Diskutieren wir über Atomkraft oder jassen wir lieber?

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Was geschah vor 50 Jahren in Kaiseraugst? Und was davon bleibt in Erinnerung?

Peter Schmid*

April 1975. Ein grauer, regnerischer Sonntag. Für einmal würde er nicht langweilig werden. Es stand nämlich ein Ausflug der etwas anderen Art auf dem Programm. «Heute fahren wir nach Kaiseraugst.» Aha. Wir wussten zwar nicht, wo das liegt, aber dass dort das Baugelände für ein Atomkraftwerk besetzt wurde, das hatten wir gehört. Wir selber wohnten an jenem Ort, wo der «Feind» herkam. In Baden! Ausgerechnet! Epizentrum der Elektrizitätswirtschaft. Mekka der Kernenergie. Aber meine Eltern stammten aus dem Fricktal. Und so waren sie hinund hergerissen: Als Badener loyal gegenüber den Zielen und Werten der bürgerlich geprägten aargauischen Wirtschaft und Politik. Als Fricktaler auch mitfühlend mit der betroffenen Bevölkerung, ihrer Besorgnis, ihrer aktuell misslichen Lage.

Also fuhren wir hin. Erster Eindruck: ein riesen Auflauf, Regenschirme, Matsch. Am Strassenrand standen Familienkutschen und Döschwos mit Aufklebern «ATOM-KRAFT? NEIN DANKE». Wir schlossen uns dem Sonntagsspaziergang der Neugierigen an. Zaungäste vermischten sich mit Besetzern. Letztere wohnten in Hütten, hielten Hühner im Vorgärtli, betrieben Volksküchen, organisierten Versammlungen. In der freien Natur oder bei Regen wie heute in einem Rundbau aus Holz, dem «Haus der Freundschaft». Ein Hauch von Woodstock, Hippie-Happening, Love and Peace. Mir gefiel das. Aber da war noch mehr: Kämpferische Reden wurden gehalten, Forderungen gestellt, die auf breite Zustimmung stiessen und beklatscht wurden. Um was genau ging es? Ich kapierte es nur halb. Man schimpfte: über Atompäpste (ich stellte mir den Petersdom mit Kühlturm vor), über die Elektrolobby, über Motor-Columbus. Gellende Pfiffe, anhaltende Buhrufe. Die Entschlossenheit war greifbar: Wir bleiben hier, solange es sein muss!

Als es dämmerte, fuhren wir heim. Kalte Füsse, nasse Kleider. Aber einiges von den hitzigen Voten blieb hängen und wirkte nach. Und die Fragen an die Eltern waren bohrend: Was heisst das, illegal? Warum sind da so viele? Und jetzt kommt dann die Polizei? Und führt alle ab? Und bringt sie wohin? Ins Gefängnis? Und was tun die alle später: die Besetzer, die Bauarbeiter und Baggerfahrer? Unsere Fragerei nervte und war ermüdend.

Und ganz ähnlich wirkte ja die Besetzung. Wie es weiterging, ist 50 Jahre danach recht gut dokumentiert. Wie clever die mächtig unterschätzten Organisatoren der Widerstandsaktion, die 11 Wochen dauern sollte, vorgingen. Nach dem Überraschungscoup fanden die jungen Linken im Nu in der ganzen Region die notwendige breite Unterstützung der Bevölkerung. Legendär sind die Geschichten von Grosis, die für ihre Besetzer-Enkel Kuchen backten, von Bankangestellten, die sich in der Suppenküche nützlich machten. Und zum Glück für alle kam es nicht zu einem gewaltsamen Eingreifen der Polizei. Wie auch? Sie war schlicht nicht auf einen solchen Einsatz vorbereitet. (Ganz anders verhielt es sich zwei Jahre später in Gösgen, wo die Atomkraftgegner mit Tränengas und Knüppeln vertrieben wurden).

Und so blicken wir 50 Jahre danach im Grenzgebiet zwischen Rheinfelden und Kaiseraugst auf ein nach wie vor brach liegendes Stück Land. (Eine Überbauung ist zwar geplant, aber ganz ohne AKW. Vielleicht wird hier eine Gedenktafel einmal darauf hinweisen, dass der regionale Widerstand zu stark war.) Heute blicken die Helden von damals nicht ohne Stolz auf die gelungene Aktion zurück, während ihre Gegner wieder vermehrt an die nukleare Zukunft glauben. Hatte man nach der Katastrophe von Fukushima in der friedlichen Nutzung der Kernenergie ein Auslaufmodell gesehen, so gehen die Diskussionen nun wieder los. Über Jahre trennte ein Riss die Gesellschaft in Befürworter und Gegner. Das brachte manch generationenübergreifendes Fest in Schieflage. Vielleicht muss bald wieder die rechtzeitig gestellte Frage den Familienfrieden retten: Was ist jetzt? Diskutieren wir über Atomkraftwerke oder jassen wir lieber?

Die heutigen Fragen:
1. Wer spielte in der «Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst», die am 1. April 1975 das AKW-Baugelände besetzte, eine zentrale Rolle?
a) Hans Soder
b) Paul Schröder
c) Peter Scholer

2. Wann wurden die Pläne für das AKW Kaiseraugst endgültig beerdigt?
a) 1975
b) 1988
c) 2010

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