Schatten im Paradies

  04.08.2020 Möhlin

Möhlin: Badesaison im Corona-Jahr bringt das Personal an den Anschlag

Bald dreissig Jahre arbeitet Patrick Peter als Badmeister in Möhlin. «Das ist mit Abstand die schlimmste Saison», sagt er. «Über das Verhalten von vielen Badegästen bin ich masslos enttäuscht.»

Ronny Wittenwiler

Die Ampel steht auf Grün. Beim Eingang zum Schwimmbad Möhlin erfasst ein Zählsystem die Anzahl Gäste. Maximal 1200 Besucher dürfen sich in der Badi gleichzeitig auf halten. So sieht es das Schutzkonzept vor. «Bisher waren wir noch nie voll ausgelastet», sagt Patrick Peter, der Leiter des Schwimmbads Möhlin. Knapp siebenhundert Gäste sonnen sich an diesem Freitagnachmittag auf der Wiese oder gönnen sich eine Abkühlung. Es ist kurz vor 17 Uhr, die NFZ trifft sich mit dem Chef-Badmeister in dessen Büro. «Ich denke, wir werden in diesem Land bald Tausende haben, die in Quarantäne müssen.» Wir wollen wissen, weshalb er sowas sagt. Patrick Peter deutet mit dem Kopf zum Fenster. «Schauen Sie mal nach draussen.»

Deutliche Worte
Ohne Frage: Führt man sich die nach wie vor geltende Abstandsregel vor Augen, dann wird sie hier im Schwimmbad Möhlin munter gebrochen. In Gruppen liegen Badegäste dicht beieinander, die ums Schwimmbecken markierten Pfeile, in deren Richtung sich die Badegäste bewegen sollten, sie sind höchstens Dekoration, mehr nicht; Gegenverkehr im Akkord. Patrick Peter versucht sich erst gar nicht in Diplomatie: «All die Regeln interessieren die Leute einen Scheissdreck.» Dabei möchte er festgehalten haben: Von Anfang an sei klar gewesen, dass er und sein Badmeister-Team keinesfalls die Polizei spielen würden; vielleicht auch, weil das Einhalten dieser Regeln aufgrund der vielen Besucher ohnehin nur begrenzt in der Macht der Badmeister steht. «Es bräuchte die Eigenverantwortung jedes einzelnen», sagt Patrick Peter. Ein frommer Wunsch, der Tag für Tag unerfüllt bleibt. Und doch ist nicht diese Tatsache allein der eigentliche Grund, weshalb Patrick Peter von der mit Abstand «schlimmsten Saison» spricht, seit er vor bald dreissig Jahren hier im Schwimmbad begonnen hat.

«Meine Mitarbeiter werden permanent angeschnauzt»
Der Eingangsbereich zum Schwimmbecken ist mit einer Hinweistafel zu den Verhaltensregeln versehen. Daneben aufgeklebt ein Blatt im A4-Format mit folgenden Worten: «Liebe Badegäste. Bitte nicht mit dem Badi-Personal über Sinn und Unsinn der Corona-Massnahmen diskutieren. Besten Dank. Ihr Badi-Team.» Der Hinweis grenzt fast ein wenig an Situationskomik. Ums Lachen ist es Patrick Peter allerdings nicht. Er war es, der den Hinweis anbringen liess, bereits am ersten Abend nach der Eröffnung. «Permanent werden meine Mitarbeiter von Badegästen angeschnauzt.» Diese stete Unruhe mache seine Teammitglieder, die oft zehn und mehr Stunden täglich im Einsatz stehen, kaputt. «Da gehst du irgendwann zugrunde», sagt Patrick Peter und zeigt einen Stapel mit Papieren, die sich alle um Corona drehen. «Mit unserem Sicherheitskonzept halten wir uns lediglich an die Vorgaben des Kantons und den Schweizerischen Badmeister-Verband.»

Den ganzen Frust über Einschränkungen aber, die letztlich ein Öffnen des Schwimmbads überhaupt erst möglich machten, bekomme das Badi-Personal ab. «Ganz ehrlich, ich verstehe das nicht», sagt Patrick Peter. «Es gibt Menschen, die schwer krank sind, Menschen, die Hunger leiden. Dieses ganze Elend auf der Welt. Da haben wir hier doch geradezu das Paradies – aber nein, wir beschweren uns lieber immer und immer wieder, dass man in der Badi Möhlin nicht warm duschen kann. Und ich rede hier nicht von Kindern, sondern von erwachsenen Personen.»

«Dann ist der Sommer für alle vorbei»
Noch steht die Ampel auf Grün. Wegen Corona sind bislang weniger Menschen ins Schwimmbad Möhlin gekommen als in anderen Jahren. Wegen der zusätzlich erforderlichen Schutzmassnahmen wird diese Saison trotzdem die teuerste überhaupt. Der Gemeinderat hat mit einem Zusatzkredit Geld gesprochen, um die zusätzlichen Aufwands- und Personalkosten, die Corona verursachen, decken zu können. «Ohne diese Unterstützung hätten wir das Schwimmbad Möhlin gar nie öffnen können», sagt Patrick Peter. Alle Involvierten seien sich einig gewesen: «Wir wollten die Badi aber öffnen, auch wegen der Kinder, die in diesem Sommer nirgendwo ihre Ferien verbringen.» Just vor diesem Hintergrund macht es dem Leiter Schwimmbad zu schaffen, dass er und seine Mitarbeiter an heissen Tagen stets in hitzige Diskussionen verwickelt werden und sich den Frust von Badegästen anhören müssen, die sich in ihrer Freiheit beschnitten fühlen. Nicht nur emotional versuchen die Badmeister bei solchen Diskussionen eine gewisse Distanz zu wahren, sondern auch wortwörtlich. «Es ist doch so: Wenn einer von uns Badmeistern hustet, dann ist der Sommer hier unten für alle vorbei. Das wollen wir nicht.»


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