«Die Hausarzt-Versorgung im Fricktal ist schlecht»

  26.04.2024 Gesundheit

Interview mit dem Rheinfelder Hausarzt Beat Rickenbacher

In der Schweiz werden zu wenig Hausärzte ausgebildet, kritisiert Beat Rickenbacher. Er führt in Rheinfelden eine Gemeinschaftspraxis. Aus seiner Sicht ist das Fricktal bereits unterversorgt mit Hausärzten. Diese Entwicklung bereitet ihm grosse Sorgen.

Valentin Zumsteg

NFZ: Herr Rickenbacker, Sie betreiben eine Gemeinschaftspraxis in Rheinfelden. Wie schwierig ist es heute, bei einer Vakanz neues Personal zu finden?
Beat Rickenbacher:
Es ist nicht einfach, gute Praxisassistentinnen zu finden. Aus meiner Sicht werden zu wenige ausgebildet. Aber in der Regel können wir in diesem Bereich freie Stellen noch innert nützlicher Frist besetzen. Anders präsentiert sich die Situation bei den Hausärzten, dort ist es ganz schwierig: Seit über einem Jahr würden wir gerne zwei neue Hausärztinnen oder Hausärzte anstellen, aber wir finden keine. Wir arbeiten mit einer spezialisierten Firma zusammen, doch die Suche verlief bislang erfolglos. Der Bedarf ist bei uns hingegen sehr gross. Wir sind in unserer Gemeinschaftspraxis aktuell vier Hausärzte und ein Geriater. Derzeit können wir keine neuen Patientinnen und Patienten aufnehmen, da wir am Limit laufen. Ich arbeite durchschnittlich 14 Stunden pro Tag, mehr geht nicht.

Woran liegt es, dass es zu wenig Hausärztinnen und Hausärzte gibt?
Das hat schon vor 20 Jahren begonnen. Als ich Medizin studierte, gab es bereits zu wenig Ausbildungsplätze. Seither hat sich die Situation nicht verbessert. Das zweite Problem ist die mangelnde Attraktivität des Berufs: Als Hausarzt braucht es viel Idealismus. Wir arbeiten viel mehr als andere Spezialisten. Vor allem der administrative Aufwand hat dramatisch zugenommen. Rund ein Drittel meiner Arbeitszeit entfallen auf diesen Bereich. Früher war das deutlich weniger. Der dritte Punkt ist der Verdienst: Seit mehr als 20 Jahren gibt es keinen Teuerungsausgleich beim Tarif. Spezialisten verdienen deutlich mehr als Hausärzte; würde man dies ändern, gäbe es vermutlich mehr Hausärzte.

Haben Sie auch weniger Zeit für die Patienten?
Ich nehme mir die Zeit für die Patienten. Ich arbeite nicht anders als vor 20 Jahren, der grössere Aufwand für die Administration kommt einfach dazu. Das ist das, was ich mit Idealismus meine. Es braucht Zeit für Patienten.

Wären Sie für eine Aufhebung des Numerus clausus beim Medizinstudium in der Schweiz?
Ja, das würde ich befürworten. Aber natürlich müssen gleichzeitig mehr Studienplätze geschaffen werden. Es bräuchte rund doppelt so viele wie heute. So eine Ausbildung ist aber teuer, sie kostet zwischen 600 000 und einer Million Franken. Das müsste der Staat bezahlen. Heute profitiert die Schweiz davon, dass Ärzte aus dem Ausland hier arbeiten. Ohne deutsche Mediziner könnten wir die Spitäler in der Schweiz wahrscheinlich nicht mehr betreiben.

Wo sehen Sie weitere Möglichkeiten, um das Problem zu lösen?
Der Tarif müsste erhöht werden. Vor allem das hausärztliche Gespräch mit dem Patienten und die Beratung sind im heutigen Tarif nicht genügend abgebildet. Eigentlich müsste das so viel kosten wie zum Beispiel beim Kardiologen der Herz-Ultraschall. Das ist unser Fachgebiet, das müsste am meisten wert sein. Längerfristig wäre das günstiger, als wenn die Patienten immer gleich zum Spezialisten rennen.

Wie beurteilen Sie die Hausarzt-Versorgung im Fricktal?
Schlecht. Wir haben einen deutlichen Hausärztemangel. Allein in unserer Praxis erhalten wir täglich zwischen fünf und zehn Anrufe von Patienten, die einen Hausarzt suchen. Wir können sie leider nicht alle aufnehmen, höchstens zwei bis drei pro Woche. Das hat zur Folge, dass solche Patienten öfter in den Notfall des Spitals gehen. Entsprechend ist die Notfallstation des Spitals Rheinfelden in den vergangenen zehn Jahren massiv gewachsen. Die Notfallstationen betreiben eine teure Medizin, da sie den Patienten nicht kennen.

Das Gesundheitszentrum Fricktal hat auch schon einige Hausarzt-Praxen übernommen. Ist das aus Ihrer Sicht eine gute Entwicklung?
Das ist eine schlechte Entwicklung. Denn es bedeutet eine Verstaatlichung der Hausarzt-Medizin. Ich bin sehr dagegen. Diese Hausärzte werden vom Spital bezahlt – und das Spital vom Kanton. In meinen Augen ist das unlauterer Wettbewerb. Wir können es den Spitälern natürlich nicht verbieten. Die Lösung wäre auch hier, dass es genügend Hausärzte gibt, die selbständig eine Praxis übernehmen wollen.

Die Krankenkassen-Prämien steigen kontinuierlich und bereiten vielen Menschen Sorgen. Sehen Sie Möglichkeiten, wie die Kosten eingedämmt werden könnten?
Das geht nur, wenn die Leistungen eingedämmt werden. Das ist natürlich unpopulär. So lange wir eine Spitzenmedizin für alle anbieten wollen, so lange werden die Kosten weiter steigen. Die Alternative ist eine Zwei-Klassen-Medizin. Das geht nicht.

Was können die Hausärzte beitragen, um die Kosten nicht weiter steigen zu lassen?
Gut beraten. Hausärzte halten die Patientinnen und Patienten davon ab, unnötige Behandlungen zu machen und ständig zu irgendwelchen Spezialisten zu gehen.

Könnte die Telemedizin helfen?
Telemedizin gibt es schon seit vielen Jahren. Hier sind die Möglichkeiten aber limitiert. Wenn jemand zum Beispiel einen Hautausschlag hat , dann muss der Arzt dies selbst sehen, bevor er etwas verschreiben kann. Über den Bildschirm ist das sehr schwierig.

Wo sehen Sie Chancen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Medizin?
Sie kann helfen, zum Beispiel bei der Auswertung von Röntgenoder MRI-Bildern. Aber auch hier ist der Einsatz limitiert: Der Mensch ist keine Maschine. Medikamente beispielsweise wirken nicht bei allen Menschen gleich, ich sehe das immer wieder. Medizin ist immer individuell. KI kann niemals den Arzt ersetzen – und den Hausarzt schon gar nicht. Es wird auch weiterhin das Gespräch mit dem Patienten brauchen.

Zum Schluss: Die Einwohnerzahl steigt, die Zahl der Hausärzte sinkt. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
Für die Bevölkerung ist das besorgniserregend. Wenn die Entwicklung so weitergeht, dann wird es künftig immer mehr Leute geben, die keinen Hausarzt mehr haben. Auch das ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, welche es zu vermeiden gilt.


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