Von Ostberlin via USA nach Böztal

  18.08.2024 Böztal

«Ich habe an vielen Orten gelebt, viel gesehen und viel gelernt. Zur Ruhe gekommen bin ich in Böztal», begründet Alexander Zürcher sein Engagement als Gemeinderat.

Karin Pfister

«Hier fühle ich mich zuhause, hier möchte ich bleiben.» Das hat Alexander Zürcher gedacht, als er zum ersten Mal im Gorgen in Bözen war und das Eckhaus, umgeben von Bäumen und Pflanzen gesehen hat. 2019 ist er zusammen mit seiner Frau Yvonne ins Dorf gezogen. Die logische Konsequenz aus diesem Gefühl sei für ihn gewesen, dass er sich für die Gemeinde engagiere und den Lebensraum mitgestalte.

Alexander Zürcher wurde vor einem Jahr mit einer stattlichen Anzahl von Stimmen in den Gemeinderat von Böztal gewählt. Dass ein Gemeinderat hochdeutsch spricht, sei für einige Einwohnerinnen und Einwohner schon auch gewöhnungsbedürftig gewesen, erzählt er beim Gespräch mit der NFZ. Alexander Zürcher ist in Ostberlin aufgewachsen und rund eineinhalb Jahre vor der Wende zusammen mit seiner Mutter und zwei Brüdern in den Westen emigriert. «Im Februar 1988 hat die DDR unseren Ausreiseantrag genehmigt.» Nur wenige dieser Anträge wurden damals bewilligt; über die Gründe kann Alexander Zürcher nur spekulieren. «Vielleicht, weil wir eine christlich geprägte Familie waren und wenig mit der politischen DDR-Kultur zu tun hatten.»

Ohne Hab und Gut
Für die Ausreise bezahlte die Familie einen hohen Preis. «Wir mussten das Land innerhalb von 48 Stunden verlassen und unser gesamtes Vermögen inklusive Eigentumswohnung wurde Eigentum der DDR.» Der Start im Westen sei hart gewesen, die Familie kam in ein Auffanglager für Ost-Flüchtlinge. «Dank eines Startkapitals, das uns die Bundesrepublik zur Verfügung stellte, konnten wir uns ein neues Leben aufbauen. Es war eine anstrengende Zeit und wir mussten viele Hindernisse und Schwierigkeiten überwinden.» Später konnte Alexander Zürcher mithilfe eines Stipendiums des Bundestages in den USA eine High School besuchen. In der DDR hatte er seit der dritten Klasse Russisch gelernt, in den USA eignete er sich Englisch an. «Daraus entwickelte sich vermutlich mein Interesse für Sprachen.» Er studierte in Tübingen und Berlin Germanistik, Latein und Religionswissenschaften und promovierte. Das Thema seiner Dissertation: Die Erfahrung des Numinosen.

Im November 2011 ist Alexander Zürcher aus beruflichen Gründen in die Schweiz gekommen; er wurde als Lehrer im Schulheim Effingen angestellt. «Ich war vorher in Deutschland an einer Eliteschule als Lehrer tätig und hatte zunehmend Mühe mit dem Leistungsdruck und dem elitären Umfeld.» An seinem Arbeitsplatz in Effingen hat er auch seine heutige Frau, Yvonne Zürcher, kennen gelernt. Sie ist inzwischen unter anderem unter dem Label «Voice and Spirits» als Rednerin für Hochzeitsund Trauerfeiern buchbar.

Lange in Wallbach
Lange haben die beiden zusammen in Wallbach gewohnt, 2019 sind sie nach Bözen gezogen. «Nicht nur das Haus hat uns angesprochen, wir fanden auch die Gegend einfach sehr schön.» Von 2017 bis 2018 war Alexander Zürcher ausserdem als Gesamtschulleiter in Möhlin angestellt. «Als Schulleiter sass ich viel vor dem Computer. Als Lehrer kann ich direkt mit Menschen arbeiten, das entspricht mir mehr.» Heute ist Alexander Zürcher als Heilpädagoge im Kanton Basel-Stadt tätig, beim Schul- und Förderzentrum Riehen. Eine seiner Aufgaben dort ist die Förderung von Schülerinnen und Schülern mit ADS und ADHS. «Mir gefällt die unerschöpf liche Kreativität dieser Kinder und Jugendlichen.»

Immer mehr Wissen aneignen
Böztal ist flächenmässig eine grosse Gemeinde; sie reicht vom Kästal bis fast nach Frick. Alexander Zürcher ist für die Werkleitungen, die Digitalisierung sowie die Sicherheit zuständig. «Es ist ein anspruchsvolles und spannendes Ressort.» Als Lehrer und Sprachwissenschaftler seien die Werkleitungen nicht gerade ein Bereich, der ihm vertraut ist. «Doch als Gemeinderat kann ich auf kompetente Fachleute in der technischen Kommission zurückgreifen, die mich unterstützen und mir die technischen Besonderheiten erklären.» Er sei immer noch daran, sich Wissen über die Gemeinde und die lokalen Begebenheiten anzueignen und sich in sein Ressort einzuarbeiten. «Es ist ein sehr interessantes Gebiet. Momentan überlegen wir zum Beispiel, wie wir eine defekte Wasserleitung aus dem Jahre 1936, welche das Dorfbächli speist, reparieren.» Sonst versiege der Brunnen bei der Schule Bözen, was doch schade wäre, nennt er ein Beispiel aus der nächsten Umgebung.

Die Ziele für die nächsten Jahre sind definiert. «Wir möchten das Werkleitungsnetz auf den neuesten Stand bringen.» Wichtig sei ihm auch die Förderung der Zusammengehörigkeit der verschiedenen Dorfteile sowie ein offener Dialog mit der Bevölkerung. «Meine Telefonnummer steht auf der Homepage von Böztal. Gerne dürfen mich die Einwohnerinnen und Einwohner anrufen, wenn sie eine Frage an mich haben.»

Wenig Zeit für Hobbys
Alexander Zürcher arbeitet Vollzeit als schulischer Heilpädagoge und beziffert den Aufwand, den das Gemeinderatsamt mit sich bringt auf ein gutes 20-Prozent-Pensum. Deshalb bleibe ihm momentan nicht viel Zeit für seine Hobbys. Dazu gehören Klavierspielen, das Lesen von Fachliteratur und von zeitgenössischer Literatur sowie Astronomie – «gerne beobachte ich mit meinem Fernglas den Sternenhimmel über dem Dorf» – und Fotografie. «Landschaftsaufnahmen, davon kann man in Böztal wunderschöne Beispiele einfangen.»


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