«Wenn alle bummeln, wird nicht Kyburz derjenige sein, der angreift»

  04.08.2024 Persönlich

Ziele, Träume und am Ende was zu trinken: Matthias Kyburz vor seinem Olympia-Marathon

Am 10. August bestreitet der mehrfache Orientierungslauf-Weltmeister Matthias Kyburz in Paris den Olympia-Marathon. Die NFZ ist mit dem Möhliner schon mal an den Start gegangen.

Ronny Wittenwiler

NFZ: Matthias Kyburz, was essen Sie vor dem Rennen als Letztes?
Matthias Kyburz:
Das wird ein Riegel sein, eine Stunde vor dem Start.

Was geht Ihnen kurz vor dem Start durch den Kopf?
Ganz simple organisatorische Dinge, um dann auch parat zu sein. Wie lange noch? Wo kann ich einstehen? Gibt es eine Hackordnung oder geht es nach Nationen?

Wird mit den Ellenbogen gearbeitet?
Manchmal muss man schon etwas standhaft sein. Wie das Prozedere am Olympia-Marathon genau abläuft, weiss ich noch nicht. Ich muss mir wohl noch ein Youtube-Video von den letzten olympischen Spielen anschauen. (lacht)

Jetzt stehen wir also am Start. Lieber Sonne oder Regen?
Für die Atmosphäre ist es schöner, wenn die Sonne scheint – einfach nicht zu heiss.

Als Sie bei Ihrem Marathon-Debüt im April die Olympia-Limite knackten (auch in Paris, die Redaktion), wurden Sie Siebter und waren bester Europäer. Dieser Rang gäbe ein olympisches Diplom. Ist ein solcher Rang jetzt realistisch?
Ich denke eher nicht. Ich würde von einem Exploit, von einer Sensation sprechen, liefe ich erneut unter die besten Zehn. Sicher waren im April top Läufer am Start. Punkto Taktik, Erfahrung, Geschwindigkeit und physiologischen Eigenschaften sind am Olympia-Marathon aber nochmal einen Tick bessere Läufer mit dabei. Die Strecke ist für klassische Marathonläufer allerdings eher speziell, mit viel Steigung. Als OL-Läufer bin ich sowas gewohnt und habe in der Vorbereitung entsprechend trainiert. Ich hoffe, das kommt mir entgegen. Was es schliesslich rangmässig bedeuten wird, ist schwierig einzuschätzen.

Worauf legen Sie den Fokus: Rang oder Zeit?
Auf die Zeit lege ich den Fokus gar nicht. Der Olympia-Marathon sei oft ein taktisches Rennen, haben mir viele gesagt. Wenn am Anfang alle bummeln, wird nicht der Kyburz derjenige sein, der angreift. Und mit 450 Metern Steigung wird es vom Profil her schon nicht möglich sein, eine schnelle Zeit zu laufen.

Wenn der Fokus nicht auf der Zeit liegt – haben Sie einen Rang im Kopf?
Im ersten Drittel; das wäre richtig cool, wenn mir das gelingen würde.

Bei wie vielen Teilnehmern?
Am Start sind ziemlich genau achtzig Athleten. Wenn wir jetzt nicht ganz vom ersten Drittel sprechen: Ein Platz in den Top 30 – dann dürfte ich wahrscheinlich zufrieden sein.

Ihr Coach, der ehemalige Marathonläufer Viktor Röthlin, sagte nach Ihrem Debüt, er sei überzeugt, dass Sie irgendwann der schnellste Marathonläufer der Schweiz sein werden.
Tadesse Abraham lief im März mit 41 Jahren Schweizer Rekord. Von dem her hätte ich noch sechs Jahre Zeit (lacht). Vielleicht kam die Aussage von Röthlin auch etwas aus der Euphorie heraus, nachdem ich ins Ziel gekommen war. Die Chance, dass ich schneller laufen kann als bei meinem Debüt, besteht sicher. Auch jener Marathon war nicht komplett f lach, es gibt schnellere Strecken. Ich muss aber betonen: Das Rennen, die ganze Vorbereitung, alles lief optimal. Sowas musst du erst einmal treffen, wenn du nur etwa zwei Rennen im Jahr bestreitest.

Spüren Sie eigentlich Druck?
An einer OL-WM bin ich viel mehr unter Druck, weil ich genau weiss, wohin es führen kann und ich die Medaillen zum Ziel habe. Mich hat Druck aber nie gehemmt in den letzten Jahren. Er hilft, um Topleistungen abzurufen. Wie am Marathon im April, als ich das Damoklesschwert der Olympia-Limite über mir spürte. Jetzt ist es viel mehr ein «Dürfen». Dass mir dieser Druck nun fehlt, davor habe ich fast mehr Respekt. Das ist eine Ausgangslage, die ich nicht gewohnt bin.

Mit Blick auf den Olympia-Marathon: Gegen was würden Sie eigentlich ein langersehntes WM-Gold über die Langdistanz austauschen?
Da gibt’s nichts zu tauschen (lacht). Okay: Könnte ich eine Olympia-Medaille gewinnen, würde ich vielleicht WM-Gold über die Langdistanz hergeben. Aber auch wenn einige Leute denken, ich sei ja jetzt in der Leichtathletik: Eine WM-Medaille im OL hat für mich immer einen hohen Stellenwert.

Orientierungslauf ist nicht olympisch: Wie sehr fuchst Sie das eigentlich?
Wir haben tolle Wettkämpfe, ich hatte nie das Gefühl, dass es Olympia braucht. Jetzt, da ich selbst etwas in diese Geschichte hineinblicke, denke ich schon manchmal: Die Werte, die wir im Orientierungslauf leben, wie wir diesen Sport betreiben – OL wäre prädestiniert, olympisch zu sein.

Wir kommen ins Ziel. Was ist das Erste, was Sie nach dem Olympia-Marathon essen?
Essen? In erster Linie würde ich trinken wollen (lacht). Und dann? Ich weiss – eine Portion Pommes, eine Glace oder ein Schoggistängeli. Je nach Temperaturen und Gluscht.

Und welche Schlagzeile würden Sie danach gerne über Sie lesen?
(Überlegt). «Kyburz läuft ein sensationelles Olympiarennen.» Ich kann einigen ein Schnippchen schlagen, alles geht auf – das wäre natürlich ein Traum.


Alte Liebe rostet nicht

Bereits diesen Herbst wird Matthias Kyburz in den OL-Sport zurückkehren. In Kuopio, Finnland, tritt er zum Weltcupfinale an. «Dort findet nächstes Jahr die Weltmeisterschaft statt. Deshalb schnuppere ich im Herbst bereits OL-Luft in dieser Umgebung. Diese WM ist mein grosses Ziel, das ich mir 2025 gesetzt habe.»


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