Der traditionelle Arbeitsplatz verliert an Bedeutung
11.11.2018 Fricktal, WirtschaftDigitalisierung ist eine Chance – wenn man will
Die Arbeitswelt ist auch im Fricktal im Wandel. Die heutigen Informations- und Kommunikationstechnologien ermöglichen flexibles und mobiles Arbeiten und stellen herkömmliche Strukturen zunehmend infrage.
Walter Herzog
Vieles verändert sich – auch in der Arbeitswelt. Wie die aktuelle NAB-Regionalstudie zeigt, scheint im Kanton jedoch sowohl seitens der Arbeitgebenden als auch seitens der Arbeitnehmenden die notwendige Offenheit in der Begegnung mit neuen Arbeitsformen vorhanden zu sein. Das Fricktal muss sich aus heutiger Sicht wohl auch nicht davor fürchten, dass ihm aufgrund der Digitalisierung die Arbeit ausgeht. Gewisse Tätigkeiten und Branchen werden wegfallen, und nicht wenige Erwerbstätige werden sich früher oder später beruflich umorientieren müssen. Aufgrund der hohen internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Werkplatzes stehen die Chancen aber gut, dass auch hier neue Wirtschaftszweige entstehen, in denen dereinst heute noch unbekannte Berufe ausgeübt werden. Die Digitalisierung ist im Grunde nur ein weiteres Beispiel für den Prozess der «schöpferischen Zerstörung», die gemäss dem grossen Ökonomen Joseph Schumpeter eine zentrale Eigenart, ja sogar Voraussetzung der Marktwirtschaft ist. Damit Neues entstehen kann, muss Altes zwangsläufig zugrunde gehen. Dies gilt umso mehr in einem Umfeld, in dem die Erwerbsbevölkerung demografisch bedingt bald stagniert. Für die Gesamtschweiz kommt ein aktueller Bericht des Bundesrates zu einem vergleichbaren Schluss. Kurz- bis mittelfristig könne die Digitalisierung zwar durchaus negative Auswirkungen auf die Stellenzahl haben. Langfristig dürften die positiven Effekte die negativen aber überkompensieren. Diese optimistische Sicht bedingt jedoch, dass sich Erwerbstätige an diese Veränderungen anpassen können und wollen. Lebenslanges Lernen wird immer wichtiger, und seitens der Bildungsinstitutionen ist vor dem Hintergrund dieser Umwälzungen vorausschauendes und flexibles Handeln gefragt.
Die Zukunft des Arbeitsplatzes
Mobile Geräte wie Laptops oder Smartphones ermöglichen in Kombination mit Cloud-Lösungen oder VPN-Verbindungen ortsunabhängiges Arbeiten. Das gilt vor allem für Tätigkeiten, die nicht an eine fixe Produktionsinfrastruktur gebunden sind, insbesondere im Bereich wissensintensiver Berufe und Dienstleistungen. Der Anteil der Erwerbstätigen, die zur Erbringung ihrer Arbeit nicht mehr an das physische Büro des Arbeitgebenden gebunden sind, ist in den letzten Jahren daher gestiegen und wird weiter zunehmen. Im Jahr 2017 arbeitete bereits jeder fünfte Erwerbstätige entweder von zu Hause aus, von unterwegs oder von einem wechselnden Arbeitsort. Knapp 23 % der erwerbstätigen Bevölkerung leistete zumindest gelegentlich Telearbeit. Home Office und Telearbeit gehen vor dem Hintergrund der neuen Informations- und Telekommunikationstechnologien zunehmend Hand in Hand.
Am stärksten verbreitet ist diese Arbeitsform im Bereich Information und Kommunikation, wo mehr als 50 % der Erwerbstätigen zumindest gelegentlich darauf zurückgreifen. Auch im Erziehungsbereich und bei freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen leisten rund 44 % bzw. mehr als ein Drittel Teleheimarbeit.
In Branchen, bei denen persönliche Kontakte oder handwerkliche Tätigkeiten eine wichtige Rolle spielen, ist Teleheimarbeit hingegen weniger stark verbreitet. Neben dem klassischen Home Office gewinnen sogenannte dritte Orte als mobiler Arbeitsplatz zunehmend an Bedeutung.
Das Aufkommen der Plattformökonomie
Die Digitalisierung hat nicht nur die Flexibilisierung bereits bekannter Arbeitsformen gefördert, sondern neue Arbeitsmodelle entstehen lassen, bei denen sich die Aufteilung zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden zunehmend verwischt. Die Plattformökonomie (engl. gig economy) umfasst im weitesten Sinne Arbeitsoder Dienstleistungen, die über eine Plattform vermittelt werden. Die auf solchen Plattformen aktiven Beschäftigten, auch Gig-Worker genannt, sind in der Regel entweder (nebenberuflich) Solo-Selbstständige oder Erwerbstätige mit eigener Firma ohne Angestellte.
Solche Tätigkeiten werden nicht nur über Online-Plattformen vergeben, sondern auch online erbracht. Sie verlangen daher keine physische Präsenz des Auftragnehmenden oder keine Interaktion mit dem Auftraggebenden. Personen mit beschränkter Mobilität oder Personen, die aus familiären Gründen zu Hause sein müssen oder in abgelegenen Regionen wohnen, erhalten einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Auch die hohe zeitliche Flexibilität kann den Arbeitnehmenden einen signifikanten Nutzen bringen. So können Studenten oder andere Personen in Ausbildung auch ausserhalb der klassischen Betriebszeiten Arbeitsleistungen erbringen. Für die Schweiz wird geschätzt, dass rund 10 % der Internetnutzer Gig-Worker sind.
Im Fricktal sind 40 % aller Tätigkeiten digitalisierbar!
Im Durchschnitt über alle Berufe wäre es aus technischer Sicht möglich, einen Drittel aller Tätigkeiten (37 %) zu digitalisieren. Regional gibt es nur geringe Unterschiede. Der höchste Anteil an automatisierbaren Tätigkeiten gibt es im Kanton Jura (41 %), den tiefsten im Kanton Graubünden (35 %). Der Kanton Aargau liegt mit knapp 39 % leicht über dem Schweizer Schnitt. Grund dafür ist in erster Linie der hohe Anteil an Industriearbeitsplätzen, die ein überdurchschnittlich hohes Substituierungspotenzial aufweisen. Innerhalb des Aargaus sind die Unterschiede sehr gering. In der Wirtschaftsregion Mutschellen beträgt der Wert knapp 38 %, im Fricktal gut 40 %.
Insgesamt stellen auch diese neusten Zahlen jedoch nur einen Zwischenstand einer rasanten Entwicklung dar. Autonomes Fahren von Autos und Zügen ist in diesen Schätzungen zum Beispiel noch nicht berücksichtigt. Es ist aber durchaus denkbar, dass in zehn oder zwanzig Jahren keine Tramund Lastwagenchauffeure, keine Taxifahrer und keine Piloten mehr nötig sind.
Arbeit geht uns nicht aus
Es zeigt sich, dass die Digitalisierung die Art und Weise, wie wir arbeiten, verändert. Noch fundamentaler als die Frage, wie wir künftig arbeiten, ist jene, ob wir überhaupt noch Arbeit haben werden. Vielerorts wird befürchtet, dass die Digitalisierung unzählige Tätigkeiten und Jobs obsolet machen könnte. Da man heute kaum abzuschätzen vermag, welche Umwälzungen die technologische Entwicklung noch mit sich bringen wird, ist eine gesicherte Prognose praktisch unmöglich.
Dass ein Drittel aller Tätigkeiten digitalisiert werden kann, heisst nun aber nicht, dass in den nächsten Jahren ein beträchtlicher Teil der Aargauer Arbeitsplätze auch tatsächlich durch Algorithmen und Roboter ersetzt wird. Oft ist trotz theoretischer Digitalisierbarkeit menschliche Arbeit qualitativ immer noch besser oder günstiger. Dennoch werden dem digitalen Strukturwandel unweigerlich Stellen zum Opfer fallen.
Falsche Furcht vor Maschinen
Doch das Klagelied über den Arbeitsplatzkiller Technologie ist uralt. Bereits im 16. Jahrhundert lehnte die englische Königin Elisabeth I. ein Patent für eine Strickmaschine mit dem Argument ab, dass eine solche Maschine bei Textilarbeitern grosse Arbeitslosigkeit verursachen würde. In der ersten technologischen Revolution veränderte die Dampfmaschine ab Ende des 18. Jahrhunderts die Produktionsstruktur fundamental. Zwar verloren viele Heimwerker ihre Tätigkeit, dafür fanden Hunderttausende eine Stelle als Fabrikarbeiter – wenn auch anfangs oft unter erbärmlichsten Bedingungen. Ende des 19. Jahrhunderts unterstützte die elektrische Energie die arbeitsteilige Massenproduktion und leitete damit die zweite Revolution ein. Ab etwa 1970 führte der Einsatz von Elektronik und IT zur dritten industriellen Revolution. Viele Bürostellen wurden durch Computer ersetzt, Fabrikarbeiter durch Roboter.
Im Zuge dieser drei Revolutionen starben auch gewisse Berufe (weitgehend) aus. Es gibt heute kaum noch Wagner, Küfner, Säumer, Rohrpostbeamte oder Kinoerklärer. Trotz oder gerade aufgrund des grossen technischen Fortschritts der letzten 200 Jahre ging der Schweiz die Arbeit aber nicht aus – im Gegenteil. Phasenweise Rückgänge bei der Zahl der Erwerbstätigen waren meistens auf nichttechnologische Ereignisse wie Kriege oder Wirtschaftskrisen zurückzuführen.