Volksmusik und eine blaue Tracht

  05.10.2020 Frick

Anja Mettler aus Frick spielt Hackbrett und jodelt

Wäre da nicht ein Virus, welches das gesellschaftliche Leben bremst, Anja Mettler hätte ihren 100. Auftritt mit dem Hackbrett schon hinter sich. Die Volksmusik ist ihre Leidenschaft, die Sau das Lieblingstier der Bauerntochter und ein medizinischer Beruf ihr Ziel.

Simone Rufli

Die Fricktaler Sonntagstracht hängt in der Garderobe bereit. In wenigen Tagen wird Anja verreisen; mit im Gepäck das schmucke Kleidungsstück. Am 8. Oktober beginnt in Wildhaus im Toggenburg das Jodel-Camp. Anja wird die Jüngste sein in diesem Lager. «Man muss zwölf sein, um daran teilzunehmen.» Anja schaut zur Mutter und lacht. «Sie wird am 9. Oktober zwölf, daher darf sie mit», erklärt Katrin Mettler. «Zum Abschluss der Woche werden sie in der Tracht auftreten.»

Bald fünf Jahre ist es her, als Anja das Hackbrett entdeckte. Das geschah damals über’s Singen. Als Mitglied des Chinderjodelchörli Frick trat Anja in der Volksmusik-Sendung «Potzmusig» des Schweizer Fernsehens auf. Als sie Moderator Nicolas Senn am Hackbrett spielen hörte, war es um Anja geschehen. So schnell das Instrument feststand, das ihre Tochter erlernen wollte, so schwierig habe sich die Suche nach einem Unterrichtsort gestaltet, erzählt Katrin Mettler. «An der Musikschule ist das Hackbrett nicht im Angebot. Schliesslich fanden Mettlers eine Privat-Lehrerin im Luzernischen. «Für uns ist es so perfekt. Wir schätzen die flexiblen Unterrichtszeiten, weil unsere Arbeit auf dem Hof ja auch nicht immer genau gleich intensiv ist», erklärt Katrin Mettler. Sie begleitet ihre Tochter immer zum Unterricht, hört mit und kann so auch beim Üben daheim helfen.

Anja nimmt ein Notenblatt zur Hand. Wobei Notenblatt nicht ganz richtig ist. Auf dem Blatt stehen Buchstaben, einige mit Strichen versehen, andere ohne. «Weil meine Lehrerin keine Noten lesen kann, notiert sie mir die Töne so», folgt Anjas Erklärung. «Vieles läuft zudem übers Gehör.»

Flyer und Visitenkarten
Im Januar 2016 begann Anja Stunden zu nehmen. Bereits im Juni desselben Jahres hatte sie ihren ersten Auftritt vor Publikum. Was im kleinen familiären Rahmen begann, hat sich seither stetig ausgeweitet. Geburtstage, Generalversammlungen, Gottesdienstbegleitungen, Auftritte an Märkten, Metzgeten, Hochzeiten, Firmenanlässen, Frauenmorgen und Jodlerabenden gehören heute dazu. Mehr Publikum, ganze Turnhallen und auch mal ein Auftritt weit weg im Bernbiet. «Mund zu Mund-Propaganda», erklärt Anja «und dann lege ich ja auch immer meine Flyer und Visitenkarten auf». So professionell die junge Musikerin ans Werk geht, so selbstsicher tritt sie auf. «Ich finde, es braucht Mut, vor so vielen Leuten zu spielen», sagt die Mutter. Anja zuckt mit den Achseln: «Ich übe ja viel und habe schon viele Auftritte hinter mir, darum habe ich kaum Lampenfieber.» Anja ist überzeugt, dass ihr die Auftritte auch in der Schule helfen. «Bei Vorträgen zum Beispiel.» Mathe ist ihr Lieblingsfach, nicht etwa Musik.

Mit den Einnahmen aus den Auftritten kommt Anja für den Unterhalt ihres Instruments auf und finanziert den Ersatz von Verschleissmaterial. Und erst kürzlich konnte sie sich die neue, blaue Fricktaler Sonntagstracht kaufen, die jetzt in der Garderobe hängt. «Anja will nur eine blaue, alle anderen Farben kommen nicht in Frage.» Mutter und Tochter lachen. Zusammen mit den Eltern, mit dem zwei Jahre älteren Bruder, Milchkühen, Rindern und Kälbern, Mastschweinen und Katzen ist Anja auf dem Lindenhof oberhalb des Forschungsinstituts für biologischen Landbau zu Hause. Im Stall bei den Sauen und auf dem Weg zur Schule da jodelt sie gerne. Die Musik zum Beruf machen möchte Anja aber nicht. «Mein erster Berufswunsch war Metzger, dann wollte ich Tierärztin werden. Inzwischen bin ich sicher, dass es ein Beruf im medizinischen Bereich sein wird.» Am Zukunftstag im November wird sie eine Medizinische Praxisassistentin begleiten.

Höhepunkt nach der Sendung
Apropos Begleitung: Im November 2018 traf Anja zum zweiten Mal auf Nicolas Senn. Diesmal hatte sie ihr eigenes Hackbrett mit dabei. «Als die Sendung fertig war, die Scheinwerfer und Mikrofone abgeschaltet waren, nahm sie allen Mut zusammen und bat Nicolas Senn mit ihr zusammen Hackbrett zu spielen. «Leider ging das nicht, weil sein Instrument völlig verstimmt war. Dafür setzte er sich ans Klavier und begleitete mich bei einem Stück.» Die Freude über dieses gemeinsame Musizieren steht Anja noch heute ins Gesicht geschrieben.

Und welches ist eigentlich Anjas Lieblingsmusik, wenn sie nicht am Hackbrett sitzt und nicht am Jodeln ist? Anja lächelt verschmitzt: «Volksmusik.» Seit dem Kindergarten jodelt die Sechstklässlerin im Chinderjodelchörli des Jodlerklubs Frick. Anja verschwindet kurz und kommt mit dem Hackbrett zurück. 125 Saiten, mehrere Stege, die die Saiten trennen, zwei Ruten – so heissen die kleinen Schläger aus Holz – um die beiden Schallöffnungen je eine Rosette. «Ja», Anja nickt, «Nicolas Senn hat sein Hackbrett vom gleichen Instrumentenbauer.» Die Rosetten um die Schallöffnungen sind das Markenzeichen von Johannes Fuchs aus Appenzell. Eine Gegend, die Mettlers sehr vertraut ist, nur ein paar Häuser weiter verbringen sie jeweils ihre Ferien. Gerade jetzt hat Anja auch Ferien und damit viel Zeit für ihre Lieblingstiere, die 250 Sauen. Auch die verwöhnt sie gerne mit ihren Hackbrettklängen.


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