Wo Abwasser wieder sauber wird

  01.08.2021 Möhlin

Ein Besuch in der Abwasser-Reinigungsanlage (ARA) Region Möhlin

Verborgen ist sie zwar nicht und durch den Zaun schauen ist auch erlaubt, aber betreten hat sie wohl selten jemand, der dort nicht arbeitet – die Kläranlage in Möhlin.

Birke Luu

Abwasser ist nicht wirklich fotogen und eben so wenig schmeichelt es der menschlichen Nase. Dennoch muss festgehalten werden, dass die Geruchsbelästigung auf dem Gelände einer Kläranlage nicht einmal halb so wild ist, wie man meinen könnte. Hinzu kommt die gute Laune des hier arbeitenden Personals, welches voller Begeisterung bei der Sache ist, nämlich der Zurückverwandlung von schmutzigem Abwasser in sauberes Nass, in dem man auch wieder baden kann.

Wie genau geht das vor sich? Ganz grob gesagt leitet die bei uns übliche Mischkanalisation alle Abwässer von Haushalten, Gewerbebetrieben sowie verschmutztes Regenwasser zur Kläranlage. Dort wird es zunächst mittels mechanischer, dann biologischer und chemischer Verfahren gereinigt und anschliessend wieder dem natürlichen Wasserkreislauf zugeführt, indem es in Möhlin unterirdisch und weit vom Ufer entfernt in den Rhein geleitet wird.

Erklärung
Die Entfernung von Feststoffen aus einer Flüssigkeit wird als Klären bezeichnet, daher der Begriff Kläranlage. In der Schweiz jedoch heissen diese rund um die Uhr sauberes Wasser produzierenden «Fabriken» offiziell Abwasser-Reinigungsanlagen (ARA). Beide Namen treffen ins Schwarze – oder eher Braune, denn die munter gurgelnde Brühe, die hinter verschlossenen Türen in einem Nebenraum des Betriebsgebäudes ankommt, ist von genau dieser Farbe. «Dies ist auf unserem Gelände der unangenehmste Ort, denn hier stinkt es am meisten», erklärt lachend Daniel Metzger, Klärmeister und Leiter der ARA Region Möhlin. Eine Art automatischer Rechen hole hier «alles, was wir bedenkenlos in Waschbecken, Toilette oder Kanalisation werfen,» aus dem Abwasser. Im ekligsten Fall handele sich dabei um Gedärme oder andere Tierin nereien, wie sein jüngerer Kollege Benjamin Soland ergänzt. Falls etwas steckenbleibe oder sich verklemme, müssten sie selbst Hand anlegen. Ein Gedanke, der auch jeden abgebrühten Klärwerker zum Nase rümpfen bringt. Schnell nach draussen.

Unter freiem Himmel und für Passanten leicht einzusehen liegt der offensichtliche Teil einer Kläranlage: die diversen Klärbecken. Heute unvorstellbar, aber bis in die 1970er Jahre wurde in der Schweiz noch grösstenteils alles Abwasser ungeklärt in die Flüsse geleitet. Auch die Möhliner ARA entstand erst 1978, wurde seitdem immer weiter ausgebaut und an neue Vorgaben angepasst. Zudem wuchs ihr Einzugsgebiet ständig, so dass seit 2010 das gesamte Wegenstettertal und Fischingertal zum Abwasserverband Region Möhlin gehören – mit einer einzigen verbliebenen ARA zwischen Naturschutzgebiet und Möhliner Freibad.

Von Vorklärung bis Nachklärung
Im ersten Klärbecken befinden sich Sandfang und Fettfang. Es wird aus dem Abwasser der vom Regenwasser mitgeführte Strassenabrieb und Sand entfernt, indem sich dieser am Beckengrund absetzt und vom hin- und herfahrenden Fahrwerk abgesaugt wird. Im Fettfang wird dann alles, was auf dem Wasser schwimmt, oberf lächlich weggeschoben und gesammelt.

Auch im zweiten Becken, der Vorklärung, erfolgt die Reinigung nach diesem mechanisch-physikalischen Prinzip: Im nun stark beruhigten und verlangsamten Wasser sinken alle schwereren Verunreinigungen auf den Boden, die leichten sammeln sich an der Oberfläche. Beides wird wieder vom Fahrwerk, das alle 90 Minuten aktiviert wird, langsam in randliche Rinnen oder Trichter geschoben. Dieser Schlamm wird eingedickt und über Rohre in die beiden hochaufragenden braunen Faultürme gepumpt. Am Ende dieser Vorklärung befindet sich nur noch verschmutztes Wasser im Becken und es folgt die biologische Reinigung. Aus Sicherheitsgründen, da eine Kläranlage ja nie einfach abgeschaltet werden kann, bedarf es heute mindestens zwei paralleler «Reinigungsstrassen», was die zahlreichen Becken nebeneinander erklärt. Biologiebecken hat es in Möhlin hingegen sogar drei. Hier werden die organischen Stoffe des Schmutzwassers abgebaut, und zwar mit Hilfe von Belebtschlamm, einer Ansammlung von flockig aggregierten Mikroorganismen, vor allem Bakterien.

Im folgenden Absetz- oder Nachklärbecken wird das Wasser wieder so verlangsamt, dass sich der Biologieschlamm absetzt und von sich bewegenden Balken randlich weggeschoben werden kann. Während dieser Bioschlamm zurück ins erste Biologiebecken zur Wiederverwendung gepumpt wird, läuft das inzwischen gereinigte «Abwasser», das diesen Namen nicht mehr verdient, vom Geländeende an über eine unterirdische Leitung in den Rhein.

Klare Sache
Das Endprodukt besitzt zwar keine Trinkwasserqualität, doch rund 80 bis 99 Prozent der Verunreinigungen konnten in der Kläranlage entfernt werden, dies hängt von den genauen Verunreinigungsstoffen wie auch dem Wetter ab. Jawohl, ob Sonnen- oder Regentag hat direkte Auswirkungen. Die Reinigungsleistung einer ARA, und hier besonders des Biologiebeckens, ist umso optimaler, je konzentrierter das Abwasser ist. Die ungefähre Aufenthaltsdauer des zu reinigenden Wassers in der Kläranlage beträgt bei Schönwetter rund 24 Stunden, bei Regen jedoch nur halb so lang.

Und auf welchem Wege verlassen die dem Abwasser entnommenen Verschmutzungen die ARA? Prinzipiell werden sie alle entwässert, sprich mengenmässig verkleinert und kompaktiert. Anschliessend werden die ganz zu Beginn herausgeholten Verunreinigungen in Abfallsäcken von der Müllabfuhr entsorgt. Der von den Becken abgeschobene Schlamm hingegen, der in die Faultürme gepumpt wurde, entwickelt dort im Verborgenen Klärgas, das zur Energiegewinnung für die ARA genutzt wird, bevor er vom Schlammtransporteur per Tankwagen nach Pratteln zur Verbrennung gekarrt wird.

«Um die 60 Prozent unserer elektrischen Energie und 100% unserer Wärme stammt vom Klärgas», freut sich Daniel Metzger und zeigt das Blockheizkraftwerk, welches sich unter dem Betriebsgebäude befindet. Jawohl, es existiert auch ein unterirdischer Teil der Kläranlage. Ein Wärmetauscher sowie andere Technik, lärmende Pumpen und vor allem Rohre befinden sich hier. Im langen Leitungsgang ist dies eindrücklich zu sehen. Diverse alte und neue Belüftungsrohre kreuzen Rohre voller Rücklaufschlamm, Bioschlamm und Überlaufschlamm. Jeweils pro Reinigungsstrasse ein weiteres Rohr. «Drei Jahre lang bin ich den Leitungen nachgelaufen, dann habe ich sie einfach angeschrieben», lacht Daniel Metzger, der inzwischen 12 Jahre hier arbeitet. «Als Kind war ich mal in einer Kläranlage zu Besuch. Da hat es so gestunken, dass ich nie wieder dorthin wollte», schmunzelt der heutige Leiter der ARA. Er lernte Mechaniker, arbeitete in der Pharma-Industrie, bekam es dort mit Wasseraufbereitung und Abwasserbehandlung zu tun. 20 Jahre später wurde ein Klärmeister in Möhlin gesucht und er bewarb sich. «Klärwerker ist ein spannender, sehr technischer Job. Neben all den Geräten, die gewartet werden müssen, gibt es ergänzend die Biologie und Laborarbeit sowie ständige Neubauprojekte und Veränderungen,» schwärmt er heute. Zu seiner Verantwortlichkeit zählt nicht nur die ARA, sondern auch alle zum Abwasserverbund gehörenden Regenü berlau f becken, Pumpwerke, Entlastungsanlagen sowie die Druckleitung Wallbach-Möhlin.

Langeweile gibt es also keine, grössere Havarien mit auslaufendem Öl, Gift oder explosiven Stoffen bislang auch nicht, genauso wenig wie Personenunfälle, bei denen ein Teammitglied in eines der unwirtlichen Klärbecken gefallen wäre. «Nein, nein, nein, aber da sichern wir uns natürlich auch vorschriftsmässig», winkt er lachend ab. Doch es reiche aus, dass man hin und wieder im Schutzanzug mit Maske und Handschuhen in einen Schlammschacht oder ähnliches hinabsteigen müsse. Um diese Arbeit würde sich verständlicherweise keiner schlagen, aber ansonsten habe er einen spannenden, verantwortungsvollen Job in landschaftlich schöner Umgebung. Und elementar wichtig ist sein Arbeitsplatz noch dazu – wer will schliesslich mit seinem SUP auf ungeklärt eingeleiteten Abwässern herumpaddeln?


Unter dem Titel «Verborgenes» blickt die NFZ in einer losen Folge hinter verschlossene Türen und in versteckte Winkel. (nfz)


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