Höchstens 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassen-Prämien?

  17.05.2024 Abstimmungen

Abstimmung vom 9. Juni: Pro und Contra zur Prämien-Entlastungs-Initiative

Pro: Zeit für eine Kehrtwende

Claudia Rohrer, SP-Grossrätin, Rheinfelden

Krankenkassenprämien steigen, Gesundheitskosten steigen, die Löhne werden nur selten der Teuerung angepasst, so kommt es, dass viele Haushalte mehr Ausgaben stemmen müssen mit annähernd dem gleichen Lohn. Die meisten Länder in Europa kennen das System der Krankenkasse über die Lohnabzüge, wobei Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmer sich daran beteiligen. Krankheit als soziales Risiko, solidarisch getragen und finanziert durch Lohnprozente.

Die Schweiz hat sich für das Modell der Verbilligung entschieden. Unabhängig vom Einkommen zahlen alle eine gleich hohe Pro-Kopf-Prämie, unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit. Nur ausnahmsweise wird die Leistungsfähigkeit berücksichtigt, wenn das Einkommen nicht ausreicht, gibt es eine finanzielle Entlastung. Diese Entlastung in Form der Prämienverbilligung wird über Steuern finanziert. Insgesamt werden nur ca. 36 Prozent der Gesundheitsausgaben über Steuern, also einkommensabhängig, finanziert. Das ist europaweit ein sehr tiefer Wert. 42 Prozent werden über die einkommensunabhängige Kopfprämie finanziert, der Rest wird von den Menschen direkt finanziert, über Franchise und Selbstbehalte. Diese beiden letzten Werte sind im europäischen Vergleich hoch.

Wir können uns unsere Gesundheitsvorsorge leisten, die Kosten müssen aber neu verteilt werden. Es ist Zeit für die Kehrtwende. 10 Prozent des Einkommens für die obligatorische Krankenversicherung, das ist genug. Die Initiative hat zum Ziel, die mittleren und tiefen Einkommen zu entlasten. Das System der Prämienverbilligung zeigt nicht den gewünschten Effekt. Entlastet werden Menschen mit tiefem Einkommen, was richtig ist, jedoch werden zu wenig Haushalte mit mittlerem Einkommen entlastet, die Pro-Kopf-Prämie trifft sie am meisten. Die Initiative zielt auf die unsolidarische Pro-Kopf-Prämie und verlangt dort die Begrenzung auf maximal 10 Prozent des verfügbaren Einkommens. Somit profitieren hauptsächlich Menschen, welche bis heute keine oder eine tiefe Prämienverbilligung ausgerichtet erhalten. Gleichzeitig will die Initiative die Belastung in Zukunft deckeln, egal wie sich die Gesundheitskosten und die Prämien künftig entwickeln, 10 Prozent sind das Maximum.

Diese Deckelung zwingt die Politik zum Handeln und zur Diskussion der Weiterentwicklung unseres Gesundheitswesens. Es sind nicht mehr die Haushalte, die einfach die höheren Pro-Kopf-Prämien weitertragen, sondern der Bund und die Kantone tragen die weiter steigenden Gesundheitskosten. Anstatt über Stunden in den kantonalen Parlamenten die Anspruchsvoraussetzungen der Prämienverbilligung zu diskutieren, sind Bundesrat und Regierungsrat gefordert, das Problem der steigenden Gesundheitskosten direkt anzugehen. Zu klären wird sein, welchen Einfluss Lobbyisten der Pharmabranche auf das Parlament haben, denn wir haben die höchsten Medikamentenkosten im europäischen Umfeld. Die Initiative gibt keine Lösung des Problems vor, denn es ist unmöglich, mit einer Initiative das Ungleichgewicht der Finanzierung zu lösen. Nur Gesellschaft, Politik und Wirtschaft können im Dialog eine Kehrtwende bewirken und dazu fordert die Initiative auf. Eine Kehrtwende bei der Finanzierung des Gesundheitswesens. Vielleicht kommt dann auch bei uns die Finanzierung über die Lohnprozente oder eine Einheitskasse wie in der Unfallversicherung die SUVA. Bleiben wir offen für Lösungsansätze, schieben wir der Politik den Ball zu und entlasten wir die mittleren Einkommen. Mit einem Ja zur Prämienentlastungsinitiative können wir die Kehrtwende schaffen.


Contra: Initiative löst Problem nicht

Alex Reimann, SVP-Grossrat, Wölflinswil

Seit Jahren steigen die Krankenkassenprämien nahezu ungebremst in die Höhe, was viele Haushalte finanziell ans Limit bringt. Abhilfe tut Not, aber wie? Der falsche Weg ist sicher, dass die öffentliche Hand noch mehr Geld in dieses System pumpt, das dadurch nur noch teurer wird. Genau das bezweckt die Prämien-Entlastungs-Initiative. Das Begehren fordert, dass keine versicherte Person mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für Krankenkassenprämien der Grundversicherung aufwenden muss. Was darüber liegt, soll von Bund und Kantonen durch eine Verbilligung gedeckt werden. Bereits jetzt wendet die öffentliche Hand 5,4 Milliarden Franken für Prämienverbilligungen auf. Bei einer Annahme der Initiative kämen jährlich weitere 4,2 Milliarden Franken dazu – Tendenz steigend. Das ist für die Schweiz nicht finanzierbar.

Während tiefe Einkommen profitieren, geht der Mittelstand leer aus – mehr noch, er wird diese Mehrkosten berappen müssen, ohne von der Prämienverbilligung profitieren zu können. Der Initiativtext stellt auch nicht klar, was genau unter 10 Prozent des verfügbaren Einkommens zu verstehen ist. Bei einem Teilzeitpensum machen die Prämien rasch 10 Prozent des Einkommens aus. Schlaumeier werden das ausnützen. Weiter ist zu befürchten, dass das Verständnis für die Notwendigkeit einer Kostendämpfung im Gesundheitswesen verloren geht, weil viele die Kostensteigerung nicht mehr spüren werden. Die Initiative löst folglich das Problem der Gesundheitspolitik nicht, sondern fördert die ineffiziente Umverteilung.

Wird die Initiative abgelehnt, tritt der direkte Gegenvorschlag in Kraft, der auf dem heutigen System der Prämienverbilligung basiert, welche die untersten Einkommen entlastet. Prämienverbilligungen sind primär Sache der Kantone. Dies aus gutem Grund, da die Gesundheitsversorgung kantonal organisiert ist. So hat beispielsweise die kantonale Spitalplanung einen direkten Einfluss auf die Gesundheitskosten. Der Gegenvorschlag sieht prozentuale Mindestsätze vor, mit denen die einkommenstiefen Haushalte bei der obligatorischen Krankenversicherung entlastet werden.


Die Prämien-Entlastungs-Initiative

Die Prämien-Entlastungs-Initiative fordert, dass die Versicherten höchstens 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für die Prämien aufwenden müssen. Die Initiative wurde im Januar 2020 eingereicht. Bundesrat und Parlament empfehlen die Ablehnung der Initiative. Für sie ist die Initiative mit Mehrkosten in Milliardenhöhe zu teuer und ihr fehlt ein Anreiz zur Dämpfung der Gesundheitskosten. Deshalb haben Bundesrat und Parlament einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet. (nfz)


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