Über Schnapsmatrizen, Humor und «Nicht-Energie» im Klassenzimmer
06.07.2023 Persönlich, MöhlinIm Frühling 1982 begann er an der Bezirksschule Möhlin zu unterrichten. Morgen ist sein letzter Schultag und er wird pensioniert. Dieter Schlachter schaut gerne zurück, aber freut sich auch auf die Zukunft.
Janine Tschopp
Er sei keine Legende, korrigierte er kürzlich einen Kollegen, der dies von ihm behauptet hatte. Zudem seien doch Legenden meistens schon tot. Auch wenn er keine Legende sein will: Sicher ist er ein Lehrer, der seinen Schülerinnen und Schülern noch lange in Erinnerung bleiben wird. Auch nach seiner Pension. «Deutsch hat mir gar nichts gesagt. Bis ich den Schlachter als Lehrer hatte. Dort war er noch ganz jung», hört man Stimmen im Fricktal.
1982 an die Bezirksschule Möhlin
Er war 20 Jahre alt, hatte die Ausbildung als Primarlehrer und seine erste Stelle an der Sekundarschule in Mumpf. Drei Jahre später übernahm er ein halbjähriges Vikariat an der Bezirksschule in Rheinfelden. Im Frühling 1982 begann Dieter Schlachter an der Möhliner Bezirksschule. Parallel zum Unterrichten besuchte er die Universität und studierte Deutsch, Geschichte und Geographie. «Die einzig wichtigen Fächer», schmunzelt er auch noch 40 Jahre später. 1987 schloss er das Studium mit einem Bezirkslehrer-Diplom in Aarau ab. «Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, ob ich wirklich Lehrer werden würde.» Und dass daraus gar über 40 Jahre werden würden, ging ihm damals keine Sekunde durch den Kopf.
«Wir haben tolle Jugendliche»
All die Jahre war Dieter Schlachter gerne Lehrer in Möhlin. «Wir haben tolle Jugendliche, und das Kollegium ist sehr gut und initiativ.» Er arbeite gerne mit jungen Menschen. «Meine Frau ist Kindergärtnerin, das ist sicher auch schön», sagt er. Er aber schätze es, wenn die Schülerinnen und Schüler schon ein bisschen älter seien. «Es ist ein sehr interessantes Alter und es passiert so viel.» Mit einem Schmunzeln beschreibt er dann eine Situation, die er mehr als einmal erlebt hat: «Montagmorgen, 7.30 Uhr. Ich komme ins Klassenzimmer und wir haben zwei Stunden Deutschunterricht. Schon beim Eintreten in den Raum spüre ich die völlige ‹Nicht-Energie›.» Einmal habe er seine Klasse gefragt, ob er dieses Bild mit den alles andere als motivierten Schülerinnen und Schülern fotografisch festhalten dürfe. In solchen «Nicht-Energie-Situationen», die sich im Normalfall im Laufe des Morgens zum Besseren wenden würden, sei es wichtig, Verständnis zu haben. Auch wenn er in die Klasse komme und verkünde: «Heute sprechen wir über den Konjunktiv», erwarte er keine Begeisterung. Neben dem Verständnis für die Jugendlichen sei auch ein humorvoller Unterricht wichtig, findet der erfahrene Lehrer.
Das mediale Umfeld hat sich verändert
«Die Schüler und Schülerinnen sind immer noch toll. Sie wurden nicht schlimmer, aggressiver oder dümmer», findet der 65-Jährige angesprochen auf die Veränderungen in den letzten Jahrzehnten. Was sich stark verändert habe, sei das mediale Umfeld. «Als ich als Lehrer anfing, gab es noch keine Kopierer. Wir haben mit Schnapsmatrizen gearbeitet. Später kam der Kopierer und irgendwann der PC.» Die medialen Entwicklungen beeinflussten nicht nur die Jugendlichen, sondern auch Erwachsene. Das ganze Leben und Arbeiten habe sich dadurch in letzter Zeit verändert.
Was sich auch verändert habe, seien die Beurteilungssysteme. «Sie sind variantenreicher geworden und betonen die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler. Das ist ein guter Trend», meint Schlachter. Teamarbeit, Projektarbeiten, Recherchen und das Gestalten von Plakaten seien Unterrichtsformen, mit welchen man früher kaum gearbeitet habe.
Das Korrigieren ist auch mit den neuen Unterrichtsformen geblieben. Er korrigiere überhaupt nicht gerne. «Man ist allein im Kämmerchen und muss seine Schülerinnen und Schüler ständig bewerten und beurteilen. Das ist nicht angenehm», begründet er.
Und jetzt?
Das Korrigieren wird Schlachter vermutlich nach seiner Pensionierung nicht vermissen. Ein paar andere Sachen vielleicht schon. Morgen Freitag ist offiziell sein letzter Schultag. Was kommt danach? «Ich mache mir keine Gedanken. Alles kann man nicht planen.» Er ist zuversichtlich, wenn er an seinen neuen Lebensabschnitt denkt. «Ich hoffe nicht, dass ich mich nur über die Schule und meinen Beruf definiere.» Wichtig sei für ihn, sich eine Struktur zu geben. «Ich werde sicher nicht jeden Tag bis um elf Uhr im Bett bleiben.» Er freut sich, viel Zeit für seine Hobbys zu haben. Dazu gehören zum Beispiel Lesen und Wandern. Auch werde er weiterhin die Lehrerbibliothek betreuen. Ein Hobby, das ihm seit Jahren viel bedeutet und er weiterhin pflegen wird, ist das Theater. So führt er zum Beispiel auch bei der nächsten Produktion des Lehrertheaters wieder Regie. «Es gibt einige gute Regisseure, die bald neunzig sind. Also kann ich noch ein paar Aufführungen durchziehen», lacht er. Er hat sich in den letzten Jahrzehnten nicht nur für das Lehrertheater eingesetzt, sondern auch zahlreiche Produktionen mit Schülerinnen und Schülern zur Aufführung gebracht.
Nach 41 Jahren an der Bez Möhlin ist morgen Freitag also Schluss. Eine Legende will Dieter Schlachter nicht sein. Aber er wird vielen Menschen noch lange als guter, humorvoller Lehrer mit viel Verständnis für die Jugend in Erinnerung bleiben.