«In diesem Moment hätte ich mein Velo übers Strassenbord schmeissen können!»

  23.02.2018 Frick

Der Fricker Radrennfahrer Marcel Stäuble fuhr 1988 am olympischen Strassenrennen in Seoul. Er war bereits diplomierter Bauingenieur ETH, als er erst die Zeit fand, genügend trainieren zu können. Im Gespräch mit der NFZ blickt der 56-jährige Fricker auf seine untypische Radsport-Karriere zurück.

Simone Rufli

Ob er denn mit dem Fricktal noch immer verbunden sei, will ich per E-Mail von Marcel Stäuble wissen. Immerhin sagt mir das Internet, dass er in Beinwil am See wohnt und seine Immobilien-Firma ihren Sitz in Baden hat. «Ja! Ich bin in Frick aufgewachsen und auch Seelen-mässig noch immer Fricktaler», schreibt er zurück. «Ich halte meine Herkunft hoch, glorifiziere sie gegenüber unseren Kindern gerne», nimmt er augenzwinkernd den heimischen Faden wieder auf, als wir uns ein paar Tage später in Baden treffen. Stäuble war seit Anbeginn Mitglied im Velo-Club Kaisten, hat noch heute viele Freunde im Fricktal.

Nach der Bezirksschule in Frick und der Kantonsschule in Aarau hat er an der ETH Zürich Bauingenieur studiert und 1986 abgeschlossen. Es folgten diverse Weiterbildungen. Seit 2000 ist er selbstständig in der Immobilien-Vermittlung und -Beratung tätig. Ein Werdegang, bei dem sich eine Frage aufdrängt: Wie schaffte es Marcel Stäuble, nebenher noch so erfolgreich Velo zu fahren, dass er 1988, als einer von nur drei Schweizern, für das olympische Strassenrennen in Seoul nominiert wurde? Stäuble nickt, als wenn er sich diese Frage schon selber gestellt hätte. «Velofahren ist sehr trainingsintensiv. Man muss täglich stundenlang trainieren und dies bei Tageslicht. Für mich hiess das, sehr konzentriert zu studieren und auch mal eine Vorlesung zu schwänzen. Kein Studienkollege hat neben dem Studium etwas Ähnliches gemacht. Es war schon eine enorme Willensleistung und brauchte viel Disziplin.»

Zu leicht
Und wie war Olympia, Seoul, die ganz grosse Bühne? «Letztlich war es für mich eine riesige Enttäuschung.» Wie bitte? Stäuble lacht, erklärt: «Ich war in absoluter Topform. Ich hatte in diesem Jahr erstmals mit einem Trainer zusammen gearbeitet. Der Rundkurs in Seoul war leider mehrheitlich flach und je leichter ein Rennen ist, desto grösser wird der Einfluss des Rennglücks. Ich war ein starker Finisseur. Was auch auf internationalem Top-Niveau möglich ist, haben mir die Etappenränge 2, 3 und 4 am GP Tell, einem der weltweit bedeutendsten Amateur-Etappenrennen, aufgezeigt. Diesen bestritten wir als letzte Vorbereitung auf die Olympischen Spiele. So wie sich das Rennen in Seoul entwickelte – ich lag etwa zehn Kilometer vor dem Ziel gar kurzzeitig alleine an der Spitze – wäre eine Top Ten-Platzierung, vielleicht auch mehr, absolut möglich gewesen. In der Schlussphase «pokerte» ich und wollte Kraft sparen. Als sich dann wenige Kilometer vor dem Ziel eine Fluchtgruppe absetzen konnte, realisierte ich innert Sekundenfrist, dass nun der ganz grosse Traum geplatzt war! In diesem Moment hätte ich vom Velo steigen und dieses übers Strassenbord schmeissen können!» Olympiasieger wurde Olaf Ludwig aus der DDR, Stäuble wurde als bester Schweizer 26.

1983 hatte Stäuble bereits an den Olympischen Spielen der Studenten – der Universiade – in Edmonton, Kanada, teilgenommen und einen 19. Rang herausgefahren. Er war auch ein starker Bahnfahrer. 1985 wurde er Zweiter am Zürcher Amateur-6-Tage-Rennen. 1987, in seinem ersten Jahr nach Studienabschluss, er arbeitete nun während der Saison nur halbtags, gewann er die Aargauer Strassenmeisterschaft. «Ansonsten», Stäuble winkt ab, «war das Jahr gesundheitlich bedingt eine einzige Katastrophe»: Auf eine langwierige Erkältung im Frühjahr folgten eine Blinddarm-Operation und ein Schlüsselbein-Bruch. Das zweite Jahr nach Studien-Ende, 1988, gestaltete sich dann weitaus erfreulicher: «Neben der Teilnahme an den Olympischen Spielen war der Sieg in der 222 Kilometer langen Classique Pruntrut-Zürich sicherlich mein grösster Erfolg. Auf der offenen Rennbahn in Oerlikon gewann ich den Sprint der sechs Mann starken Spitzengruppe, die sich im Aufstieg zum letzten Tages-Hindernis abgesetzt hatte.» Es klingt, als habe er diesen Erfolg erst gestern gefeiert. Nach den Olympischen Spielen fuhr Stäuble nur noch die Mexico-Rundfahrt. Dann beendete er seine Karriere, «trotz Profi-Angebot», und konzentrierte sich auf seine berufliche Entwicklung.

Ein unglücklicher Fussballer
Noch bevor er den Radsport für sich entdeckte, hatte er bei den E-Junioren des FC Frick Fussball gespielt. Glücklich wurde er dabei allerdings nicht: «Ich störte mich daran, dass es in einer Mannschaft nicht möglich ist, den Erfolg alleine zu steuern. Dies hat wohl den Ausschlag gegeben, dass ich mich schliesslich einer Einzelsportart zuwandte.» Obwohl ihn die erste Ausfahrt mit dem VC Kaisten arg ans Limit brachte und er auf dem Heimweg nach Frick am Kaistenberg absteigen und das Rennrad stossen musste, fuhr er weiter. 1974 fuhr er die ersten Rennen. «1975 gewann ich mit der Fricktaler Meisterschaft in Kaisten das erste Bubenrennen», erinnert sich Stäuble.

Marcel Stäuble ist verheiratet und Vater von Tochter Simea (13) und Sohn Gian Andri (9). «Simea hat das Down Syndrom. Sportliche Betätigung ist nicht ihre grosse Leidenschaft», Stäuble schmunzelt. «Viel lieber schreibt sie Fantasie-Geschichten und liest.» Mit Gian Andri geht er joggen, velo- und skifahren. «Es wird nur eine relativ kurze Zeit sein, in der wir vom physischen Niveau her auf Augenhöhe sind, die will ich mit ihm geniessen.» Gian Andri trainiert Leichtathletik beim BTV Aarau. «Er sitzt auch gut auf dem Velo», bemerkt der Vater. «Unterstützen würde ich ihn, in den Radsport drängen aber niemals. Nicht zuletzt, weil der Verkehr enorm zugenommen hat, was die Trainingsfahrten immer gefährlicher macht.»


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