Treffpunkt Natur pur

  28.04.2024 Gipf-Oberfrick

Mit und ohne Bluescht einfach schön

 

Der Chriesiweg, ein besonderer Ort

 

Ein Treffpunkt nicht nur für Leute aus dem Dorf, sondern zur Bluescht- und Obstzeit vor allem einer für Leute von überall her, ist der Chriesiweg in Gipf-Oberfrick. Über diesen Publikumsmagneten, die Rolle von TikTok und Co., aber auch das Leben ganz allgemein, darüber reden Verena Buol Lüscher und Kaspar Lüscher beim Treffen mit der NFZ auf eben dem Chriesiweg.

Susanne Hörth

«Sind wir richtig, Geht es hier zum Chriesiweg?» Die beiden älteren Damen wenden den Blick von der nach oben verlaufenden Strasse weg hin zu Verena Buol Lüscher und Kaspar Lüscher. Er: «Ja, da sind Sie richtig.» Sie ergänzt: «Wenn Sie diesen Weg wählen, gehen Sie einfach in der umgekehrten Richtung.» Das mache nichts, im Gegenteil, sagt eine der Frauen. Andersherum habe sie ihn schon früher einmal gemacht. «Ich komme von Winterthur», geht sie auf die Frage von Kaspar Lüscher ein.

Der Chriesiweg in Gipf-Oberfrick beginnt nicht weit entfernt vom Zuhause des Ehepaars. Wir sind neben den beiden Frauen nicht die einzigen, die sich an diesem sonnig-warmen Freitag mitten im April, für eine Wanderung auf dem Chriesiweg entschlossen haben. Wir begegnen Familien, Paaren, Wandergruppen und immer wieder auch Einzelpersonen, die sich das geballte Blüten-Erlebnis in schönster Hügellandschaft nicht entgehen lassen wollen. «Heute ist es absolut heilig. Am letzten Wochenende kamen die Leute zu Tausenden. Unser Dorf war ein einziger grosser Parkplatz», erzählt Verena Buol Lüscher. Es sei faszinierend, ein Phänomen, speziell, manchmal auch ein wenig komisch, so das Ehepaar. Wann der Run begonnen habe, wissen sie nicht. Irgendwann sei es plötzlich losgegangen und der Chriesiweg oberhalb von Gipf-Oberfrick wurde zum beliebten, touristischen Publikumsmagneten. An warmen Wochenenden, wie eben beispielsweise dasjenige direkt vor unserem Treffen, ist sogar ein Sicherheitsdienst im Einsatz.

Randzeiten
Wie viele der Gipf-Oberfricker Bevölkerung trifft man Verena Buol Lüscher normalerweise am frühen Morgen oder anderen Randzeiten auf dem Rundweg oberhalb des Dorfes an. «Dann walke ich bis zum Rastplatz mit der Grillstelle hinauf, halte hier und fange die Luft.» Mit ausholenden Armbewegungen zeigt sie, was sie meint. Nachahmen lohnt sich, denn die Luft lässt sich nicht nur einfangen, sondern befreit beim gleichzeitigen Ein- und Ausatmen den Kopf. Zumindest einen schönen Augenblick lang.

Kaspar Lüscher ist kein Walker. Vielmehr lässt er sich beim Gehen entlang der Obstbäume von seinen Gedanken treiben. Neue Ideen, etwa für ein Theaterstück, ein Buch, eine Kolumne oder einer Erzählung entstehen, nehmen Form an…

«Grüezi», unterbricht er unser Gespräch. Er tut es in regelmässigen Abständen, um andere Spaziergänger zu grüssen. «Grüezi sagt man immer», meint er. Die meisten Leute tun es ihm gleich. Auch jene auf den Velos. Diejenigen, die kein Schwizerdütsch verstehen, nicken freundlich zurück. Für Gesprächsunterbrüche, vielmehr für spontane Begeisterung, sorgen auch immer wieder die schöne Landschaft mit den blühenden Bäumen, die mit gelben Blumen übersäten Wiesen und die grünen Hügeln.

Wir setzen uns unter zwei Hochstammbäumen auf ein Bänkli. Das Gras ringsum ist kurz gemäht. «Die Landwirtinnen und Landwirte sowie unser Bauamtsteam sorgen stets dafür, dass die Rastplätze entlang des Weges so schön daherkommen», meint Verena Buol Lüscher sichtlich stolz. In diesem Moment spricht die Gemeindepräsidentin in ihr mit. Ein Amt, das sie gerne innehat, sie fordert und erfüllt. Sie gehört zu jenen Menschen, die sich vollkommen mit dem, was sie tun, identifizieren. Selbst erklärt sie es mit: «Ich lebe das, was ich schaffe, und ich schaffe das, was ich lebe.» So hat sie es auch als ehemalige Gipf-Oberfricker Schulpflegepräsidentin und auch als höchste Aargauer Schulpf legerin gehandhabt. Ebenso bei der früheren Arbeit bei der Fricker Arbovitis.

Eins werden mit seinem Schaffen gilt ebenfalls für Kaspar Lüscher. Sein Wirkungskreis ist jedoch ein ganz anderer als der seiner Frau. Als Autor, Schauspieler und Geschichtenerzähler ist er stets am Beobachten, Zusammenfügen, Auseinandernehmen und neu Arrangieren von Inhalten für nächste Werke. Gerade eben schreibt er für das 100-Jahre-Jubiläum der Spitex Magden eine Geschichte. Bald wird er auch aus seinem ersten, eigenen Roman vortragen können. Wenn er jetzt gerade spontan eine Geschichte erzählen müsste, wovon würde die handeln? Lüschers Antwort: «Von Lucullus. Dem Mann, der vor langer Zeit das Chriesi von Kleinasien nach Europa gebracht hat.»

Weitere Spaziergänger setzen sich auf das Bänkli neben uns. Wir gehen weiter, weichen einem Japaner aus, der ausgerüstet mit grossem Fotoapparat und Stativ seiner Begleiterin nacheilt, die bereits weiter vorne dabei ist, mit dem Smartphone Selfies zu machen. Der Chriesiweg in Gipf-Oberfrick wird gut beworben. Etwa vom Jurapark Aargau. Die Leute erfahren es auch über andere Kanäle. Verena Buol Lüscher und Kaspar Lüscher sind überzeugt, dass das Internet, insbesondere die sozialen Medien, einen grossen Teil dazu beitragen. «Er ist sogar auf TikTok», sagt er. Sie: «Und auch überall sonst. Gib mal Hashtag Chriesiweg Gipf-Oberfrick im Netz ein.» Am Abend zuvor haben sie im Fernsehen eine Doku über TikTok und Co. gesehen. Zwischen den Eheleuten entbrennt eine Diskussion über Sinn und Unsinn dieser Plattformen, das Internet und das Smartphone allgemein sowie die ständige Erreichbarkeit. Manchmal ist es ein Geplänkel, dann wieder eine ernsthafte Diskussion, im nächsten Moment ein liebevolles Necken.

Gemeinschaft
Einander Freiraum geben, sich gegenseitig zuhören, des anderen wichtigster Kritiker zu sein, ist Teil der gut funktionierenden Partnerschaft der beiden. Sie, die linke Politikerin und er, der freischaffende Schauspieler und Autor, haben sich schon vor langer Zeit für ein unkonventionelles Leben entschieden. Vertrauen, Zuversicht, sich gegenseitig bestärken und aneinander glauben sind in der Familie Lüscher-Buol gelebte Werte. Vielleicht mit ein Grund, weshalb sich auch die beiden längst erwachsenen Kinder für unübliche Berufswege entschieden haben. Der Sohn ist gelernter Bootsbauer und arbeitet heute im Opernhaus Zürich als Bühnentechniker. Die Tochter ist ausgebildete Schauspielerin und wie ihr Vater Kaspar, regelmässig auf der Bühne zu erleben. «Wir haben ihre Entscheide stets unterstützt», so die sichtlich stolzen Eltern.

Mittlerweile sitzen wir wieder unter einem Chriesibaum. Weiter unten blühen zahlreiche Apfelbäume. Ihr Anblick erinnert Verena Buol Lüscher, als sie als einziges Mädchen an der Erstkommunion keinen weissen Blütenkranz in den Haaren trug, sondern einen mit rosa Apfelblüten. «Tue nicht so, als ob Du diese Geschichte das erste Mal von mir hörst», gibt sie ihren Mann einen leichten Stupser gegen die Schulter. Er hat den Worten seiner Frau mit grossen, sehr erstaunten Augen gelauscht. Ja, so ein Treffen auf dem Chriesiweg lässt auch Erinnerungen laut werden und gibt Raum für schöne Gespräche.


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