«Ich bin dankbar, heute noch dabei sein zu können»

  02.11.2021 Eiken, Musik

Mit der «Missa Francesco», einer eher modernen Messe, feiert der Kirchenchor Eiken am 14. November sein 175-jähriges Bestehen. Im Gespräch mit drei Mitgliedern und der Dirigentin zeigt sich, dass dieser Chor mehr ist als ein Gesangsverein. Und keinesfalls «verstaubt».

Bernadette Zaniolo

Mit 175 Jahren ist der Kirchenchor der älteste Verein in Eiken. Dass ein Verein nach so vielen Jahren noch besteht, ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Dazu benötigte es immer wieder Mut zum Weitermachen. Unstimmigkeiten aus diversen Gründen führten Ende der 1990er-Jahre dazu, dass der Verein über eine Auf lösung nachdachte. «Doch dann ging ein Ruck durch die Reihen», erzählt Niklaus Brülhart (Präsident und seit 1983 im Chor). Auslöser für das Weitermachen war der Tod des Sängerkameraden und Reiseorganisators Fridolin Rohrer. Eine Arbeitsgruppe um Toni Schwarz (Chormitglied und damals Präsident der Kirchenpflege Eiken-Münchwilen-Sisseln) sorgte wieder für «einen harmonischen Ton». Die Proben, die Konzerte, der Humor, die Cäcilienfeiern, die entstandenen Freundschaften und auch das Teilen von freudigen, wie von schmerzhaften Ereignissen, sind es wohl, die den grossen und spürbaren Zusammenhalt ausmachen.

«Ich bin dankbar heute noch dabei sein zu können. Ich liebe es zu singen», sagt die 86-jährige Marlène Rohrer im Gespräch. Sie ist seit 1952 im Chor und das amtsälteste Mitglied. Rohrer erinnert sich sehr gut an ihre Jugendjahre und wie sie zum Chor kam. Früher sei es oft so gewesen, dass man nach dem Ende der Schulzeit dem Kirchenchor beitrat. «Du chunnsch jetzt zum Chilechor», waren denn auch die Worte von Lehrer und Chorleiter Emil Obrist, als Marlène Rohrer nach einem auswärtigen Aufenthalt wieder nach Eiken zurückkehrte. Sie erzählt, dass sie bei Lehrer Obrist während der Schulzeit vier Jahre Klavierunterricht hatte.

Und als wäre es gestern gewesen, sagt Rohrer: «Früher haben wir stimmenweise geprobt.» Während des Wartens auf ihren Einsatz hätten die Frauen gestrickt oder ein Buch gelesen. «Oft auch einen ‹Schunken›», ein dickes Buch. Mit ihren Erzählungen an diesem Morgen sorgt Rohrer auch bei den weiteren Gesprächsteilnehmern, Bernadette Ries (Vorstandsmitglied und Materialverwalterin) sowie Simone Küpfer (Kirchenmusikerin und Chorleiterin seit 2009) für Schmunzeln. Damals, als die Proben noch im alten Gemeindehaus, in mit alten Schulbänken möbilierten Zimmern, stattgefunden haben, hätten die Männer dort auch «geschlotet». «Den Stumpen drückten sie anschliessend im Tintenfässli, das im Schulbank eingebaut war, aus», so Rohrer.

Sie erzählt auch, dass es damals auch viel mehr Proben und Auftritte (Verpflichtungen, die der Verein hatte), gab. «Wir haben zwei oder vor Auftritten manchmal gar drei Mal unter der Woche geprobt.» So etwa vor Hochfesten wie Pfingsten oder Ostern. An Frühmessen (morgens um 6 Uhr), Begriffe wie «das Amt» (Messe/in Eiken um 9.15) oder Vesper mögen sich wohl nur noch die älteren Chormitglieder erinnern. Früher habe der Pfarrer auch auf der Kanzel gepredigt und «vom Volk weg», heisst den Blick von den Gläubigen abgewandt, die Messe gelesen.

Marlène Rohrer war froh, als das neue Gesangsbuch kam. «Vorher hatten wir nicht gewusst, was wir singen», sagt sie bezüglich der in lateinischer Sprache geschriebenen Texte. Mit funkelnden Augen sagt sie auch, dass sie einen sehr verständnisvollen Mann gehabt habe. Es sei damals Usus gewesen, dass die Frauen nach der Heirat dem Chor den Rücken kehrten. «Mein Mann war verständnisvoll. Er hat mich immer motiviert zu den Proben und Auftritten zu gehen. Auch wenn viel Arbeit zuhause anstand.»

Der Ton macht die Musik
Bei den Äusserungen von Marlène Rohrer kommt oft ein zustimmendes Nicken von Bernadette Ries; sie ist seit 1973 im Chor (von vier Schwestern waren damals schon drei im Chor). In die «ältere Garde» gut integriert hat sich Chorleiterin Simone Küpfer. «Seit Simone bei uns ist, werden die Proben gut besucht.» Niklaus Brülhart ergänzt: «Sie hat ein extrem gutes Gespür, wie sie den richtigen Ton zu den Sängerinnen und Sängern findet und sie motivieren kann. Seit Simone da ist, hat sich noch nie jemand beklagt». Ries nickt wieder zustimmend. Und sie erwähnt mit einem Lächeln, dass es eine rund 90-prozentige Zuverlässigkeit beim Besuch der Proben gebe. Die letzten fünf Jahre sei auch eher wieder ein Zuwachs bei der Mitgliederzahl festzustellen. Dennoch bewegt sich die Mitgliederzahl seit Jahren bei zirka 30. Das hängt auch mit der «Überalterung» zusammen, sprich die Mitglieder «sterben weg». «Es war schlimm, dass wir ein halbes Jahr nicht zusammen singen konnten», hält Präsident Niklaus Brülhart fest. Der Chor ist sehr dankbar, dass Michael Küpfer (Ehemann der Chorleiterin) während der probelosen Zeit mit Video-Botschaften Unterstützung für das Üben zuhause gab.

«Es passt. Ich bin sehr frei.»
«Die Mischung aus alt und neu macht es», sagt Simone Küpfer zum Liedergut. Bernadette Ries berichtet, dass die sehr schweren Literaturstücke die Chormitglieder oft überfordert hätten. Ziele zu haben findet Küpfer zwar «schon gut», aber früher sei sehr viel auf Lateinisch gewesen. «Ich bin schon zwölf Jahre im Chor», sagt sie und ergänzt mit einem Lächeln: «Es passt. Ich bin sehr frei.» Fast ein wenig erstaunt, stellen Brülhart, Ries und Rohrer fest, dass es keine Musikkommission mehr gibt. «Das braucht es offenbar nicht mehr», so der Präsident. Als Niklaus Brülhart damals als Zuzüger (er stammt aus dem Kanton Freiburg und wohnte vorher in Pratteln) angefragt wurde, ob er dem Kirchenchor beitreten wolle, sagte er «unter der Bedingung zu, dass ich keine Vorstandsarbeit mache». Er ist seit 1983 im Chor und seit zirka 1997 im Vorstand.

Die wöchentlichen Chorproben finden jeweils am Dienstag, um 20 Uhr in der Kirche statt (Corona bedingt).


«Zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen»

Aus Anlass des «150-Jahr-Jubiläums» im 1995 wurde von Olivia Schwarz eine Chronik erstellt. Das Stöbern darin zeigt, dass das Erarbeiten der Fakten, so etwa das Gründungsjahr (1845) zu bestimmen, alles andere als eine einfache Aufgabe war. Doch die Arbeit hat sich in mehrfacher Hinsicht gelohnt. Denn ein kurzer Blick zurück ins Gründungsjahr führte in eine Epoche des Umbruchs. Sie war von vielen Sorgen, Nöten und Entbehrungen geprägt. «Die rasant aufstrebende Industrialisierung bringt einschneidende Veränderungen in das bäuerliche Leben, weil das wichtige Einkommen aus der Heimweberei durch die überlegene maschinelle Konkurrenz gefährdet wird», hält der damalige Gemeindeammann Max Matter in der Jubiläumsschrift fest. Er erwähnt auch, dass damals (1845) grosse Teile der Erdäpfelernte (Kartoffeln) von einer neuen Pilzkrankheit befallen waren und sich eine Hungersnot anbahne.

«Ein Meilenstein auf dem Weg unseres Chores ist sicher auch die Einweihung unserer neuen Orgel im Dezember 1968», heisst es in der Chronik. Sie ersetzte die alte Kirchenorgel, die 1894 eingeweiht worden war. Wichtige Marksteine in der neueren Zeit waren wohl die «bestens gelungenen» Fricktalischen Cäcilientage. 1971 und 1992 waren zwei Jahre, in denen sich die Eiker Vereinsmitglieder nebst den üblichen Aufgaben als Sängerinnen und Sänger noch tüchtig ins Zeug legten, um den Gastchören aus dem ganzen Fricktal zwei unvergessliche Feste zu bereiten. Bis Ende der 1980er- Jahre habe Eiken in Sachen Cäcilienfeste (regionaler Verband der Kirchenchöre) mit Schupfart und Wegenstetten zusammengespannt. Durch den Seelsorgeverband habe man später vermehrt mit Stein «zusammengearbeitet». «Das war für uns schon besonders», sagt Bernadette Ries (Vorstandsmitglied und Materialverwalterin) im Gespräch mit der NFZ. «Die Eiker sind eher Frick orientiert», begründet sie. Wenn sich auch in all den Jahren viel getan und verändert hat, eines ist geblieben: Der Kirchenchor Eiken singt «zur Ehre Gottes und zur Freude der Menschen.» Dabei gefällt er mit moderner Kirchenliteratur sowie bei passender Gelegenheit auch mit weltlicher Liederkost. (bz)


Jubiläums-Gottesdienst am 14. November

Am 14. November – coronabedingt ein Jahr später – feiert der Kirchenchor Eiken sein 175-jähriges Bestehen mit einem Gottesdienst. Höhepunkt ist die «Missa Francesco» für einen gemischten Chor (vierstimmig). «Es ist eher eine moderne Messe», sagt die Eiker Chorleiterin Simone Küpfer. Im Projektchor für den Anlass wirken nebst den Eiker Sängerinnen und Sängern auch vier Frauen und ein Mann aus umliegenden Chören mit. Gemäss Küpfer hätten sich diese Personen sehr schnell nach dem «Aufruf» gemeldet. Der Chor wird von einem Streicherorchester sowie von Michael Felix, dem ehemaligen Organisten des Münsters von Bad Säckingen unterstützt. (bz)

Jubiläums-Gottesdienst am 14. November in der Pfarrkirche Eiken; Beginn: 10.30 Uhr. Mit Zertifikatspflicht.


Aktuelles und ein Attentat

Der Kirchenchor Eiken wird aktuell von Niklaus Brülhart präsidiert. Dem Vorstand gehören weiter Rosmarie Furrer (Vizepräsidentin), Ludwig Wirthlin (Kassier), Bernadette Ries (Materialverwalterin) und Erika Stotzer (Aktuarin) an. Chorleiterin ist Simone Küpfer und Präses ist Stephanus Wolo Itu, leitender Priester im Seelsorgeverband Eiken-Stein.

Der 7. Februar 1926 – ein Sonntag – ging als schwarzer Tag in die Annalen des Kirchenchores Eiken ein. Nach dem Abendrosenkranz wurde der damalige Pfarrer Otto Schnetzler überfallen und mit «drei Revolverschüssen» verletzt. Alle drei Kugeln trafen. Obwohl er «lebensgefährlich verwundet» wurde, konnte er das Spital am 8. März wieder verlassen. Als tragisches Ereignis in der jüngeren Geschichte des Chores ist der Unfall des damaligen Chorleiters Markus Hagmann zu erwähnen. Er verunglückte am 26. Januar 1983, 26-jährig auf der Heimfahrt von der Chorprobe auf dem vereisten Zeininger Viadukt. (bz)


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