Bauen auf 6000 Jahren Siedlungsgeschichte

  06.06.2023 Herznach

Auf eine Situation wie im Gebiet Burgmättli an der Burghaldenstrasse in Herznach treffen die Archäologen im Kanton Aargau nur alle zehn Jahre. Vier Epochen sind auf dem Areal während der Aushubarbeiten für eine grosse Überbauung freigelegt worden.

Susanne Hörth

«Hey schau, ich habe was gefunden!» Archäologe David Wälchli folgt umgehend dem Ruf seines Berufskollegen und nimmt das ihm entgegenstreckte kleine Tonstück in die Hand. Die Verzierungen auf der Scherbe begutachtet er genau und meint dann schliesslich: «Wahrscheinlich von einem Glockenbecher.» Dem verständnislosen Blick der Schreibenden begegnet er mit der Erklärung, es handle sich dabei um einen Gegenstand vom Ende der Jungsteinzeit, was etwa den Zeitraum 2400 bis 2200 vor Christus umfasst.

Die Tonscherbe ist nur eines von mehreren Fundstücken, die bei den zurzeit stattfindenden Aushubarbeiten für eine grosse Überbauung in der Burghaldenstrasse in Herznach zu Tage gebracht werden. «Wir finden hier immer wieder Spuren von Feuersteinbearbeitung», meint Wälchli. Die Archäologen gehen davon aus, dass die Menschen vor etwa 6000 Jahren die in der Umgebung vorkommenden Feuersteine gesammelt, sie mit ins Gebiet der heutigen Burghalden-/Baumgärtlistrasse genommen haben, um hier dann Gerätschaften herzustellen. David Wälchli zeigt auf eine fein ausgearbeitete, wenige Zentimeter grosse Pfeilspitze oder ein Werkzeug, welches aufgrund seiner Form auf eine Ahle zum Lochen von Leder deuten lässt.

Für die Kantonsarchäologie ist der Herznacher Bauplatz vergleichbar mit einer Schatzkammer, bei der immer wieder neue Überraschungen hervorkommen. Die verschiedenen, aus rund vier Epochen stammenden Fundstücke sind wie Mosaiksteinchen, die sich am Schluss zu einem aufschlussreichen Ganzen zusammenfügen.

Strasse aus dem frühen Mittelalter
Stolz sind Wälchli und sein Team zudem auf eine besondere Entdeckung: eine rund drei Meter breite Strasse, die parallel zu der Burghaldenstrasse verläuft. Sie wird von den Fachleuten dem frühen Mittelalter zugeordnet. Eine Strasse, bestehend aus vielen, ähnlich grossen Steinen, die dicht nebeneinander platziert wurden. Eine Strasse auch, die unter mehreren Erdschichten des Baugeländes überraschend gut erhalten ist. «Strassen dieser Epoche werden nur sehr selten entdeckt», verdeutlicht die Kantonsarchäologie die Bedeutung dieses Fundes.

Die riesige Baggerschaufel hat die Steinstrasse letzte Woche zwar freigelegt, jedoch nicht beschädigt. «Wir wussten ja schon im Vorfeld, dass wir vorsichtig sein müssen», erklärt der Baggerführer. Darauf David Wälchli: «Die Begleitung durch die Kantonsarchäologie während der Aushubarbeiten war Teil der Baubewilligung.» Durch frühere Entdeckungen in der näheren Umgebung wurde das Baugelände bei der Burghaldenstrasse bereits als sogenannte Verdachtsfläche eingestuft.

«Oft ist es ein Bauchgefühl. Ein Suchen nach der Nadel im Heuhaufen», so Wälchli. Das Bauchgefühl stimmte und gefunden wurde bisher mehr als nur eine Nadel. Es sind Zeitzeugen, die den Menschen heute auf einem einzigen Areal 6000 Jahre Siedlungsgeschichte zu erzählen vermögen. «Eine Situation wie hier gibt es im Aargau nur etwa alle zehn Jahre», betonte der ebenfalls von der Kantonsarchäologie anwesende Matthias Flück. Sind die Archäologen da vor Ort, wo eigentlich gebaut werden soll, halten die Bauherren in der Regel den Atem an. Kommt es zu Zeitverzögerungen, Baustopps? Bauherr Martin Schnetzler winkt ab und meint mit Blick auf die frühmittelalterliche Strasse: «Das hier ist sehr interessant. Es ist eine gewaltige Strasse für damalige Zeiten.» Zudem weiss Schnetzler auch, lange wird sie nicht mehr sichtbar sein, sondern schon bald für die neue Überbauung mit 74 Wohnungen, davon 53 Mietund 21 Eigentumswohnungen, weichen müssen. Deren künftige Bewohner schreiben dann weiter an einer schon heute 6000 Jahre alten Siedlungsgeschichte.


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