«Der Mensch handelt ethisch, wenn er darf»

  02.10.2019 Kommende Events

Beat Kappeler referiert in Frick zu Markt und Ethik

Der mehrfach ausgezeichnete Ökonom und Buchautor Beat Kappeler geht am 5. Oktober auf Einladung der Odd Fellows in Fricks Monti der Frage nach «Ist der Markt ethisch oder zerstört er Ethik?». Die NFZ wollte bereits vorher wissen, wie es denn so ist mit der Ethik.

Simone Rufli

NFZ: Beschreiben wir die Gesellschaft von heute, fallen mitunter die Stichworte Ellbogengesellschaft, Egoismus, Profitgier, Masslosigkeit. Auch von sozialer Kälte ist die Rede. Ist der Mensch heute noch gewillt, ethisch zu handeln?
Beat Kappeler:
Das sind tatsächlich nur Stichworte, eher auch Schlagworte. War es früher besser? Schlechter? Es war eben etwa so wie heute, wie wir klar wissen. «Der Mensch» handelt ethisch, wenn er darf, wenn also die Rahmenbedingungen so sind, dass man nicht mit Messern kämpfen muss. Das war aber fast immer so, die Gesellschaften in der Geschichte haben sich immer auf Dauer eingerichtet, Kriege sind die Ausnahme.

Von wegen Gier – es sind immer die anderen, vor allem die Unternehmer. Was aber ist mit den Entlebucher, Bündner und Appenzeller Bauern, die steile Hänge abholzen bis die Erde rutscht? Was ist mit den Lehrern, die für und gegen Zehntels-Anteile der Pensen, oder um Lohnpromille maulen? Oder Macron, wenn er die Schulden Süd- und Westeuropas vergemeinschaften will?

Unsere Wirtschaft lebt von Wettbewerb und Konkurrenz. Wenn ein Unternehmen nach Gewinn strebt und erfolgreich ist, kann es wachsen und neue Arbeitsplätze entstehen. Streben nach Gewinn ist also nicht a priori schlecht – wenn das Streben innerhalb einer ethischen Rahmenordnung stattfindet...
Jeder Markt setzt Eigeninteresse der Akteure voraus – und siehe da, jeder macht nur Geschäfte, wenn er auf die Eigeninteressen der Gegenseite eintritt. Das ist die Ethik des Marktes, nicht beabsichtigt, aber gegenwärtig. «Rahmenordnung» sind ZGB, OR, StGB, Konkursrecht, Wettbewerbsrecht. Das ist offiziell, wurde abgestimmt, kann klar nachgelesen werden. Kein Schmus durch Ethik-Kommissionen, selbsternannte Moralisten, Governance-Papierchen.

Stehen Marktwirtschaft und Ethik also gar nicht in einem Widerspruch?
Überhaupt nicht. Wie auf allen andern Gebieten der Betätigung, etwa Sport, Ehe, Spiel, ist auch auf dem Markt die Gewalt untersagt. Eben ZGB und StGB. Der Rest ist Freiheit.

Tatsache ist aber auch, dass Ethik nicht überall auf der Welt den gleich hohen Stellenwert geniesst wie bei uns. Besteht in der globalisierten Wirtschaft, wie wir sie heute erleben, nicht die Gefahr, dass Unternehmen das Nachsehen haben, wenn sie ethische Vorgaben einhalten, während andere Unternehmen sich nicht um solche Vorgaben kümmern oder ihnen ausweichen, indem sie ihren Sitz verlegen? Oder anders formuliert: Je mehr ethische Richtlinien, umso grösser die Gefahr von Arbeitsplatzverlust?
Das klingt sehr nach dem heutigen deutschen Moralisieren. Warum wären wir hier ethischer? Und warum die von hiesigen Ethikern aufgestellten Vorschriften allen anderen Kulturen auferlegen? Etwa Europas Osten? Oder wenn beispielsweise in gewissen Kulturen «Anerkennungen» üblich sind bei Bestellungen, warum dann unsere Firmen hier oder in den USA dafür einklagen? Wenn es um gröbere Ausrutscher geht, dann ruiniert sich eine Gesellschaft selbst. Wer macht mit Venezuela noch Geschäfte? Und ein Finanzoder Produktionsstandort gewinnt Zuzüger und Arbeitsplätze, wenn er voraussehbare, gleich lange Spiesse anbietet.

Wer bestimmt eigentlich, was ethisch ist? Muss man nicht vorsichtig sein mit allgemeingültigen Richtlinien? Ein Beispiel: Kinderarbeit generell als unethisch zu bezeichnen kann die Armut in gewissen Ländern verschlimmern. Kinderarbeit verbunden mit Zugang zu Gesundheitsversorgung und stundenweisem Schulbesuch kann das Leben einer Familie möglicherweise markant verbessern.
Genau, man muss vorsichtig sein. Moral ist nicht verhandelbar, daher beschränkt man die Handlungsanleitungen eben auf das, was offiziell abgemacht ist: OR, ZGB, StGB. Auch Einwanderer sollen sich an diese Gesetze inklusive Familienrecht halten, an die republikanische Gleichheit der Verfassung ohne Gruppenausnahmen. Aber der Rest geht niemanden etwas an.

Wer ist in der globalen Weltwirtschaft in der Lage, bzw. befugt, das marktwirtschaftliche Verhalten auf Ethik hin zu überprüfen?
Auch hier die offiziell abgemachten Satzungen – WTO, Abkommen, Financial Stability Board etc. Hoffentlich sonst niemand. Das Ergebnis wäre eine moralinsaure Dampfwalze aus westlicher Küche. Ayatollas, der Heilige Stuhl, Greta Thunberg sind freiwillig.

Sanktionen für unmoralisches Verhalten oder Belohnung für ethisches Verhalten – was ist erfolgversprechender?
«Voice and exit» belohnen und sanktionieren, sagt Albert O. Hirschman, also Gesetze, Wahlen und die Freiheit, mit Schurken keinen Markttausch zu pflegen.

Beat Kappeler, «Ist der Markt ethisch oder zerstört er Ethik?», 5. Oktober, 10.30 Uhr in Fricks Monti. Der Eintritt ist frei, Reservationen unter 12-rheinfelden@oddfellows.ch 
Der Vortrag wird von der Waldstadt-Loge Nr. 12 in Rheinfelden organisiert. Das Einzugsgebiet der Loge, die 1992 als 12. Loge des politisch neutralen Ordens «Odd Fellows Schweiz» gegründet wurde, umfasst hauptsächlich die Bezirke Laufenburg und Rheinfelden. Die Odd Fellows sind eine internationale Vereinigung, politisch und konfessionell ungebunden. Ihre Grundhaltung beruht auf der Aufklärung, mit fortschrittlichem Denken und Handeln.

www.oddfellows.ch


Was ist Ethik?

Ethik setzt sich mit den Bedingungen des menschlichen Zusammenlebens und mit dem menschlichen, moralischen Handeln auseinander. Ethik versucht, Handlungsempfehlungen, gültige Normen und Werte zu definieren. Ethik ist ein Teilgebiet der Philosophie. Das Wort leitet sich vom altgriechischen «ethos» ab, das man mit Gewohnheit, Sitte und Brauch übersetzen kann. Der griechische Denker Sokrates (469- 399 vor Christus) rückte die Fragen der Ethik erstmals in den Mittelpunkt der Philosophie. Aristoteles (384-322 vor Christus) führte die Ethik schliesslich als eigenständige philosophische Disziplin ein. (sir)


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