«Eine Fremdplatzierung wird nicht leichtfertig veranlasst»

  30.07.2015 Aargau, Polizeimeldungen, Laufenburg, Brennpunkt, Sisseln, Oberes Fricktal, Gemeinden

Von Layla Hasler

Das Laufenburger Familiengericht hat einem Elternpaar aus Sisseln aufgrund einer Gefährdungsmeldung die Obhut über ihre zwei Kinder entzogen, wie es in einer Medienmitteilung schreibt. Die Mädchen im Alter von zwei und sechs Jahren waren seit März in der Sozial- und Heilpädagogischen Wohngruppe «Du + Ich» in Trimbach (SO) untergebracht. Nach einem Familienausflug am letzten Wochenende hat der Vater die Kinder nicht mehr ins Heim zurückgebracht. Die Kantonspolizei Solothurn meldete die Familie als vermisst. Wie sich später herausstellte, schickte der 46-jährige Familienvater seine Frau (29) mit den Kindern auf die Philippinen, das Heimatland seiner Frau. Dort sollen sie gemäss seinen Aussagen in verschiedenen Medien wohlbehalten angekommen sein. Er selbst stellte sich anschliessend der Polizei.

Der Fall aus Sisseln hat einmal mehr viel Kritik am System der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) ausgelöst. Auf Facebook gibt es verschiedene Gruppen zur Unterstützung des Familienvaters, viele feiern ihn als Helden. Im Kanton Aargau ist die Kesb in Form des Familiengerichts dem Bezirksgericht angegliedert. Für die Abklärungen für die Kesb sind vorwiegend die Sozialdienste der Gemeinden zuständig. Heinz Glauser ist Geschäftsleiter Soziale Fachbereiche im Bezirk Rheinfelden und immer wieder Leiter ad interim bei Sozialdiensten verschiedener Gemeinden, darunter auch Stein. Er war auch bei der Ausarbeitung eines Handbuchs für Abklärungen im Kindes- und Erwachsenenschutzrecht dabei.

NFZ: Herr Glauser, der Fall der Familie aus Sisseln hat Kritik am System der Kesb ausgelöst. Wie beurteilen Sie das System aus der Praxis?

Heinz Glauser: Ich arbeite als Koordinationsperson an verschiedenen Posten, beispielsweise im Sozialdienst und als Geschäftsleiter Soziale Fachbereiche Bezirk Rheinfelden, mit verschiedenen Familiengerichten zusammen. Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut und unkompliziert. Die Entscheide sind in meinen Augen pragmatisch und verhältnismässig. Ich kenne diesen Fall aber nicht. In den Medien sieht man nur einen Teil der Geschichte. Für eine Fremdplatzierung müssen konkrete Gründe vorliegen. Aus Datenschutzgründen kann das Familiengericht diese aber nicht nennen. Im Allgemeinen haben sich die Familiengerichte seit der Einführung 2013 gut entwickelt. Es braucht aber noch Zeit.

Was funktioniert (noch) nicht?

Die Probleme nehmen zu und die Fälle sind komplexer geworden. Die Leute beim Sozialdienst müssen sich auskennen mit dem Recht. Bei einigen Gemeinden ist es nicht die Hauptaufgabe einer Person, sondern sie ist nebenbei noch zuständig für den Sozialdienst. Mittelfristig braucht es Spezialisten. Dies könnte mit einer Regionalisierung der Sozialdienste erreicht werden.

Wie hoch sind die Hürden für eine Fremdplatzierung?

Sie sind sehr hoch. Die zuständigen Leute fokussieren sich immer aufs Kindswohl. Eine Fremdplatzierung entspricht nicht dem Kindswohl. Deshalb wird diese nur dann veranlasst, nachdem man die Situation vertieft untersucht hat. Aus meiner Erfahrung wird eine Fremdplatzierung nicht leichtfertig veranlasst.

Eine Fremdplatzierung wird angeordnet, wenn eine Gefährdung des Kindswohls vorliegt. Wann ist Handlungsbedarf?

Es gibt verschiedene Punkte: Vernachlässigung, Verwahrlosung. Oder es sind Drogen im Spiel. Es kann auch eine momentane Kindswohlgefährdung sein.

Gemäss Aussagen des Vaters gegenüber Medien seien die Kinder sofort von der Kesb mitgenommen worden. Grund: Ein Nachbar habe die Behörde alarmiert und bei der Familie im Haus herrschte ein Chaos, als die Kesb eintraf, weil die Mutter mit Gegenständen um sich geworfen hatte. Ist das Vorgehen der Kesb legitim?

Wenn eine akute Kindswohlgefährdung vorliegt und die Kinder an Leib und Leben bedroht sind, ist es nicht auszuschliessen, dass die Kesb die Kinder gleich mitnimmt. Dann wäre dieses Vorgehen möglich und auch richtig. Denn es ist Auftrag der Behörde, den Kindsschutz zu wahren. Man muss prüfen, ob der Eingriff verhältnismässig ist.

Stellen Sie eine Zunahme der Fremdplatzierungen seit der Einführung der Kesb fest?

Ich stelle nicht fest, dass Fremdplatzierungen zunehmen. Bei einer Fremdplatzierung sind auch die Gemeinden involviert. Dies wird wegen den Kosten nicht leichtfertig gemacht. Ich glaube auch nicht, dass die Fremdplatzierungen zunehmen werden.

Was können Eltern gegen einen Entscheid der Kesb unternehmen?

Gegen Obhutsentzug können Eltern beim Obergericht Beschwerde führen.


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