Ehre für Georg Winter
10.06.2019 KaistenFür sein Wirken und seinen Einsatz für die Gemeinde Kaisten soll Georg Winter mit dem Ehrenbürgerrecht gewürdigt werden.
Susanne Hörth
«Es hat mich fast vom Stuhl gehauen! Ich hätte das nie erwartet.» Es habe ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Die Überraschung ist also tatsächlich gelungen. Georg Winter hätte nie und nimmer damit gerechnet, dass ihm das Ehrenbürgerrecht von Kaisten verliehen werden soll. Als Gemeindeammann Arpad Major kürzlich um ein Treffen bat, ging der bald 86-Jährige davon aus, man wolle von ihm etwas im Zusammenhang mit dem Dorf wissen. Nichts Ungewöhnliches, ist doch das grosse Wissen von Georg Winter im Dorf allgemein bekannt. Die Gemeinde bezeichnet ihn gar als ein «lebendes Lexikon», basierend auf einer reichhaltigen Geschichtsforschung. Es sind Geschichten, die Georg Winter als Kaister Bub und auch später als Kaister Erwachsener in den verschiedensten Bereichen erlebt, begleitet, niedergeschrieben und angetrieben hat.
«Eigentlich wollte ich gar nicht Gemeindeschreiber werden», lacht der Mann, der bis zu seiner Pensionierung fast 43 Jahre mit voller Überzeugung und ebenso viel Herzblut als Gemeindeschreiber in Kaisten gearbeitet hat. Als knapp 20-Jähriger hatte er noch ganz andere Zukunftsvorstellungen. So visierte er nach der Rekrutenschule und einem kurzen beruflichen Abstecher in einer anderen Fricktaler Gemeinde, eine militärische Laufbahn an. Entsprechende Empfehlungen hatte er. Zudem hatte er sich auch vorgenommen, zu reisen und Sprachen zu lernen. Das Reisen wird er später, trotz veränderter Zukunftspläne, zusammen mit seiner Ehefrau Alice auch regelmässig tun. Unter anderem auch, um zwei ihrer Söhne im Ausland zu besuchen. Einer ist ausgewandert, der andere war lange Zeit für die Schweizer Botschaft in anderen Ländern tätig.
Zurück zum jungen Georg Winter. Der unerwartete Hinschied des damaligen Kaisters Gemeindeschreibers verlangte nach einer sofortigen Wiederbesetzung der vakanten Stelle. «Ich habe mich auf Anraten verschiedener Personen, unter anderem von Freund Paul Weiss, beworben. Wenige Tage nach dem Vorstellungsgespräch bekam ich die Mitteilung, dass ich gewählt worden bin.» Und so trat der noch nicht ganz 21-jährige Winter als jüngster Gemeindeschreiber im Kanton Aargau im März 1954 seine Stelle im Kaister Gemeindehaus an. Die ersten Jahre bescherten dem jungen Kanzler gleich eine sehr turbulente Zeit. Drei Monate nach seinem Stellenantritt wurde bekannt, das Pharmaunternehmen Geigy (heute BASF) wolle im heutigen Industriegebiet von Kaisten viel Land erwerben. Der Kauf kam zustande. Für den damaligen Gemeinderat endete es aber in einem regelrechten Kesseltreiben. Was letztlich dazu führte, dass sich die gesamte Behörde für eine weitere Amtsperiode nicht mehr zur Verfügung stellte.
Dass er über viele Jahre in Personalunion alle Funktionen (Gemeindeschreiber, Finanzverwalter, Zivilstandsbeamter, Bauwesen und vieles mehr) wahrnehmen musste, empfand Georg nie als Belastung. Auch die fehlende Distanz zwischen Wohn- und Arbeitsort war für ihn kein Problem. «Für mich war stets einfach wichtig, das Dorf und seine Leute zu kennen.» Für die Bevölkerung war er eine wichtige Anlaufstelle. In guten, manchmal auch in weniger schönen oder gar traurigen Situationen. Manchmal brauchte es aber auch einfach ein kurzes Zuhören und schon war die Welt wieder in Ordnung. Winter lacht und erzählt: «Einmal kam eine Frau ganz aufgeregt in mein Büro. Meine Bitte, etwas zu warten, weil ich viel zu tun hatte, überhörte sie. Ihre Katze, der cheibe Räuel, sei seit Tagen nicht nach Hause gekommen. Sie machte sich grosse Sorgen. Ich sagte ihr, dass jetzt Frühling und damit doch Hoch-Zeit für die Katzen sei. Es brauchte gar nicht mehr und die Frau ging sichtlich beruhigt wieder nach Hause.» Oder auch der Mann, der fast täglich im Gemeindehaus vorbeikam und fragte: «Ist alles in Ordnung» zog nach einem bejahenden Nicken von Winter wohlgemut weiter.
Gemeinschaft pflegen
Teil einer Gemeinde zu sein, bedeutet für Georg Winter Teil der Dorfgemeinschaft zu sein. Für diese engagiert er sich bis heute in den verschiedensten Aufgaben. So präsidierte er verschiedene Dorfvereine, initiierte beim Verschönerungsverein unter anderem die sehr beliebten Bannwanderungen oder singt schon seit Jahrzehnten im Kirchenchor mit. Er amtete auch als Kirchenkassenverwalter. In seiner Zeit als Präsident des Fördervereins des WBF (Werkstätte Behinderte Fricktal) half er aktiv beim Zusammenschluss mit dem im unteren Fricktal bestandenen Förderverein zur heutigen Stiftung Menschen mit einer Behinderung im Fricktal (MBF) mit.
Ein grosses Anliegen ist es Georg Winter zudem, das Gestern vor der Vergessenheit zu bewahren. Hier spielt auch sein enger Freund Urs Müller aus Kaisten eine wichtige Rolle. Mit ihm zusammen hat er vor 40 Jahren den jährlich erscheinenden «Kaister Rückspiegel» ins Leben gerufen und redaktionell betreut. Ebenso war er massgeblich als Mitautor der umfassenden Dorfchronik «Kaisten – unser Dorf» beteiligt.
Im Gespräch mit Georg Winter winkt dieser immer wieder ab, möchte sich selbst nicht so sehr im Mittelpunkt wissen. «Das vieles erreicht werden konnte, war nicht einfach mein Verdienst. Es passierte, weil viele andere mitgeholfen haben.» Dass er nun das Ehrenbürgerrecht von Kaisten erhalten soll – es wird so an der nächsten Gemeindeversammlung beantragt – erfüllt ihn schon ein wenig mit Stolz. Er glaubt hingegen nicht, dass es sein Leben verändern wird. «Jetzt, mit fast 86 Jahren ist jeder Tag ein Geschenk. Darüber freue ich mich am meisten.»