«Jugendliche verletzen die Eltern nicht mit Absicht»

  26.01.2020 Jugend

Jens Winkler referiert in Frick zum Thema Pubertät. Im Interview mit der NFZ verrät der Familientherapeut, weshalb Jugendliche anders «ticken», als Kinder und Erwachsene.

Bernadette Zaniolo

NFZ: Herr Winkler, zuerst eine persönliche Frage: Waren Sie besonders oppositionell oder schwierig als Jugendlicher?
Jens Winkler:
Jein. Ich habe mich nicht viel mit meinen Eltern gestritten, habe mich stark für das andere Geschlecht interessiert (hatte ständig eine Freundin) und war viel mit Gleichaltrigen unterwegs, habe mit Alkohol Grenzerfahrungen gemacht, wollte eine eigene Jugendbewegung starten und hatte mal eine Schachbrettfrisur mit dickem grünen Zopf.

Was ist der Auslöser der pubertären Phase?
Aus meiner Sicht sind dies zwei Sachen: Die Hirnanhangdrüsen starten die erhöhte Geschlechtshormonproduktion in dazu bestimmten Organen und damit die körperlichen Veränderungen. Gleichzeitig gibt es eine deutliche Veränderung des Gehirns. Die Köpfe der Pubertierenden funktionieren wirklich anders, als die der Kinder und Erwachsenen, was im Denken und Fühlen sichtbar wird und die Pubertät somit auch eine psychologische Seite erhält.

Wann beginnt die Pubertät «zeitlich»?
Bei Mädchen zirka mit zehn, bei Jungs mit zwölf. Die Gehirnveränderungen können länger dauern als viele wissen, nämlich bis zirka zum 24. Altersjahr. Es gibt heute in der Primarschule Kinder mit Schambehaarung.

Was sind typische Fälle, die während der Pubertät für «Hochspannung» im Familienleben sorgen?
Meist sind dies Regelverletzungen, Medienkonsum und Planungsschwierigkeiten der Jugendlichen. Viele Eltern reagieren stark, wenn Jugendliche zum Beispiel deutlich nach der vereinbarten Zeit von einer Feier nach Hause kommen. Sie reagieren so, als ob die Jugendlichen sich während der Feier überlegt haben, wie sie die Eltern verletzen oder ihre Autorität untergraben könnten. Dabei leben die Jugendlichen (manchmal leider zu stark) im Moment, die Party ist cool und sie möchten einfach länger bleiben. Nicht um die Eltern zu verletzen, sondern aus eigenen, egoistischen Gründen.

Mit Planungsschwierigkeiten meine ich, dass Jugendliche schlechter planen können, weil ihr Frontalkortex «umgebaut» wird, und deswegen häufig in Stress geraten, der dann das ganze Umfeld erfassen kann. Sie verschätzen wie lange die Vorbereitung eines Vortrages dauert, setzen die Prioritäten anders, als wir das machen würden und haben das Gefühl, diese Aufgaben liessen sich locker nach dem Gamen, dem Fussballtraining und dem späten Nachtessen um 21 Uhr erledigen. Dann merken sie, dass sie die Unterlagen in der Schule vergessen haben usw. und ziehen alle Familienmitglieder in ihren Stress mit ein. Es hilft den Jugendlichen, wenn wir gemeinsam mit ihnen Zeitpläne erstellen.

Sind Jungs oder Mädchen «schwieriger»?
Diese Frage klingt wie eine Falle. Was für wen schwierig ist, kommt auf die Mitspielerin oder den Mitspieler an. Für gewisse Eltern ist es mit der oft Jungs zugeschriebenen gegen aussen gerichteten Aktivität leichter umzugehen, für Andere ist die bei Mädchen eher beobachtbare Stimmungslabilität, die durch eine andere Gehirndurchblutung der Bereiche, die für Gefühle und soziale Bindungen wichtig sind, einfacher. Diese Geschlechtsunterschiede sind im Einzelfall aber total individuell. Es gibt Mädchen, die sich eher wie Jungs entwickeln und umgekehrt.

Am Elternvortrag vom 30. Januar in Frick werden Sie erläutern, wie Eltern solchen Situationen mit mehr Gelassenheit begegnen können. Können Sie unseren Lesern bereits heute einen Tipp geben?
Pubertät ist Erntezeit: Beobachten Sie ihr Kind und konzentrieren Sie sich darauf, was es alles schon kann und wie es seine Herausforderungen löst. Sie können die Persönlichkeit Ihres Kindes nicht mehr stark verändern, so wie sie die Persönlichkeit Ihres Partners oder Ihrer Partnerin nicht stark verändern können. Sie sind und bleiben wichtig für Ihr Kind, auch wenn es sich bei Jugendlichen manchmal anders anhört. Die allermeisten Jugendlichen hören auf ihre Eltern, einfach nicht sofort, sondern mit etwas Verzögerung.

Jens Winkler ist Familientherapeut und Leiter des Beratungszentrum infocus Basel. Er ist verheiratet, Vater zweier Söhne und Teilzeithausmann und er treibt gerne Sport. www.beratungszentrum.com


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