Wird das neue Jahr endlich den so heiss ersehnten Frieden bringen?

  01.02.2018 Frick

Essay zum Fricktaler Projekt Kriegsnachrichten (Januar bis März 1918 im Spiegel der Fricktaler Presse)

Friedenssehnsucht: Am Berchtoldstag 1918 schrieb die Volksstimme: «Wir wollen nicht wiederholen, … wie viele Millionen Unschuldiger durch die Brutalität und Gewissenlosigkeit derjenigen, welchen die Geschicke der Völker anvertraut sind, in den Tod getrieben … wurden; welche ungeheuren Werte, die in jahrhundertelangen Mühen … entstanden sind, vernichtet wurden… Was aber beim Antritt eines neuen Jahres jede fühlende Menschenbrust durchzittert, ist die bange Frage: Wird das neue Jahr endlich den so heiss ersehnten Frieden bringen?»

In der Tat wurde – namentlich in Brest-Litowsk – an Friedensverträgen gearbeitet, aber doch mit dem Ziel, Kräfte freizusetzen, mit denen andernorts der Krieg besser geführt werden konnte. Zukunftweisend war das Programm, welches der 28. Präsident der USA, Woodrow Wilson, am 8. Januar dem Kongress unterbreitete. Den Leserinnen und Leser der Neuen Rheinfelder Zeitung wurden alle 14 Punkte vorgestellt, beginnend mit der Forderung nach einem öffentlichen, nicht durch Geheimabsprachen beeinträchtigten, Friedensvertrag, über die Wiederherstellung Belgiens, Serbiens, Montenegros, Rumäniens, das Selbstbestimmungsrecht der Völker Österreich-Ungarns und endend mit der Forderung nach einer allgemeinen «Gesellschaft der Nationen».

Der Krieg dauerte an. Die Volksstimme ortete am 19. Januar 1918 einen Teil der Verantwortung bei den Zuständen im Deutschen Reich: «… Herr v. Oldenburg schiesst … ‹Wenn die Sozialdemokraten keine Munition machen wollten, dann würde ich sagen: ... Dann muss man sie zwingen und die Rädelsführer an die Wand stellen und totschiessen.› … Es scheint wirklich doch bald an der Zeit zu sein, dass das deutsche Volk mit dieser mittelalterlichen Cliquenwirtschaft (Fürsten- und Junkertum) radikal aufräumt.»

Maul- und Klauenseuche
Der Krieg wirkte sich weiterhin auf den Alltag aus, verschärft Ende Januar durch die im Oberelsass ausgebrochene Maul- und Klauenseuche. Der Handel mit Kleinvieh, Heu, Stroh und Mist über die Grenze wurde zwischen Rodersdorf und Rheinfelden verboten (Volksstimme 26. Januar). Vom Seegefecht vor den Dardanellen, bei welchem der deutsche Kreuzer Breslau und der britische Monitor Raglan versenkt wurden, lasen Fricktalerinnen und Fricktaler am 29. Januar. Exakt wurden die Reden des deutschen Reichskanzlers und des Aus-senministers Österreich-Ungarns, der Grafen Hertling und Czernin, am 31. Januar 1918 analysiert. Sie hatten auf die 14 Punkte Wilsons geantwortet: «Durch Wilsons ‹Friedensangebot›, wie Czernin es sehr geschickt nannte, wurden jene Gegensätze verkleinert, … er strich doch von den Ententezielen … viel ab: die Zertrümmerung der Türkei und Österreich-Ungarns die Wünsche der serbischen und rumänischen Irredenta völlig, …»

Neben der grossen Politik ging das Leben seinen eingeschränkten Gang. Die ‹Neue Rheinfelder Zeitung› sprach am 16. Februar von der Einführung der Fleischkarte, von der Schwierigkeit der Versorgung mit Zeitungspapier, vom kommenden Schlachtviehankauf für die Armee bei der Wirtschaft Stocker in Möhlin, aber auch vom Film Der gefürchtete Geheimklub. In Inseraten wurden Wybert-Gaba-Tabletten gegen Husten angeboten und ein Servier-Kurs für junge Töchter und Herren, die gastgewerblich vorankommen wollten. Das Volksmagazin F. Reinhard in Rheinfelden warb für seine Schuhe und Stiefel, Hedwig Tröndle empfahl sich Damen und Töchtern als Schneiderin, während sich die Manufakturwaren F.J. Güntert-Huwiler in Mumpf für Halstücher, Schürzen, Tischdecken und Hosenträger empfahlen.

Frieden mit den Sowjets
Die beiden Friedensschlüsse von Brest-Litowsk mit der ukrainischen Rada unter Mychajlo Hruschewskyj, welche die Unabhängigkeit der Ukraine erklärt hatte, am 8./9. Februar und mit Sowjetrussland am 3. März 1918, waren diplomatische Erfolge Deutschlands und seiner Verbündeten. Den Friedensschluss mit den Sowjets kommentierte die Volksstimme am 5. März:

«So ist denn endlich der Friede im Osten zur Tatsache geworden und man kann … hoffen, dass nun bald der allgemeine Frieden folgen werde.»

Allein, die Mittelmächte hatten Russland endgültig aus der Entente herausgebrochen und wurden damit in die Lage versetzt, das Gros ihrer Divisionen nach Westen zu werfen und zu versuchen, den Krieg doch noch zu gewinnen, bevor die amerikanische Präsenz auf dem Schlachtfeld einen solchen Sieg ganz unmöglich machen musste. Die ersten Soldaten der American Expeditionary Forces waren bereits im Oktober 1917 zum Einsatz gekommen. Ihre Zahl und ihre Kampfkraft stieg danach kontinuierlich weiter an, vermochte aber, wie sich zeigen sollte, erst im Juni 1918 der Entente an der Westfront das Gleichgewicht (je ca. 1500 000 Mann) und unmittelbar danach auch das zahlenmässige Übergewicht über die Mittelmächte zu verschaffen. Diese Entwicklung konnte man in den grossen Zügen voraussehen. So mochte es im März der Obersten Heeresleitung erscheinen. Resultat: Am 21. März 1916 wurde bei Saint-Quentin die Operation Michael entfesselt mit dem Ziel, die Front aufzubrechen und den Krieg zu gewinnen. Um die Bilanz vorwegzunehmen: Rund 500 000 Tote und Verwundete beider Seiten, 65 Kilometer deutscher Vorstoss ohne Entscheidung.

Die Volksstimme verband am 23. März die Berichterstattung mit einer moralischen Würdigung:

«Die Heere der beidseitigen Mächtegruppen sind zur Offensive übergegangen, d.h. sie haben nach dem Willen der ruchlosen Gewalthaber… das Mordhandwerk wieder aufnehmen müssen.» Die Schlussfolgerungen des Leitartikels liessen nichts an Klarheit vermissen: «Da ist es denn Zeit, dass sich unsere Friedensinsel auf den kommenden Sturm rüste ... Das Wetter, das aufzieht, ist schwer. Es wird einreis-sen, was nicht niet- und nagelfest hält. An unserm Schweizerhause aber bleibt noch einiges zu bessern und zu festigen.»

Inzwischen befanden sich die deutschen Truppen in Frankreich auf dem Vormarsch. Am 23. März kamen die so genannten Pariskanonen zum Einsatz (Krupp, Kaliber 21 cm, in der Volksstimme als 100 Kilometer-Kanonen bezeichnet), Geschütze, welche die französische Hauptstadt unter Feuer nahmen. Bapaume, Péronne, Noyon, Chaulnes und Roye fielen; die Front, primär gegen die Briten, geriet sichtbar in Bewegung und die Volksstimme kommentierte am 26. März: «Aus der begonnenen Schlacht kann eine Entscheidung erwachsen. Weltmacht kämpft gegen Weltmacht, beide ungefähr gleich stark, gleich furchtbar, gleich zähe, beide im Bewusstsein dessen, um was es geht.» Die Rheinfelder Presse war damit am Puls des Geschehens: Am selben Tag wurde mit Ferdinand Foch von der Entente ein Generalissimus an der Westfront ernannt. Die Zeiten der blossen Koordination der Kriegführung waren vorbei, die Lage war dafür definitiv zu ernst geworden. Der 31. März 1918 war Ostersonntag. Vor dem Rheinfelder Rathaus spielte von 11.00 Uhr bis 12.00 Uhr die Stadtmusik auf, ein starkes Zeichen des Willens, erhobenen Hauptes voranzugehen, in eine bessere Zukunft.

www.kriegsnachrichten.ch


Nachrichten aus einer kriegerischen Zeit

Das Fricktaler Projekt «Kriegsnachrichten» macht die Originalausgaben der «Volksstimme aus dem Frickthal» und der «Neuen Rheinfelder Zeitung» aus den Jahren 1914 bis 1918 im Internet für jedermann zugänglich (die NFZ berichtete). Zudem erscheint viermal jährlich ein Essay, basierend auf der Berichterstattung des jeweiligen Quartals, in welchem der Autor das Kriegsgeschehen thematisiert und unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchtet.

Jürg Stüssi-Lauterburg, Autor des hier publizierten Beitrages, ist Militärhistoriker. Er wohnt in Windisch. (nfz)


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