Gansingen und die Kraft der Wurzeln

  27.01.2019 Gansingen

Eigenständig aber mit dem ganzen Tal verbunden

Die NFZ ist unterwegs in Gansingen

Rahel Hüsler und Patrice Steinacher nehmen sich trotz vollem Terminkalender Zeit für einen Streifzug durch das vielseitig-bunte Dorf- und Vereinsleben ihres Wohnortes. Dabei sind sie sich einig: Man kann durchaus mal wegziehen aus Gansingen, aber man wird zurückkehren.

Simone Rufli

Es ist nicht das erste Mal an diesem Sonntag, dass ich mich frage, ob es denn überhaupt noch hell wird an diesem Tag. Seit den frühen Morgenstunden giesst es, was das Zeug hält, es ist kalt, mächtige Wolken verdunkeln den Himmel und zu allem Überfluss weht ein heftiger Wind. Es ist halb vier Uhr am Nachmittag – nicht mehr lange und die Dämmerung bricht wieder herein. Von Frick bis Gansingen sind es 16 Kilometer. Hoffnung keimt auf: vielleicht scheint in Gansingen ja die Sonne? Und die Hoffnung nimmt wieder ab mit jedem zurückgelegten Kilometer. In Sulz ist auch der letzte Funken Hoffnung vom Scheibenwischer weggefegt. Nun denn, es geht auch so. Über den südwestlichen Ortsteil Galten geht die Fahrt hinunter nach Gansingen. Treffpunkt ist der Parkplatz beim Gemeindehaus. Viele Leute sind bei diesem Wetter nicht unterwegs. Umso einfacher wird es, meine Begleiter zu erkennen.

«In Gansingen kennt man sich»
Sie kommen aus unterschiedlichen Richtungen – kennen sich die beiden? «Natürlich kennen wir uns. In Gansingen kennt man sich.» Die zwei lachen. Und mit Blick auf die tristen Verhältnisse fügt Patrice Steinacher schnell hinzu: «In Gansingen sieht es nicht immer so aus.» Rahel Hüsler pflichtet ihm bei. Rahel Hüsler und Patrice Steinacher: beide schon immer in Gansingen zu Hause, beide in diversen Vereinen aktiv, beide sportlich und – wie sich nach und nach herausstellt – ihrem Dorf herzlich verbunden. Rahel ist 17 Jahre jung, Scharleiterin mit Sanitätsamt in der Jubla, Unihockeyspielerin bei der Spielergemeinschaft Wild Goose-Wil Gansingen, aktiv im Jugendspiel Geissberg, seit vielen Jahren Mitglied im Turnund Sportverein Mettauertal, Skifahrerin und Lernende Fachfrau Gesundheit im Spital in Leuggern. «Im Sommer schliesse ich die Lehre ab, dann möchte ich mich an der Höheren Fachschule in Aarau zur diplomierten Pflegefachfrau weiterbilden und anschliessend am liebsten für eine gewisse Zeit in einem Spital in Afrika arbeiten.»

Patrice ist 20, auch er Mitglied im TSV Mettauertal, dazu im Veloclub Gansingen, begeisterter Velofahrer, Kletterer, Skifahrer und Langläufer und auch passionierter Gitarrist. «Bei genug Schnee habe ich auch schon auf dem Sportplatz bei der Schule eine Loipe präpariert, um Langlaufen zu können.» Im Sommer 2018 hat der einstige Radsportschüler der Jungradler Sulz-Gansingen und spätere lizenzierte Strassenrennfahrer seine Lehre als Konstrukteur EFZ mit Berufsmatur erfolgreich abgeschlossen. «Ich war im Radsport dabei bis zur Kategorie U19, dann wollte ich polysportiver aktiv sein.» Erst gestern ist er aus den Skiferien im Wallis zurückgekehrt. «Und morgen muss ich mit dem 7-Uhr-Bus los Richtung Andermatt.» Schon wieder in die Ferien? Patrice lacht, schüttelt den Kopf. «Ich beginne die Rekrutenschule bei den Gebirgsspezialisten und hoffe schon jetzt, dass ich nicht weiter machen muss, denn ich habe vor, noch in diesem Jahr mit dem Maschinenbau-Studium an der Fachhochschule Brugg-Windisch anzufangen.» Auch die ETH in Zürich stand zur Diskussion. «Da hätte ich dann aber wohl aus Gansingen wegziehen müssen und das wollte ich nicht.» Und an Rahel gerichtet meint Patrice: «Wir sind halt schon stark verwurzelt hier. Da braucht es viel, um wegzugehen.» Und mit Blick in die Zukunft: «Man kann durchaus mal wegziehen aus Gansingen. Aber ich denke, man kommt als Gansinger auch wieder zurück.» Rahel stimmt zu.

Während ich die zahlreichen Aktivitäten der beiden zu Papier bringe, wundere ich mich nun gar nicht mehr, dass es nicht ganz einfach war, einen Termin zu finden, der für beide passte.

Den Cheisacherturm im Blick
Wir stehen noch immer auf dem Parkplatz beim Gemeindehaus. Die beiden wären mit der NFZ gerne hinauf zum Cheisacher-Turm spaziert. Doch bei dem Wetter und angesichts der fortgeschrittenen Zeit macht das keinen Sinn. Stattdessen blicken wir nun hoch zum Turm. Im Grenzgebiet der Gemeinden Gansingen, Laufenburg und Mönthal, auf 698 m.ü.M. hat der Trägerverein Cheisacherturm anno 2010 den filigranen Holzturm errichtet. Er steht genau an der Stelle, wo vor bald 100 Jahren bereits ein Turm der Eidgenössischen Landestopographie für Vermessungs- und Beobachtungszwecke erbaut wurde. Würden wir jetzt auf der obersten Plattform stehen, würde die Sonne scheinen und die laue Luft klar sein, wir kämen gewiss ins Schwärmen und hätten eine einmalig prächtige Rundsicht bis in die Alpen, den Schwarzwald und die Vogesen... Gibt es einen anderen Platz, der ihnen besonders am Herzen liegt, einen Lieblingsplatz? Die beiden schauen sich an, winken ab. «Aber es gibt einen Platz, von dem aus man wunderschöne Fotos von unserem Dorf machen kann», sagt Patrice. Auf geht’s – zum Auto und hinauf in den Ortsteil Galten, so lange es noch hell genug ist, um zu fotografieren. Wir blicken hinunter auf Gansingen, zwei Kilometer südlich liegt der Ortsteil Büren, rundherum die Hügelzüge des Fricktaler Juras. Bürerhorn, Laubberg und Cheisacher sind hufeisenförmig angeordnet die Erhebungen in diesem oberen Teil des Mettauertals.

Für jedes Alter etwas Passendes
Gansingen ist nach wie vor selbstständig. 2007 hat sich die Gemeinde gegen die Fusion mit Mettauertal ausgesprochen. «Wir haben trotzdem eine enge Verbindung im Tal. Viele haben Kollegen ausserhalb Gansingens. Aus der Oberstufe zum Beispiel, die wir in Laufenburg besuchen, oder über eine Mitgliedschaft im TSV Mettauertal. Wir pflegen diese Freundschaften», betonen meine beiden Begleiter. Und was ihnen auch ganz wichtig ist: «Auch Zugezogene finden bei uns ganz schnell Anschluss. Mit über 20 Vereinen im Dorf findet sich für jedes Alter etwas Passendes.» Weit über Gansingen hinaus ist das Dorf bekannt für seinen Theaterverein und für die Radsportveranstaltungen. «Früher wurden im Dorf internationale Querfeldein-Rennen durchgeführt. Erst im letzten Sommer war Gansingen Etappenort der Tour de Suisse», erzählt Patrice. Auch der «Dorfmärt» im Herbst hat Tradition. Nicht zu vergessen der «Pfingstsprützlig». «Bei den vielen Vereinen gibt es auch viele Feste und die besucht man dann auch immer», ergänzt Rahel. Längst sind wir zurück von Galten, wo wir beschlossen hatten, unsere Unterhaltung an einem warmen und trockenen Ort fortzusetzen. «Gehen wir ins Restaurant ‹Landhus›», hatten die beiden vorgeschlagen. Ein Restaurant in Gansingen, eins im Ortsteil Büren mit Namen «Gartenlaube», der Denner für den Grundbedarf schräg gegenüber dem Gemeindehaus, die Post in Mettau, Baden und Brugg mit dem öffentlichen Verkehr gut erreichbar «und in einer Stunde ist man entweder in Basel oder in Zürich, wenn wir ‹lädele› wollen oder in einer grösseren Stadt in den Ausgang gehen möchten», sagt Rahel, die auch das Angebot mit dem Nachtbus schätzt. «Es ist alles machbar mit dem ÖV, wobei ich auch gerne mit dem Velo zur Arbeit ins PSI nach Villigen gefahren bin», sagt Patrice. Und schmunzelnd fügt er hinzu, dass er mit dem Velo einiges schneller war, als mit dem Bus. «Mit 18 lernen die meisten im Dorf Autofahren. Bei mir war das auch so.» Rahel nickt, bald ist es auch bei ihr soweit.

Die Zeit mit den beiden vergeht wie im Flug. Wir haben uns schon verabschiedet, da dreht sich Patrice Steinacher noch einmal um: «Wer ist eigentlich die Frau, die dir auf der Gemeinde unsere Telefonnummern gegeben hat? Ihr Name sagt weder Rahel noch mir etwas.» Ich kann mir eine scherzhafte Bemerkung nicht verkneifen: Haben die beiden nicht gesagt, in Gansingen kennt man sich? Durch Dunkelheit und Regen mache ich mich auf den Heimweg. Und dabei weiss ich jetzt genau: In Gansingen sieht es nicht immer so aus wie an diesem Sonntag im Januar.

 

 


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