wertorientierte Preisgestaltung:
Unternehmen der Pharmaindustrie sind unter dem öffentlichen und politischen Mikroskop mit Forderungen, den Nutzen ihrer Produkte sowie Alternativen für das traditionelle verkaufsgetriebene Marketing aufzuzeigen. Ein mögliches Vergütungsmodell ist die Preisdifferenzierung bezüglich dem Nutzen. Dabei wird das Risiko aufgeteilt zwischen Pharmaunternehmen und Krankenkassen, was die Beteiligten auf die Angemessenheit der Anwendung und das Ergebnis fokussieren soll.

Konvergierende Technologien: Die interdisziplinäre, also fachübergreifende, Zusammenarbeit im Bereich der Nanotechnologie, der Biotechnologie sowie der Informationstechnologie und der Neurowissenschaften (NBIC) stimuliert die Wissenschaft und technische Forschung und erhöht die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit.

Diese Entwicklung führt zu Chancen und Risiken. Die gesteigerte Leistungsfähigkeit bedingt jedoch abermals höhere Investitionen. Das Resultat ist eine Verschiebung in der Investitionsstrategie, weg von traditionelleren Fertigungstechnologien und hin zu neuartigen Fertigungsplattformen. Wir müssen uns also warm anziehen, nicht nur in der Pharmaindustrie. Was bedeutet dies für die Fricktaler Zukunft?

Ein boomender Wirtschaftsmotor ist also kein Selbstläufer. Sich nun aber von der Life Science Industrie abzuwenden wäre falsch; vielmehr müssen die Stärken genutzt und die Rahmenbedingungen weiter verbessert werden. Allerdings muss das Klumpenrisiko auf mehr Unternehmen verteilt werden. Langfristig am stärksten und unabhängigsten von externen Einflüssen macht uns eine diversifizierte Wirtschaft. Nur eine breite Vielfalt an Branchen sowie international erfolgreiche Grossfirmen und KMU mit einem breiten Dienstleistungsangebot sichern uns eine prosperierende Zukunft.

Günstig wirken sich hier auch die Standortvorteile für das Fricktal aus. Mehrere erstklassige Hochschulen in der Umgebung bilden hoch qualifizierte Fachkräfte aus. Die Nähe zu den internationalen Flughäfen Basel und Zürich und zu Deutschland und Frankreich ist ein grosser Vorteil. Der dynamische Cluster ermöglicht Synergien im Bereich Forschung, Entwicklung und Produktion. Konkret heisst dies, dass die gesamte Wertschöpfungskette von der Forschung und Entwicklung bis hin zur Distribution an den Endkunden verbunden werden kann. Dies bedingt die Verzahnung aller Unternehmen (z. B. Pharma, Data Analytics, Logistik, Bau, Infrastruktur) entlang dieser Kette. Denken wir an den zuvor beschriebenen Trend der individualisierten Medizin. Diese basiert unter anderem. auf vielen Daten und auch Wissen. So kann man beispielsweise neue Firmen, wie beispielsweise Startups, die sich stark mit Data Analytics beschäftigen, an diesen Cluster binden. Eine ideale Plattform könnte hier der Life Science Campus im Sisslerfeld bilden. Und der Erfolg gibt recht: Im Gegenzug zum Abbau ist schön zu sehen, dass in der Region auch zukunftsweisende Bereiche neu angesiedelt werden («Novartis investiert in die Herstellung von Zell- und Gentherapien in Stein und will dort bis zu 450 neue Stellen in den kommenden drei Jahren schaffen» – August 2018). Dabei wäre das Fricktal diesbezüglich noch nicht mal Vorreiter. Ähnliche Cluster gibt es bereits andernorts, so z.B. in Polen. Wir tun also gut daran, uns auch mit anderen Wirtschaftsregionen zu vergleichen und zu messen.

Die Unternehmen im Fricktal dürfen auch ruhig mal ihre Strategie auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls anpassen an neue Herausforderungen und sich verändernde Marktbedingungen. Eine Strategieüberprüfung ist nicht nur ein Thema der Grosskonzerne! Dabei werden sich die Unternehmer unbedingt mit der Digitalisierung beschäftigen müssen. Hierzu wurde schon und wird noch viel geschrieben. Deshalb folgt hier kein Exkurs dazu. Fakt ist, dass in Zukunft vermehrt Jobs mit einfachen Tätigkeiten wegfallen und weitestgehend digitalisiert werden. Somit können die Unternehmen auch effizienter werden. Im Gegenzug aber bringt die Digitalisierung der Produktion (Industrie 4.0) auch grosse Vorteile. Fricktaler Unternehmen sollten auf die Digitalisierung setzen, denn diese bringt Wertschöpfung zurück in die Schweiz. Darüber hinaus ermöglicht sie überhaupt das Betreiben der Plattformökonomie (Eco-System), was eben genau den zuvor beschriebenen Verbund aller Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette gewährleistet.

Die digitale Veränderung fordert aber auch die Mitarbeiter. Teilweise neue und andere Qualifikationen sind nötig. Eine gute und fundierte Ausbildung gehört seit jeher zu den Stärken der Schweiz. Damit ist keinesfalls nur die akademische Bildung gemeint, sondern insbesondere auch unser starkes duales Bildungssystem – wofür sich mittlerweile zahlreiche andere Staaten (darunter die USA) interessieren. Das traditionelle Handwerk hat weiterhin seine Wichtigkeit. Allerdings haben sämtliche Berufe digitale Komponenten und daraufhin muss die Ausbildung ausgerichtet werden.

Aktiv und innovativ bleiben
Und noch etwas: Die Schweiz scheint in vielen Belangen zufrieden zu sein mit sich selbst und die Gefahr, dass ein vom Wohlstand genährter Konservatismus sich ausbreitet, ist gross. Innovationskraft, gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen und hohe Qualitätsstandards waren seit jeher wichtige Erfolgsfaktoren der Schweizer Wirtschaft. Wenn wir vergleichen, wie «hungrig» junge Menschen in Osteuropa und insbesondere Asien sind, dann können wir hierzulande teilweise leider einen Abstand feststellen. Auch das Fricktal tut gut daran, sich selbst ein Bild im Ausland zu verschaffen. Der beste Weg dazu ist einmal für ein paar Jahre selbst im Ausland zu arbeiten. Früher gingen viele Berufsleute auf ihre Lehr- und Wanderjahre und haben ihre unschätzbaren Erfahrungen zurück gebracht. Dies sollten wir weiterhin tun!

Vielleicht war der jüngste Stellenabbau ein Weckruf? Das Fricktal hat alle Chancen und Voraussetzungen auch zukünftig ein prosperierendes Fricktal-Valley zu sein!


Portrait Christoph Wolleb

Christoph Wolleb (1961) ist in Möhlin aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er ist verheiratet und wohnt heute in Embrach (ZH). Nach seinen Lehren als Maschinenmechaniker und Kaufmann hat er an der Fachhochschule Betriebswirtschaft studiert. Seine beruflichen Tätigkeiten führten ihn über die Swissair (16 Jahre), die Sulzer Infra, BrainNet (Aufbau einer eigenen Beratungsfirma) zur Beratungsfirma KPMG, wo er heute als Partner verantwortlich ist für das Operations Consulting und für das gesamte Beratungsgeschäft in der Marktregion Basel (inkl. Fricktal). Mehrere Jahre verbrachte er beruflich im Ausland (Irland, China und USA). Seine Hobbys sind Kochen, Zigarren und das Restaurieren und Unterhalten von Oldtimer-Lastwagen (darunter alte Postautos). Mit dem Fricktal ist er immer noch sehr eng verbunden durch seine Familie, zahlreiche Freunde und als Abonnent der NFZ. (nfz)


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