Schranken überwinden

  27.09.2018 Frick

Mit Augenbinde und Blindenstock einkaufen gehen oder im Rollstuhl Basketball spielen: die blinde Regula Schütz und der gelähmte Rolf Acklin gaben den Fricker Oberstufenschülern spezielle Einblicke in ihren Alltag.

Susanne Hörth

«Ich bin blind», sagte Regula Schütz. Die Bernerin sass im Kreis mit einer Gruppe Fricker Oberstufenschülern. «Deshalb müssen wir gleich von Anfang an Regeln aufstellen. Nicht nicken oder die Hand nach oben strecken, wenn ich etwas sage oder frage. Redet immer mit mir.» Sie lachte. Ein ansteckendes Lachen, das den jungen Leuten gleich ein wenig die Schwellenangst nahm. Jene Schwelle, die sich oft automatisch ergibt, wenn das Gegenüber eine Behinderung hat. «Schranken abbauen» unter diesem Motto steht die laufende Projektwoche der Oberstufe Frick. Schranken zu Menschen mit Behinderungen abbauen, möchte auch Procap Schweiz. Mit ihrem Projekt «Mal seh’n» geht sie in Schulklassen. Genauer sind es Procap-Moderatoren, die mit Seh-, Hör- und Mobilitätsbehinderungen leben und mit ihren Schulbesuchen dazu beitragen wollen, das gegenseitige Verständnis zu fördern.

Am Montag und Dienstag weilten so auch die blinde Regula Schütz und der im Rollstuhl sitzende Rolf Acklin bei den Fricker Schülern und verbrachten mit ihnen spannende, kurzweilige und erlebnisreiche Stunden.

Alles erledigen, aber nichts sehen
Zurück im Schulzimmer mit Regula Schütz. Sie wollte von ihren gespannt lauschenden Zuhörern wissen, was diese denn in den Stunden mit ihr erfahren möchten. «Ich möchte etwas aus dem Alltag der Blinden lernen», «Wie kauft ein blinder Mensch ein» oder aber auch «Ich möchte, dass wir es auch lustig miteinander haben» waren die Reaktionen darauf. Sie sei nicht von Geburt an blind gewesen, erzählte die Moderatorin. Es sei eine Augenkrankheit, die sie nach und nach habe erblinden lassen. Im Elternhaus, beantwortete sie eine Schülerfrage, sei ihre Sehschwäche kein allzu grosses Thema gewesen. «In der Schule konnte ich es sehr gut verstecken.» Meistens, fügt sie mit einem Lächeln an. Sie lernte Kindergärtnerin, konnte den Beruf aber nicht lange ausüben. Und sie lernte ganz intensiv, mit ihrer Sehbehinderung umzugehen, mit ihr zu leben.

Heute arbeitet die 52-Jährige in einem 50-Prozent-Job im Büro, gibt Unterricht in der Blindenschrift – «eine richtig super Sache!» und «ich mache Schulbesuche, wie jetzt in Frick».

Sie erklärte den Schülern, dass sie unter anderem Dank elektronischer Hilfsmittel, etwa einem Farberkennungsgerät und ihrem sprechenden Handy, den Alltag gut meistern kann. Wie ein Ausschnitt aus einem solchen Alltag aussehen kann, erlebten die Schüler dann anschliessend auf dem Weg zur Migros, beim Einkaufen und Bezahlen dort und später sogar beim Zubereiten einer Mahlzeit. Und das mit Augenbinde und Blindenstock. In Zweiergruppen – ein Schüler als Blinder, einer als Begleitperson – wurde diese nicht einfache Aufgabe gemeistert. Unterstützung erhielten die jungen Leute dabei auch von ihrer Moderatorin. Sie gab immer wieder gute Ratschläge und machte auf Dinge aufmerksam, die ein Sehender sonst gar nicht wahrnimmt.

Gleichzeitig Rollstuhl lenken und Ball spielen
Welche Hürden einem Rollstuhlfahrer an ganz vielen Orten begegnen, erlebten die Schüler einer anderen Gruppe. Auch sie erfuhren von ihrem Moderator zuerst etwas über dessen Leben. Rolf Acklin hatte als 18-Jähriger auf der Staffelegg einen schweren Motorradunfall. Er war danach von der Brust abwärts vollständig gelähmt. Aufgeben war für ihn keine Option. Er kämpfte sich zurück ins Leben, arbeitet heute in einem Teilzeitpensum bei Heks in Aarau. Und er ist Spielertrainer bei den Highland Bulls Züri Oberland. Zudem Rollstuhltrainer an einer Schule für Menschen mit einer Behinderung. Weiter gehört er als aktiver Spieler auch dem Tischtennisclub Aarau an. Und wie Regula Schütz trifft man ihn regelmässig als Moderator in den Schulen an.

Dass selbst eine kleine Schwelle zu einem schier unüberwindbaren Hindernis werden kann, erfuhren die Oberstufenschüler bereits, als sie – jeder in einem Rollstuhl sitzend – vom Schulhaus hinaus auf dem Pausenplatz fahren wollten. Kraft und Geschicklichkeit, aber ganz besonders die richtige Anwendung des Rollstuhls waren nötig. Nach dem Üben unter freiem Himmel war dann Sport in der Turnhalle angesagt.. Hier war neben dem Führen des Rollstuhls auch viel Ballgefühl gefragt. «Nein, nicht die Beine benutzen», rief Rolf Acklin immer wieder in Erinnerung. Und wenn der Ball dann am «gegnerischen» Rollstuhlfahrer vorbei auch wirklich mit dem richtigen Schwung in den Korb geworfen werden konnte, war der Jubel gross. Wie bei Regula Schütz waren auch die Stunden bei dem 39-jährigen Rolf Acklin voller Staunen, Erkenntnisse und ganz besonders auch mit ganz viel Lachen erfüllt. «Wenn ihr jemanden mit einer Behinderung helfen wollt, fragt bitte immer zuerst», war ein weiterer Input, den die jungen Leute aus diesen Projekttagen mitnahmen. «Ist eigentlich logisch. Ich möchte ja auch gefragt werden, wenn jemand etwas für mich tun will. Der andere weiss ja nicht einfach, ob das sonst für mich stimmt», tönte es von einem der Jugendlichen.


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