Jeder Stuhl erzählt eine persönliche Geschichte

  10.02.2019 Laufenburg

Die Mitglieder der Narro-Alt-Fischerzunft 1386 in der mehreren Stadt lassen Stabellen mit Namen und individuellen Bildern schnitzen. Lange Jahre hat Erwin Rehmann dafür die Entwürfe gezeichnet. Nun hat der Laufenburger Künstler Gabriel Kramer diese Aufgabe übernommen.

Susanne Hörth

Wie in der minderen Stadt (Badisch Laufenburg) haben auch die Mitglieder der grenzüberschreitenden Narro-Alt-Fischerzunft 1386 in der mehreren Stadt (Laufenburg/Schweiz) ein eigenes Zunftlokal. Jenes der Schweizer befindet sich im Erdgeschoss des Museums Schiffs. Zuerst war es «nur» das Säli des Restaurants Schiff. Mit dessen Schliessung konnte die Zunft auch die kleine Gaststube für ihre Zusammenkünfte übernehmen. Im Zunftlokal befinden sich – weniger für die Öffentlichkeit als vielmehr für die Narronen bestimmte – wunderschöne und gleichzeitig auch nützliche Kunstobjekte.

«Als die Narro-Alt-Fischerzunft in den 80er-Jahren das Säli vom Restaurant Schiff ausbauen konnte, wurde auch damit begonnen, Stabellen zu machen», sagt Philipp Maier. Er und Stefan Fischer sitzen auf zwei solch speziellen Stühlen. «Stabellen», schmunzelt Fischer, wie Maier auch er vereidigtes Mitglied der Narro-Alt-Fischerzunft 1386.

Im Zunftlokal gibt es mittlerweile viele dieser Stabellen. Obwohl in Form, Grösse und Holzart (Kirsche) gleich, ist jedes der Sitzobjekte einzigartig. Jedes ist Träger einer ganz persönlichen Geschichte. Wer diese Geschichte erzählt, ist auf dem auf der vorderen Seite der Stuhllehne durch den eingeschnitzten Namen und dazugehörendem Wappen erkennbar.

«Viele Jahre lang hat unser Zunftfreund Erwin Rehmann nach Wünschen der Zunftbrüder die Bilder gezeichnet, dann wurden sie vom Schnitzer auf das Holz übertragen», erzählt Philipp Maier. Weil der Laufenburger Bildhauer aber unter anderem aus Altersgründen die Entwürfe nicht mehr machen konnte, wurden seit über 15 Jahren keine weiteren Stabellen mehr für die neuen Zunftangehörigen hergestellt. Das sollte sich ändern: «Unser Zunftbruder Joe Schnetzler hat sich sehr dafür eingesetzt, die richtigen Handwerker für diese Aufgaben zu finden. Im vergangenen Sommer haben wir dann Gabriel Kramer angefragt, ob er sich vorstellen könne, die Zeichnungen zu machen», blickt Stefan Fischer kurz zurück. Kramer, der sich zum Zeitpunkt dieses Gespräches ebenfalls in der Zunftstube aufhält, grinst. «Ich konnte es mir vorstellen.» Und er überzeugte. Inzwischen hat er nach Besprechungen, Erzählungen und angegebenen Wünschen von 16 Zunftbrüdern Skizzen angefertigt und daraus anschliessend die Zeichnungen für den Schnitzer angefertigt. Zwölf der fertigen Stabellen sind in diesen Tagen geliefert worden.

«Neben dem Künstler für die Zeichnungen brauchten wir aber auch einen Schreiner, der die Stabellen anfertigen konnte. Zudem haben wir einen Schnitzer suchen müssen», wirft Philipp Maier ein. Mit dem Schreiner Dres Zumbrunn aus Brienz sowie Hansjörg Ernst, Werkstatt für Holzschnitzerei, ebenfalls aus Brienz, konnten bald auch diese zwei wichtigen Player mit ins Boot geholt werden.

Freiwillig
Sind die Stühle Teil des Zunftsversprechens? Maier und Fischer schütteln die Köpfe. Es sei freiwillig. Denn: Die Kosten für Anfertigung, Zeichner und Schnitzer gehen zu Lasten des Zunftbruders. Dass sich trotzdem viele Mitglieder für eine solche Sitzmöglichkeit entschieden haben, demonstrieren die dicht an dicht stehenden Stabellen in der Zunftstube. Seit neuestem gehören auch jene von Philipp Maier und Stefan Fischer dazu. Letzterer fährt sanft mit der Hand über die Lehne seiner Stabelle. Zufrieden mit dem Resultat? «Auf jeden Fall. Absolut», nickt er zufrieden.

Auf die Sujetwahl eingehend, hält Stefan Fischer fest: «Ich wollte unbedingt Sachen zeigen, die zu mir passen. Dazu gehört die Wasengasse, wo ich aufgewachsen bin, wo mein Elternhaus steht.» Zu sehen sollte auch die Tschättermusik sein, die frühmorgens um 5 Uhr in der Altstadt losgeht. Eine Herausforderung für Zeichner Gabriel Kramer. Denn die kleine Fläche auf der abgerundeten Rückseite der Stabelle und der spitz zu laufenden Kante schränken sehr ein. Dazu kommt, dass auf jeder Lehnenrückseite als weiteres Element das Zunftwappen mit dem Laufenburger Löwen vorkommen muss. «Ich habe mich für eine Fischaugen-Optik entschieden», erklärt Gabriel Kramer. Damit konnte er vom Elternhaus von Stefan Fischer, die Wasengasse hinauf zum Wasentor und der zum Wasenbrunnen hinunterziehenden Tschättermusik all das Gewünschte abbilden. Die von Stefan Fischer angedachte Zeitreise beginnt zudem mit einem Fass vor dem Elternhaus. War der Urgrossvater, der einst in diesem Haus gewohnt hatte, doch Küfer. Der kleine Stefan in Bubentagen ist als Silhouette an einem der Fenster zu erkennen. «Damals, als ich die Nase am Fenster platt gedrückt habe und mir gewünscht habe, auch einmal in der Zunft zu sein.» Das Thema Zeit widerspiegelt sich ebenfalls auf der herausspringenden Uhr beim Wasentor. Die Uhr zeigt 5 Uhr morgens. Tschättermusik-Zeit. «Es ist eine Momentaufnahme», ist sich Stefan Fischer bewusst und freut sich gleichzeitig über die vielen weiteren kleinen Motive, die Gabriel Kramer in die Geschichte eingebunden hat. Auch Philipp Maier ist begeistert. Er wollte seinen Beruf, das Bäcker-Handwerk, ebenso abgebildet haben, wie sein Tambouren-Hobby. «Das Narrenlaufen als unser höchster Anlass sollte auch vorkommen.» Gabriel Kramer hat einen der steinernen Bögen der Laufenbrücke zu einem Holzbackofen umgewandelt. Hier wird gerade auf der Schaufel eine Brezel herausgezogen. Auf der Brücke selbst ist neben anderen Leuten die Ehefrau von Philipp Maier als überzeugte Fasnächtlerin erkennbar. «Mir liegt sehr viel am Verbindenden der minderen und der mehreren Stadt», lässt Maier spüren, dass der Zeichner all seine Wünsche berücksichtigen konnte.

Anhand von Gabriel Kramers Zeichnungen hat der Schnitzer alles auf das Holz übertragen, geschnitzt und eingebrannt.

Können es Stefan Fischer und Philipp Maier nun kaum erwarten, bei den nächsten Zunftzusammenkünften auch auf ihren Stabellen sitzen zu können? Sie lachen. Sie werden wohl auf einer der Stabellen Platz nehmen. Dass es aber der ihrige sein wird, wäre reiner Zufall.


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