Ein Leben in Geschichten

  22.04.2025 Persönlich

Die Walliser Historikerin Elisabeth Joris ist Gast am nächsten Schützen-Gespräch in Rheinfelden. Sie hat schon viele Frauen porträtiert. Nun liegt auch eine Biographie über sie selbst vor: «Ein Leben in Geschichten» (Zürich 2024). Das dicke Buch stammt von der Zürcher Verlegerin Denise Schmid.

Ueli Mäder

Elisabeth Joris kam 1946 in Visp zur Welt. Ihr Vater war Chemiker und, trotz katholischer Dominanz, «kein Kirchgänger». Die Mutter ging bereits im Badeanzug schwimmen. Das wirkte «unkeusch verpönt». Und so hatte Elisabeth bereits früh das Gefühl, «daneben zu sein». Sie trug Bubenhosen in der Schule. Die Mutter setzte das in einer Zeit durch, in der Mädchen «flicken und stricken» sollten; ohne Zugang zum Gymnasium.

«Ich fühlte und fühle mich als 68erin»
Elisabeth besuchte die Handelsschule, nahm eine Au-pair-Stelle in England an, kam über Umwege an die Zürcher Uni, lebte in einer «Kommune» und pendelte oft in ihre Heimat. Hier organisierte sie kulturelle «Events». Zum Beispiel mit dem kürzlich verstorbenen Schriftsteller Peter Bichsel, der Geschichten über «des Schweizers Schweiz» erzählte. «Wir kämpften gegen das Establishment, die Klüngelei und Schiessplätze in den Alpen. Und ich fühlte und fühle mich als 68erin.» So Joris. Sie gründete das «Kritische Oberwallis» und 1973 die Zeitung «Rote Anneliese» mit, später die feministische Zeitschrift «Olympe».

«Das Private ist politisch», betonte Joris 1968. Inzwischen habe sich diese Parole jedoch verändert, erklärt sie heute. Deshalb brauche es nun eher mehr Schutz für die private Sphäre. Das mediale Skandalisieren ziele häufig auf Personen ab. Wesentliches käme dabei zu kurz. Ebenso die Frage, wie gesellschaftliche Erwartungen uns persönlich prägen. Das gängige Personalisieren betreffe oft Frauen. Männer beurteilten diese gerne nach tradierten Vorstellungen. Und der Blick richte sich dabei vorwiegend auf das äussere Erscheinen sowie familiäre Zuständigkeiten.
Joris erinnert auch an den alten Ausspruch: «Mein Bauch gehört mir.» Er drücke eigentlich das Recht auf körperliche Selbstbestimmung der Frauen aus. Die reproduktive Medizin vereinnahme ihn jedoch längst. Und das Geschäft mit der Schönheit boome. Die plastische Chirurgie fördere allerdings keine Befreiung. Sie orientiere sich eher an engen Normen und am Geld.

Elisabeth Joris ist bald 80 Jahre alt. Sie engagiert sich für Hausarbeiterinnen, Klimaseniorinnen und Sans-Papiers. «Vielleicht hätte ich mich in meinem Leben noch kritischer zu Wort melden sollen», meint sie rückblickend. Joris wohnt seit über vierzig Jahren in einer Hausgemeinschaft, in der auch ihre Kinder aufgewachsen sind. An den vierzehntäglichen Aussprachen gehe es inzwischen mehr darum, «wie wir das Altern gestalten und gemeinsame Werte pflegen».

«Reflexion des eigenen Tuns»
Ein Erbe des 68er-Auf bruchs ist für die Historikerin «die Ref lexion des eigenen, von Widersprüchen durchzogenen Tuns». Wichtig sei «das Bewusstsein, wie das Geschlecht und die soziale Zugehörigkeit das eigene Leben prägen». So hätten Frauen auch innerhalb der Linken einen eigenständigen Weg suchen und die propagierte sexuelle Befreiung hinterfragen müssen. Genervt hätten auch «alle Versuche, die Welt vom hohen Ross aus zu erklären» sowie «absolute Vorstellungen einer gerechten Welt».

Joris ref lektiert ebenfalls ihre eigene antiautoritäre Erziehung. «Wir liessen nicht alles durchgehen, aber bei manchem waren wir auch zu nachsichtig.» So etwa «bei gewissen Ritualen wie der Begrüssung». Und als Grossmutter will die Historikerin heute, «weder eine blosse Alte sein, noch sich mit Teenagern verwechseln». Für und mit andern zu leben, das verlange auch, Hilfe anzunehmen und Grenzen der Autonomie zu anerkennen. Abhängigkeiten gehörten zum menschlichen Dasein. Entscheidend sei dabei, sich gegenseitig zu respektieren.

Leben in Geschichten – mit Elisabeth Joris, Mittwoch, 23. April, 19.30 Uhr, im Hotel Schützen in Rheinfelden. Moderation: Ueli Mäder. Eintritt frei, mit Anmeldung. Tickets über: https://www.schuetzenhotels.ch/de/entdecken


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