«Ab und zu braucht es einfach etwas Aussergewöhnliches»
06.07.2017 Gansingen, Oberes Fricktal, Hottwil, Kultur, Kommende EventsVon Susanne Hörth
NFZ: Wie oft probt ihr wöchentlich?
David Imhof: Wir proben zwei- bis dreimal die Woche. Hinzu kommen etliche Wochenenden. Neben den szenischen Proben finden ja auch Musik/Chorproben und Tanz/Choreographie-Proben statt.
Thomas Senn, wie erleben Sie die Arbeit mit David Imhoof?
Thomas Senn: David ist mit grossem Interesse, mit Fleiss und ungeheurem Engagement bei der Sache. Er verlangt sehr viel von den Akteuren. Bei der grossen Spielerzahl fordert ihn das. Besonders die Absenzen bei den Proben sind oft ein Thema. David will, dass sie ihm im Voraus gemeldet werden. Sie führen zu Veränderungen im Zeitplan. Diesen zu erstellen, kostet ihn viel Zeit und Energie. An der Probe selber sitzt er am Mikrofon und dirigiert geduldig und klar den Ablauf. Zahlreiche Unterbrüche und Wiederholungen stören den Spielfluss, sie sind ihm jedoch wichtig, damit das Spiel die gewollte Form erhält. Für bestimmte Gestaltungsbereiche herrscht ein Ideenwettbewerb, sie betreffen vor allem Bühnenbau, Kostümerie und Requisiten. Und: Der Regisseur ist nicht gleich mit allen Vorschlägen zufrieden.
Imhoof: Das Zusammenstellen der Probepläne und das gleichzeitige Berücksichtigen aller Absenzen erfordert tatsächlich regelmässig viele Stunden an Planung. Ausserdem sind eine gute Strukturierung der Proben und das Setzen von kleinen Zielen wichtig, so dass man gut durchs Stück kommt.
David Imhoof: Redet Ihnen Thomas Senn, selbst langjähriger Regisseur beim Theater Hottwil, in die Regie-Arbeit rein?
Imhoof: Überhaupt nicht. Ich bin froh, wenn ich ihn ab und zu auch nach seiner Meinung fragen kann.
Ihr seid beide als Perfektionisten bekannt. Macht dies eine Zusammenarbeit schwieriger oder wird sie dadurch noch konstruktiver?
Imhoof: Mit dem Perfektionismus-Begriff habe ich etwas Mühe. Theater muss nicht perfekt sein, kann das gar nicht. Aber man kann möglichst viel vorbereiten und klären. Da sind so viele Ebenen, die parallel zusammenspielen. Wir hören einfach nicht so schnell auf zu arbeiten. Wenn ich es nicht mehr spannend finde, unterbreche ich und schaue, woran man schrauben kann, damit die Szene lebendig bleibt.
Apropos spannend: Was hat Sie, den Zürcher Profiregisseur, an diesem Stück, das mitten in Hottwil bei einem alten Bauernhof aufgeführt wird, fasziniert?
Imhoof: Mich hat die Situation fasziniert, dass zwei Dörfer zusammenarbeiten, um dieses Theater-Stück von Thomas Senn zu erarbeiten. Die Französische Revolution ist natürlich ein sehr spannendes und weitreichendes Thema und die Relevanz für die Schweiz fasziniert mich. Eines meiner Lieblingsstücke ist «Dantons Tod» von Büchner welches ich auch einmal spielen durfte. Ausserdem hat eine Freilicht-Theater-Produktion natürlich ein einzigartiges Flair! Die Proben vor Ort sind eine tolle Erfahrung für alle.
Neben der tollen Erfahrung gibt es sicher auch Herausforderungen beim Einstudieren von «anno 1798». Welche sind das?
Imhoof: Bei grösseren Projekten ist vor allem eine gute Kommunikation in alle Richtungen gefragt. Ich bin ja zum Glück nicht alleine: Urs Erdin von Seite Musik und Katharina Schmid als Choreographin unterstützen und ergänzen die Arbeit von ihrer Seite. Das bereichert den Arbeitsprozess und schafft immer wieder neue Möglichkeiten eine Szene nochmals von einer anderen Perspektive zu beleuchten.
Für die Spielleute Hottwil und das Theater Gansingen ist es nach s’Marei, das 2012 im Steinbruch Röt in Gansingen aufgeführt worden ist, bereits die zweite gemeinsame Freilichtproduktion. Während die Hottwiler schon das dritte Mal mit Profiregisseur David zusammenarbeiten, ist es für die Gansinger das erste Mal. Können alle Amateur-Schauspieler den hohen Ansprüchen des Regisseurs gerecht werden?
Senn: Das weiss ich nicht, habe aber auch mit niemandem über diese Frage gesprochen. Anfänglich stellten sich die Gansinger wohl schon einige Fragen zum Führungsstil des Regisseurs. Inzwischen haben sie sich daran gewöhnt, ihre Mimik zeigt es. Zudem bleibt bei der intensiven Arbeit auch kaum Zeit für Mäkeleien.
Thomas Senn, was fasziniert Sie am Freilichttheater? Was unterscheidet es von den Indoor-Aufführungen?
Senn: Hottwil und Gansingen liegen in einer Gegend, die historisch gesehen spannend ist. Während über drei Jahrhunderten kannten sich die Menschen der beiden Dörfer kaum, durften sich nicht kennen. Ihre Kulturen waren zu verschieden: reformiert/katholisch, Berner Gesetze/Habsburgische Verwaltung, reich/arm. Solche Unterschiede zu beschreiben, wie sie die damaligen Menschen erlebten, fasziniert mich. Die Freuden und Leiden zweier Nachbardörfer darzustellen, die unter die Macht von fremdem Militär geraten, verlangt nach einem grösseren Rahmen als die Indoor-Bühne. Da müssen sich zwei Vereine finden und zum Zusammenspiel aufraffen. Musik, Gesang und Tanz werden frisch erfunden und auf das Spiel zugeschnitten. Wenn eine solche gemeinsame Kraftprobe – es ist auch eine finanzielle - gelingt, übersteigt der soziale Mehrwert jede Hallenproduktion. Ab und zu braucht es einfach etwas Aussergewöhnliches.
Das Textbuch ist geschrieben. Die Geschichte mit ihren Handlungsorten und Schauspielern sind bekannt. Die Darsteller kennen ihre Texte. Werden beim Einstudieren noch Szenen geändert, Texte umgeschrieben? Wenn ja, wer macht diese Feinschliffarbeit?
Imhoof: Wir haben während den Leseproben die Dialoge zum Teil weiter gebügelt oder kleine Passagen hinzugefügt oder gekürzt. Im Laufe des Probeprozesses gibt es natürlich auch immer wieder Anpassungen – zum Beispiel unter anderem zusätzlichen Text für diejenigen, die in einer Szene das Volk spielen. Auch die szenischen Übergänge in ein Lied oder einen Tanz müssen gebaut werden. Die Änderungen notiere ich jeweils per Hand ins Regiebuch und übertrage sie später noch digital in den gemeinsamen Arbeitsorder der für alle zugänglich ist.
Senn: Mich interessiert das Spiel, die Präzision der Akteure, wie sie sich ins Zeug legen, ihr Ausdruck. Zur Stelle bin ich, wenn David oder Urs Erdin, der Komponist, eine Textänderung oder eine Erweiterung wünschen. Auch Spieler sind da kreativ. Das Spiel entwickelt sich – heisst ändert sich - laufend weiter bis zur bühnenreifen Form.
Es wurde bereits mehrfach angesprochen: Zum Gelingen des ganzen Stückes braucht es die Mitarbeit von ganz vielen. Von den Bühnenbauern, der Choreografin, dem Musik-Komponisten und vielen Leuten mehr. Was ist das Besondere an einer solchen, von Teamarbeit geprägten Produktion?
Senn: Das Besondere ist eben die Teamarbeit. In der Teamarbeit übernehmen viele Menschen eine Verantwortung. Das Schwierige ist die Koordination, damit alle Gruppen auf dasselbe Ziel hinarbeiten, eine Aufgabe des OK. Im Bühnenbereich hat der Regisseur die Gesamtverantwortung. Er entscheidet, ob alle Musikstücke oder die choreografischen Teile von Katharina Schmid passen, was wieder zu Absprachen und Änderungen führen kann.
Auf was dürfen die Besucher des Freilichttheaters gespannt sein?
Senn: «Anno1798 – Die Franzosen kommen» zeigt in neun Szenen, wie die Hottwiler Bevölkerung mit der alten Obrigkeit und den neuen Herrschern umzugehen hat. David Imhoof und sein Team arbeiten darauf hin, dass das Spiel lebendig, vielseitig, ausdrucksstark und präzis daherkommt. Krieg ist grob und traurig. In Hottwil wird man trotzdem oft lachen können.
Imhoof: Auf ein Theaterfest, einen unterhaltenden, humorvollen und spannenden Theaterabend bei hoffentlich tollem Spätsommerwetter.
Aufführungsdaten
Freitag, 18. August; Samstag, 19. August; Dienstag, 22. August; Mittwoch, 23. August; Freitag, 25. August; Samstag, 26. August; Dienstag, 29. August; Mittwoch, 30. August 2017 (Ersatzspieltag); Freitag, 1. September; Samstag, 2. September.
Vorverkauf für «anno 1798» hat begonnen. Telefonisch unter 077 489 76 99: Dienstagnachmittag, 14 – 16 Uhr; Donnerstagabend, 17 – 19.30 Uhr. Oder auf der Homepage