Die Damen bewegten

  21.08.2021 Möhlin

Das Erbe der Klärli Ackermann
Der Damenturnverein Möhlin wird 100 – die Geschichte ist noch nicht zu Ende

 

Man hat die Nase gerümpft, die Hände verworfen, damals, vor einhundert Jahren: turnende Mädchen? Also bitte! Dennoch kam es zur Gründung des DTV Möhlin. Zeit für ein Gespräch mit den aktuellen Präsidentinnen.

Ronny Wittenwiler

Dies, geschätzte Damen (und Herren), ist allerbeste Unterhaltung: Wer sich einmal durch die Chroniken liest, kommt aus dem Staunen und Schmunzeln nicht mehr heraus. Dabei, so steht es geschrieben, wurden damals auch viele Tränen vergossen, Tränen während des Kämpfens gegen all die Widrigkeiten und Widerstände, die sich Frau und Fräulein ausgesetzt sahen. «Was? Turnen und Umherhüpfen? Arbeiten sollen die Mädchen und sich nicht mit Spielen vor der Arbeit drücken!» Besonders Klärli Ackermann musste sich einiges anhören, als sie vom Oberdorf bis Riburg für diese eine Sache weibelte.

Einhundert Jahre später lächeln Sandra Soder und Evelyne Kull in die Kamera, sie sind, das darf man so formulieren, Fräulein Ackermanns Erben, und Soder und Kull wollen auch, dass diese Geschichte hier nicht endet. «Natürlich», so erklären die beiden Co-Präsidentinnen, das bisherige Erbe sei auch ein wenig Verpflichtung für die Zukunft. Kull und Soder werden den Damenturnverein Möhlin über die Schwelle in dessen nächstes Jahrhundert führen.

Eine sportliche Institution
Der Unkenrufe von damals zum Trotz. Im DTV freilich wird nicht einfach ein bisschen umhergehüpft. Eine Bestandesaufnahme im Jubiläumsjahr 2021 zeigt einen Verein, der vielfältig unterwegs ist, mit Schnurball und Korbball, ganz spezifisch, in den Bereichen Aerobic, Fitness und polysportiv ganz allgemein. Hinzu kommt die Jugendabteilung – die klassische Jugi – mit knapp einhundert Mädchen und Buben, welche der DTV Möhlin betreibt, Geräte- und Barrenturnen inklusive. Der DTV ist also eine sportliche Institution im Dorf, und wie das nun mal so ist bei Institutionen und Vereinen, ist die eigene Geschichte eine von Höhen und Tiefen.

Eine Art Aufbruch
Vor ein paar Jahren war es, da taten sich beim Besetzen der Führung Probleme auf, die Suche nach potenziellen Vorstandsmitgliedern fruchtete nur wenig. Auch Gespräche mit dem Frauenturnverein über einen möglichen Zusammenschluss soll es gegeben haben. Heute präsentiert sich die Situation im Damenturnverein Möhlin weitaus entspannter und alles sogar wäre angerichtet gewesen. Sich selbst ein bisschen und vor allem gemeinsam mit anderen wollte man diesen November feiern – man wird schliesslich nicht alle Tage einhundert Jahre alt. Wegen Corona allerdings wird die Party verschoben, neuer Termin: November 2022. Vorgesehen ist ein grosser Turnerabend, der auch ein wenig sinnbildlich für den Aufbruch und das kollektive Engagement in den eigenen Reihen des DTV Möhlin steht. Man hatte den Turnerabend plötzlich wieder aufleben lassen im Damenturnverein, 2016 zum ersten und 2018 zum zweiten Mal in jüngerer Zeit.

Es ist das Gemeinschaftsgefühl, das die Damen in diesem Turnverein bewegt, es sind Freundschaften, die einander zusammenbringen, jeden Donnerstagabend in die Mehrzweckhalle, selbst dann, wenn manchmal und besonders in den Wintermonaten der innere Schweinehund auch gleich mitturnt, die Runde aber sowieso immer frühzeitig verlässt. Ein Vergleich dieser Art kommt von Evelyne Kull und Sandra Soder lacht, damit pflichtet sie ihrer Kollegin bei; noch gehören die beiden Co-Präsidentinnen nicht zum alten Eisen, ein bisschen aber zum Inventar, das den Damenturnverein über die Schwelle ins nächste Jahrhundert führt. Die Herausforderungen werden dieselben sein, wie sie es jetzt sind.

«Wollen den Verein verjüngen»
64 Frauen stehen aktuell auf der Liste beim DTV Möhlin und das klingt ordentlich, doch es kommt das grosse Aber: Von diesen 64 Frauen turnen derzeit deren 37 mehr oder weniger aktiv mit. «Der Rest sind Ehren- oder Passivmitglieder oder Leiterinnen», sagt Sandra Soder. Gerade bei den Erwachsenen im DTV fehlt es immer wieder an Nachwuchs. Es sind die jungen Frauen irgendwo zwischen sechzehn und dreissig Jahren, die dem Verein abgehen und die man aber durchaus gerne in den eigenen Reihen wüsste. Hätten Kull und Soder, beide Mittvierziger, die Lösung für dieses Problem – wohl manch anderer Verein im 2021 wäre daran interessiert.

Der Diskussion jedenfalls verschliesst man sich nicht. «Wir wollen den Damenturnverein verjüngen», sagt Soder, entsprechend denkt man innerhalb des Vereins über die Schaffung neuer polysportiver Angebote nach, ein solches richtet sich nun ganz neu explizit an Frauen ab sechzehn Jahren. Denn für Evelyne Kull und Sandra Soder, die beiden Co-Präsidentinnen seit nunmehr fünf Jahren, ist klar: Genau wie sich die grosse Welt da draussen weiterdreht, genauso sehr wandelt sich der kleine Kosmos eines Turnvereins – ohne allerdings zu vergessen, woher man kommt. Der DTV Möhlin kam vor einhundert Jahren aus tiefer Überzeugung heraus, dass Mädchen und Frauen viel mehr können, als sich von irgendjemandem sagen zu lassen, was sie nicht tun sollten. Man hat zwar die Nase gerümpft, die Hände verworfen, damals, vor hundert Jahren: turnende Mädchen? Also bitte!

Fräulein Ackermann hatte sich von all diesen Widerständen emanzipiert. Sie war anno 1921 Gründerin und gleichzeitig erste Präsidentin des Damenturnvereins Möhlin. Und jetzt, im Sommer 2021, lächeln mit Evelyne Kull und Sandra Soder zwei ihrer Erbinnen in die Kamera. Die Geschichte ist für den DTV Möhlin noch nicht zu Ende.


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