«Ich habe Schlimmes erwartet und noch Schlimmeres angetroffen»
01.05.2016 Ittenthal, Kaisten, NaturSusanne Hörth
«Ein Tier fühlt. Es zeigt Emotionen und ist einfach ehrlich», sagt René Böhmerle. «Meine Eltern haben mir sehr früh beigebracht, dass Tiere respektvoll behandelt werden müssen.» Der heute 47-jährige Ittenthaler hat das verinnerlicht und lebt es nicht nur im täglichen Umgang mit den eigenen Hunden und Katzen. Er engagiert sich seit Jahren für den Tierschutz. Vor allem demjenigen im Ausland. Denn: «Hier bei uns in der Schweiz wird insgesamt gut für die Tiere geschaut, das Gesetz ist streng und in den Tierheimen werden sie gut umsorgt.» In Rumänien oder Bosnien gebe es hingegen kaum Rechte für Tiere.
Böhmerles steter Einsatz zum Wohle des Tieres gewann an zusätzlicher Bedeutung als sich sein Leben von einem zum anderen Moment veränderte. Er hatte eine steile Berufskarriere hinter sich. Nach seiner Lehre zum Krankenpfleger folgte eine Weiterbildung nach der anderen. Er arbeitete auf der Intensivmedizin und der Anästhesie. Nach einer Management-Ausbildung leitete er eine Intensivstation, übernahm immer mehr Verantwortung. Im Kantonsspital Baden war er massgeblich am Aufbau einer Station beteiligt, leitete diese dann während fünf Jahren. Sein Schaffen, sein Wissensdurst, sein Einsatz für die Patienten und seine Mitarbeiter war nicht zu bremsen. Bis zu jenem Tag vor rund fünf Jahren. Böhmerle wurde mit Verdacht auf einen Herzinfarkt ins Spital eingeliefert. «Gott sei Dank war es das aber nicht», blickt er zurück. Sein Körper hatte ein Warnsignal ausgesendet und lieferte dann ein Burnout nach. «Jetzt merkte ich, dass ich mein Leben anders gestalten musste.» Er reduzierte nach einer Auszeit sein Jobpensum auf 50 Prozent. Und zog mit seiner Ehefrau nach Ittenthal. Ebenfalls Einzug hielt Bella, eine Labradorhündin aus einem Tierschutzfall. Mit ihr merkte Böhmerle auch, dass er in den zurückliegenden Jahren viel zu wenig Zeit für seine Tierschutzaktivitäten hatte aufwenden können.
Wochenlanges Warten auf den Tod
Auf Facebook wurde er letztes Jahr durch ein Video auf die furchtbaren Zustände für Hunde in der bosnischen Stadt Prijedor aufmerksam. «Die Strassenhunde werden eingesammelt und in die staatliche Tötungsstation gebracht.» Dort warten sie ohne Futter, ungeschützt jeder Witterung ausgesetzt, teilweise mit schlimmen Verletzungen auf ihre Tötung. Alle – vom Welpen, trächtigen Hündinnen bis zum Hundesenior. Manchmal dauert das Warten Wochen. Für René Böhmerle war sofort klar «hier helfe ich». Er kam in Kontakt mit Ina. Die Bosnierin setzt sich in Prijedor schon lange für die Hunde ein. Und nicht nur jene von der Strasse. Die «Ware» Hund wird auch immer wieder von den Besitzern misshandelt und zum Sterben davon gejagt. Böhmerle erzählt von dem Hund, dessen Halter ein Beil genommen und es seiner Hündin auf den Kopf geschlagen hat. Schwerverletzt konnte sie von Ina gerettet werden. So auch die hochträchtige Cocker-Spaniel-Hündin, die letzte Woche, nach acht Jahren von ihren Besitzer einfach im Stich gelassen wurde.
Im November des vergangenen Jahres startete René Bömerle seine erste Hilfsreise nach Prijedor; das Auto voller Hilfsgüter wie Hundehütten, Decken, Futter und vieles mehr. «Ich habe mich auf das Schlimmste vorbereitet. Und traf noch Schlimmeres an.» Der Ittenthaler atmet tief ein. Die Bilder holen ihn ein, machen ihn traurig. Aber vor allem spornen sie ihn zum Helfen an.
Dank zäher Verhandlungen mit der Stadtbehörde wurden seit Ende November keine Hunde mehr im Todeszwinger getötet. In zwei Gehegen, 20 Kilometer voneinander entfernt, sorgt Ina für die Hunde. Zurzeit sind es rund 150. Sie werden ärztlich versorgt und, wenn möglich, schnellstens vermittelt. Mit der von René Böhmerle gegründeten «Tierhilfe Prijedor Bosnien» sind Patenschaften möglich. Unterstützung bekommt das Hilfswerk mittlerweile auch aus Deutschland und Italien. Zurzeit ist der Ittenthaler am Erledigen der umfangreichen Administration. «Weil wir ein internationales Hilfswerk sind, brauchen wir beispielsweise eine Handelsbewilligung, damit wir die Hunde über die Grenze vermitteln können.» Nun ist er, zusammen mit zwei Mitstreiterinnen, am Vorbereiten für seine nächste, vierte Reise nach Prijedor. Dann, an Pfingsten, steht eine Kastrationsaktion mit einem Tierarzt an. Nicht nur die geretteten Hunde bei Ina sollen kastriert werden. Ziel ist es, auch Strassenhunde zu unterbinden, damit sie nicht ungehindert weiter Junge bekommen.
«Selbstverständlich», lacht René Böhmerle auf die Frage, ob er selbst einen der Vierbeiner aus Prijedor zu sich nehmen würde. Ein schwarzer Hund rollt sich zufrieden zu seinen Füssen nieder. Vor ein paar Wochen noch wartete der Kleine in einem bosnischen Shelter auf den Tod.