Die Zukunft der Landwirtschaft wird entschieden
16.05.2021 AbstimmungenZwei Agrar-Initiativen kommen am 13. Juni vors Volk
Pro
Enkeltauglich, darum zwei Mal Ja
Gertrud Häseli, Bio-Bäuerin, Grossrätin Grüne, Wittnau
Vor ein paar Tagen wurde unser erstes Grosskind geboren, ein Sonntagskind! Ein wichtiger Grund, warum es mich als Mutter, Bio-Bäuerin und Politikerin interessiert, wie die Welt von Morgen aussehen wird. Welche Böden, welches Wasser, welches Klima hinterlassen wir den im Jahr 2021 geborenen Kindern?
Ja sagen und unsere Ansprüche hinterfragen
Der Fleischkonsum, der bei uns im Moment als normal gilt, ist viel zu hoch und viel zu einseitig. Gegen 200 Gramm Fleisch und Eier pro Tag ist zu viel für unsere Gesundheit und zu viel für unsere Erde. Die dafür nötige intensive Landwirtschaft setzt riesige Mengen an Pestiziden, Antibiotika, Importfutter ein und produziert zu viel Gülle und umweltschädigende Gase. Der zu hohe Fleischkonsum bedroht die Qualität unseres Trinkwassers, die Biodiversität, das Klima und die Luft.
Die Initiative will das Geld in eine trinkwasserfreundliche Landwirtschaft umlenken, die pestizidfrei und aus eigenem Boden produziert und in der Tierhaltung keine Antibiotika prophylaktisch einsetzt. Zusätzlich sollen Bäuerinnen und Bauern bei diesem Systemwechsel mit Bildung, Forschung und Investitionshilfen unterstützt werden. Die Schweiz importiert jährlich 1,2 Millionen Tonnen Futtermittel, auch aus Südamerika, damit sie ihre überhöhten Nutztierbestände ernähren kann. Urwälder werden dafür gerodet! 50 Prozent des Schweizer Fleisches und 70 Prozent der Schweizer Eier und Poulets werden mit Importfutter hergestellt. Das Resultat: viel zu viel Gülle und Ammoniak. Die Pestizide sind dafür entwickelt, lebende Organismen zu töten. Sie dringen zum Beispiel in das Nervensystem ein und stören lebenswichtige Funktionen. So haben wir in den letzten 30 Jahren bis zu 75 Prozent der gesamten Insektenbiomasse verloren und bis zu 40 Prozent der Singvögel sind in der Schweiz für immer verschwunden. Dafür verantwortlich ist im Wesentlichen die ressourcenintensive Landwirtschaft mit dem hohen Pestizidverbrauch. Diese Substanzen haben einen erwiesenermassen negativen Einfluss auf die Pflanzenvielfalt sowie die Artenvielfalt im Boden. Um widerstandsfähige und funktionierende Ökosysteme aufrecht zu erhalten, ist die Biodiversität essenziell – sie ist die einzige Art von nachhaltiger Landwirtschaft. Nur ein Ausstieg aus der intensiven Produktion kann das Leben der verschiedenen Arten schützen und sie für die Zukunft lebendig halten.
Das Überangebot an Lebensmitteln führt zu einer grossen Verschwendung. 1/3 der produzierten Lebensmittel geniessen wir nicht als feine Mahlzeit, 1/3 der Lebensmittel landet im Abfall. Food Waste ist ein neues Problem unserer Überflussgesellschaft. Kochen, backen unverpackte Regionalprodukte geniessen. Dies bringt uns mit unseren Lebensmitteln wieder in Beziehung.
Ja sagen und den Lebensmitteln wieder einen Geld-Wert geben
Von Jahr zu Jahr wird unser Haushaltbudget für Lebensmittel kleiner. Alle sind wir zu Schnäppchenjägern geworden. Der Produzentenpreis ist so tief, dass er am Regal eine untergeordnete Rolle spielt. Landwirte und Bäuerinnen können nur dank den Direktzahlungen und dank der Intensivierung der Produktion ihr Einkommen erwirtschaften. Und das Problem ist ein Globales. Im umliegenden Ausland werden Tipps gegeben, wie man am günstigsten durch die Schweiz reisen könnte. Eine Empfehlung: Die Schweiz sei zwar teuer, doch das Wasser könne von jedem Brunnen bedenkenlos getrunken werden. Ich bin überzeugt, dass mir jede Grossmutter zustimmt, dass auch die 2021 geborenen Kinder das Brunnenwasser jederzeit bedenkenlos trinken können!
Contra
Eine vernünftige Agrarpolitik dient der Natur mehr
Andy Steinacher, Landwirt, Grossrat SVP, Schupfart
Wenn man Hände desinfiziert, Sonnencreme auf die Haut streicht, das Haus putzt, sind darin Mittel, die auch Pestizide sind. Das Haus, in dem wir wohnen, behält seine schöne Farbe nur weil in der Farbe Pestizide sind, mitunter auch Chlorotonil. Ist es richtig, die Landwirtschaft an den Pranger zu stellen, die eigene Umweltverschmutzung jedoch auszublenden? Von den chemischen Stoffen, die im Rhein in Basel gemessen werden, sind 0,9 % aus der Landwirtschaft, der Rest aus Haushalt, Industrie und der menschlichen Medizin. Medikamente, welche wir täglich einnehmen, von der Schmerztablette bis zu der Antibaby-Pille, verursachen Rückstände und gelangen dann schlussendlich in das Trinkwasser. Doch die Landwirtschaft wird für 0,9 %-Anteil als grosser Umweltvergifter an den Pranger gestellt, das ist alles andere als fair. Die Schweiz hat europaweit oder weltweit das beste Trinkwasser. Zu bemerken ist, dass die EU, auch Deutschland, über 100 Mal höhere Grenzwerte hat. Doch die Schweizer Landwirtschaft hat die Probleme erkannt, leugnet sie auch nicht und ist an Lösungen. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ist in den letzten Jahren um 40 Prozent gesunken, dabei werden zwischenzeitlich, auch in der konventionellen Landwirtschaft, über 50 Prozent biologische Pflanzenschutzmittel verwendet. Der Einsatz von Antibiotika ist in der Landwirtschaft um 50 Prozent gesunken; für den menschlichen Gebrauch immer noch am Steigen. Mit dem neuen strengen Pestizidgesetz werden die Umweltgefahren von der Landwirtschaft nochmals um 50 Prozent gesenkt. Mit 17 Prozent ökologischen Massnahmen erfüllt die Landwirtschaft die Auflagen von mindestens 7 Prozent weit mehr als gefordert. Bei Annahme der Trinkwasserinitiative werden viele der intensiven Landwirtschaftsbetriebe – wie Obstbau, Rinder-Hühner-S chweinema s t und gro s s e Milch - betriebe – aus dem Direktzahlungssystem austeigen, weil bei ihnen die Direktzahlungen eine kleine Bedeutung haben. Dabei werden diese Betriebe zusätzlich intensivieren, um den Verlust der Direktzahlungen zu kompensieren. Die Landwirte, welche aus den Direktzahlungen aussteigen, müssen keine Ökomassnahmen vorweisen. Die von ihnen angelegten ökologischen Elemente wie Hecken und Blumenwiesen werden wieder verschwinden, da sie dafür auch kein Geld mehr erhalten. Verliererin wäre die Natur.
Die extremen Initiativen werden das Erreichte zerstören statt verbessern. Die Pestizid-Initiative wird den Einsatz von Pestiziden, überall auch in Industrie, Handel und Haushalt verbieten. Die Lebensmittelindustrie dürfte nur noch Biorohstoffe verwenden. Ich frage mich, woher nimmt als Beispiel die Brauerei Feldschösschen die benötigte Menge Bio-Braugerste? Die in der Produktion benötigten Reinigungs- und Desinfektionsmittel wären grösstenteils auch verboten. All das verteuert unsere Lebens- und Genussmittel. Wer kauft dann Schweizer Bier, wenn es im nahen Deutschland Bier für einem Bruchteil des Preises zu kaufen gibt?
Tausende Arbeitsplätze sind gefährdet. Können sich alle Einwohner der Schweiz 50 Prozent teurere Lebensmittel leisten? Der Einkaufstourismus würde extrem zunehmen. Die regionale Produktion von Lebensmitteln sinkt um 40 Prozent und wird durch Importe ersetzt. Mit den extremen Agrar-Initiativen werden unsere Umweltprobleme nur in das Ausland verlegt, an Orte, wo wir nicht kontrollieren können, wie unsere Lebensmittel produziert werden. Darum sage ich klar zwei Mal Nein zu den extremen Agrar-Initiativen! Eine vernünftige Agrarpolitik dient der Natur und unserer Gesundheit mehr.
Direktzahlungen und Pestizide
Am 13. Juni entscheidet das Schweizer Stimmvolk über die Trinkwasser- und die Pestizidverbotsinitiative. Die «Volksinitiative für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung» will Landwirten, die Pestizide einsetzen, die Direktzahlungen streichen. Mit der zweiten Initiative «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» sollen synthetische Pflanzenschutzmittel und der Import solcher Produkte verboten werden. (nfz)