Kunstwerke der besonderen Art
27.02.2022 LaufenburgManch ein Narro bestellt eine Zweit-, Dritt- oder Viertlarve
Seit 1921 sind Larvenschnitzer in Laufenburg namentlich bekannt
Die nachweisbare Geschichte der Laufenburger Larven geht bis ins frühe 18. Jahrhundert zurück. Viele Masken wurden vererbt; doch immer wieder gilt es, neue zu schnitzen oder alte auszubessern.
Boris Burkhardt
Die vermutlich älteste Holzlarve Südwestdeutschlands hängt noch immer im «Goldenen Anker», der Zunftstube der Narro-Altfischerzunft in der minderen Stadt (Laufenburg/Deutschland). Der schwäbische Fasnachtsforscher und VSAN-Funktionär Wilhelm Kutter (1905–1980) hat sie 1973 aufgrund stilistischer Merkmale auf die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts datiert, 1976 sogar auf den Zeitraum zwischen 1690 und 1710. Selbstverständlich gehört sie einem Narronen.
Der Freiburger nationalsozialistische Volkskundler Hermann Eris Busse (1891–1947) schreibt 1937 abgesehen davon, dass die Laufenburger Larven hässlich seien: «Teils stellen die Larven bildnisähnliche Übertriebenheiten der Mitbewohner dar, ein Zug, der ja bei allen neuen Holzmasken festgestellt werden kann.» Martin Blümcke, Jahrgang 1935 und heute noch Stadtarchivar von Badisch-Laufenburg, schrieb im 600-Jahr-Jubiläumsbuch der Zunft von 1986 einen Aufsatz über die Laufenburger Masken. Er bestätigt: «In der Tat sind bis in die jüngste Gegenwart immer wieder Larven bestellt und angefertigt worden, die zwar auf der traditionellen Linie liegen, aber zugleich eine gewisse Portraitähnlichkeit besitzen.»
Im Gegensatz zu anderen schwäbisch-alemannischen Fasnachtshochburgen, schreibt Blümcke, erlaube die Narro-Altfischerzunft «einen grossen formalen Spielraum» bei der Gestaltung der Masken. Der Mainzer Volkskundler Herbert Schwendt (1934–2010) wiederum behauptet, die freie Wahl der Gesichtszüge sei die ältere, archaischere Variante gegenüber der strikten Festlegung. Für das Jubiläumsbuch 1986 zählte Edgar Maier, damaliger Zunftmeister der mehreren Stadt, auf Schweizer Seite 16 lachende Larven, 21 grinsende, vier weinende, zwei grimmige und eine mit Pausbacken.
Blümcke versuchte auch, die Larvenschnitzer der Narronen in der Vergangenheit zu bestimmen. Vor dem Ersten Weltkrieg war ihm dies nicht mehr namentlich möglich. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein geht er davon aus, dass aufgrund des bestehenden Zunftzwanges zumindest auf badischer Seite nur Schreiner und Wagner Masken schnitzten. Für die Zwanziger und Dreissiger des 20. Jahrhunderts sind Bestellungen bei Schnitzern in Elzach nördlich von Freiburg belegt, eine der ältesten Fasnachtshochburgen im Schwarzwald. Blümcke stellt aber klar, dass zu jener Zeit sehr wenige neue Masken benötigt worden seien; zwei in einem Jahr seien schon die Ausnahme gewesen. Die altansässigen Familien vererbten ihre Narro-Larven.
Der erste namentlich bekannte Larvenschnitzer in Laufenburg ist Bildhauer Anton Hahn (1892–1965). Blümcke berichtet von einer von Hahn signierten Larve von 1922. Ein Jahr später war Hahn nach New York ausgewandert, hatte aber offensichtlich seinem Neffen Gerhard Hahn, Jahrgang 1921, das Talent «vererbt». Der Neffe wurde 1950 Mitglied der Narro-Altfischerzunft und schnitzte bis 1982. Wie Blümcke im Gespräch mit ihm erfuhr, zeichnete er nur das Profil vor und vermass nur bestimmte Punkte wie die Höhe der Augen: «Sonst habe er das Gesicht frei herausgeschnitten.»
Josef Uecker (1896–1983) aus Murg war gelernter Schneider, arbeitete als Metallschleifer und schnitzte in der Freizeit. Narro-Larven fertigte er zwischen 1941 und 1961; laut Blümcke «betonte er auffallend die Augenbrauen und die Kinnpartie; oft ist auch das Haar geschnitzt». Sein expressionistischer Stil sei beeinf lusst gewesen von den «überdimensionalen Grotesk-Masken aus dem Lötschental».
Einzigartige Gesichter
Ernst Läule, 1918 als Sohn deutscher Eltern in Zürich geboren und in Laufenburg aufgewachsen, fertigte 1951 oder 1952 in der damaligen Schreinerei Hahn seine erste Larve aus Lindenholz. Auffällig leicht waren laut Blümcke die Larven des Murgers Adolf Lehmann (1906–1972). Er schnitzte von 1950 bis 1970; seine letzte Larve schuf er für seinen Enkel. Sohn Werner Lehmann, damals Zunftmeister der minderen Stadt, behauptete 1986, die stilistisch einzigartigen Gesichter bei den Umzügen herausfinden zu können.
Der gebürtige Rotzler Hugo Eckert (1905–1985), erzählte Blümcke kurz vor seinem Tod hingegen, er könne nicht mehr alle seine Larven erkennen. Der Bildhauer, der ab 1955 in Laufenburg wohnte, sich aber vom Fasnachtstreiben fernhielt, bezeichnete sich auch «nur zum kleinsten Teil als Maskenschnitzer»: Seine Madonnenfiguren, Grabdenkmale, Wegweiser, Wappenteller und Lampen finden sich in der ganzen Region. Eckert verriet Blümcke, er lasse sich von realen «Köpfen» inspirieren: «Wenn mir grad einer so passt, der ein Original ist im Hotzenwald oben, dann zeichne ich ihn und mach einen Entwurf von ihm.» Von Eckert waren auf Schweizer Seite 1986 26 Larven nachgewiesen.
Zu fratzenhaft
1986 schrieb Blümcke, in Laufenburg gebe es kaum noch Larvenschnitzer, sodass sich die Narro-Altfischerzunft auswärts umsehen müsse: «Die Schweizer Narronen haben es kürzlich einmal mit einem Schnitzer aus Brienz im Berner Oberland versucht; doch das Ergebnis konnte nicht befriedigen: Runde Kulleraugen und Froschmaul passen nicht zur Laufenburger Tradition.» Auch die Masken von Werner Umberg aus Berschis SG seien «ein wenig zu fratzenhaft» ausgefallen. Blümcke konnte damals nicht wissen, dass bereits 1990 mit Peter Strittmatter ein weiterer Schnitzer in Laufenburg regelmässig aktiv werden würde. Der Zahnarzt wurde 1950 in Badisch-Laufenburg geboren und trat Anfang der Neunziger in die Zunft ein. Schon als Jugendlicher habe er erste Larven geschnitzt, erzählt er der NFZ. Für neue Zunftbrüder schnitze er eine bis fünf Larven pro Jahr. Wobei «eine Larve» drei Larven bedeute: eine für das Gesicht, eine als Abzeichen in einem Oval von zehn Zentimetern Länge und eine noch kleinere für das Käppi. Ausserdem fertigt Strittmatter jedes Jahr die Plaketten.
Doch viel öfter repariere er historische Narro-Larven, die brüchig geworden oder kaputtgegangen seien, berichtet Strittmatter. Auch wünschten sich viele Narronen eine Zweit-, Dritt- oder gar Viertlarve, ein anderes Motiv, weinend statt lachend zum Beispiel. Strittmatter verwendet fast immer Lindenholz, hat aber auch Thuja, Mammutbaum, Ahorn, Pappel und Eibe versucht. Früher habe er die Larve innen nicht lackiert, weil es angenehmer zum Tragen sei. Aber das Holz reisse ohne Lack wegen des Schweisses.
Die meisten Narro-Larven verschenkt Strittmatter; den Zunftbrüdern, «die es sich leisten können oder etwas bezahlen wollen», mache er einen Preis, der «deutlich unter den 500 Euro» liege, die die Maske wert sei. Denn wie die Laufenburger noch 1986 Schnitzer auswärts suchen mussten, bestellen heute auswärtige Narren Holzmasken bei Strittmatter in Laufenburg, und zwar durchaus «Narrenadel» aus Elzach, Rottweil, Offenburg und sogar Imst.