Visionen erlaubt
01.01.2022 Stein«Mein Grossvater war ein Visionär und ein Macher», sagt Beat Käser. Wie er heute, war einst auch sein Grossvater Gemeindeammann von Stein und FDP-Grossrat. Vor fast 50 Jahren hatte Fritz Käser – er gehörte dem Steiner Gemeinderat 32 Jahre, davon 20 als Gemeindeammann an – mit seiner Vision einer Mittelschule im Ort quasi den ersten Stein für die Kanti in Stein gelegt. Ab Mitte 2029 werden junge Erwachsene in der neuen Mittelschule Fricktal in Stein unterrichtet. «Ich kann heute beenden, was mein Grossvater begonnen hat», so ein stolzer Beat Käser. Auch er packt gerne an. Und auch er hat Visionen für Stein. (sh)
«Diese Ausstrahlung ist sehr wichtig»
Im NFZ-Jahresendgespräch blickt Steins Gemeindeammann nicht nur zurück
Mit gleich zwei Entscheiden sorgte Stein im November für kantonales Aufsehen. Zum einen mit dem Standortentscheid für die Fricktaler Kantonsschule, zum anderem mit dem Zuschlag für die Austragung des Kantonalturnfestes 2028. Für Gemeindeammann Beat Käser gehören für erfolgreiche Vorhaben auch immer der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde.
Susanne Hörth
Beat Käser, was war für Sie das Prägendste des Jahres 2021
Beat Käser: Corona. Die Pandemie hat einen so grossen, wirtschaftlichen Schaden angerichtet. Es tut mir von Herzen leid für alle. Vor allem auch für die Gastronomie und das Kleingewerbe. Sie mussten zumachen und schauen, dass sie zu Geld kamen.
Abgesehen von der Pandemie…
… war das Jahr an sich gar nicht so schlecht. Es war vor allem auch ein spannendes Jahr. Allein auf Gemeindeebene ist bei uns sehr viel gegangen. Die Bevölkerung war aktiv dabei, hat über Sachgeschäfte diskutiert und Entscheide getroffen. Persönlich bin ich auch sehr froh, dass eine Aufsichtsanzeige gegen den Verwaltungsleiter und mich vom Kanton abgewiesen wurde. Wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen. Auch solche Dinge gehören zu einer aktiven Gemeinde. Für mich steht ganz weit oben, dass wir eine sehr gute Zusammenarbeit innerhalb des Rates und mit den Gemeindemitarbeitenden haben.
Seit sich Stein neben Rheinfelden und Frick als Standort für die geplante Mittelschule Fricktal beworben hat, rückte die Gemeinde vermehrt in das kantonale Interesse. Im November folgte der Grosse Rat dann der Empfehlung des Regierungsrates und entschied sich aus den drei Bewerbern für Stein.
(grinst) Ja, der November geht sicher in die Steiner Geschichte ein. Unsere Gemeinde war im Kanton Aargau in aller Munde.
Was erhoffen Sie sich mit der Ansiedlung der Kantonsschule für Stein?
Natürlich mehr Ansehen und Prestige. Auch wenn wir uns damit nichts kaufen können. Gleichwohl ist diese Ausstrahlung sehr wichtig. Es gibt sicher Firmen und vor allem Läden wie der Coop, die Migros und andere Detailhändler, die durch die Ansiedlung der Mittelschule darin bestärkt werden, ihre Filialen in unserem Dorf zu halten.
Wer profitiert sonst noch?
Natürlich Restaurants oder Kleingewerbe mit Aufträgen. So könnte etwa ein Restaurant günstige Mittagessen anbieten. Wenn nur ein einstelliges Prozent der rund 700 Schülerinnen und Schüler, die bei uns die Mittelschule besuchen werden, eine solche Essensverpflegung regelmässig nutzen, ist das eine grosse Chance für die Gastrobetriebe. Ich bin überzeugt, mit ein wenig Ideenreichtum können viele in irgendeiner Form davon profitieren.
Was ist mit den grossen Firmen in der Gemeinde? Gibt es auch da Synergiepotenzial?
Auf jeden Fall. Und das in vielerlei Hinsicht. Grosse Firmen, wie Novartis, Syngenta, Lonza oder auch die Erne, die alle hier in Stein ansässig sind, arbeiten jetzt schon zum Teil mit den bestehenden Mittelschulen zusammen und bieten etwa Praktikumsplätze an. Mit der Schule im Dorf werden schnellere Planund Entscheidungswege möglich.
Ist seit dem Entscheid für den Standort Stein schon etwas gegangen?
Ja sicher. Die nächsten Schritte werden jetzt umgesetzt.
Und die wären?
Ich kann dazu noch nichts Genaues sagen. Schliesslich ist der Kanton hier federführend.
Das Steiner Stimmvolk hat an einer der nächsten Gemeindeversammlungen über die Einzonung des Landes, auf welchem die Mittelschule zu stehen kommt, zu entscheiden. Rechnen Sie mit Widerstand?
Natürlich muss man immer mit ablehnenden Stimmen rechnen. Aber wir haben ja schon bereits im vergangenen Jahr bei der Kompetenzerteilung an den Gemeinderat deutlich gemacht, dass mit dem Verkauf auch eine Einzonung nötig sei. Dem Verkauf wurde deutlich zugestimmt, daher rechne ich auch bei der Einzonung für grünes Licht.
Die Mittelschule ist ein Vorhaben für die Zukunft. Wie Sie das mit ihrer Rede im November auch im Grossen Rat deutlich gemacht haben, wurde das erste Kapitel dazu schon vor über 40 Jahren von Ihrem Grossvater, damals Gemeindeammann in Stein geschrieben. Er hat sich schon damals für eine Kanti in Stein stark gemacht.
Ja, das war 1974.
Sie schreiben quasi die Geschichte Ihres Grossvaters weiter?
So ist es. Das, was er begonnen hat, kann ich nun beenden.
Welche Gefühle löst das bei Ihnen aus?
Es ist schon etwas Spezielles. Nicht nur in Bezug auf die Mittelschule. Beim Aktenstudium auf der Gemeinde habe ich immer wieder Unterlagen in den Händen, die von meinem Grossvater unterzeichnet wurden. Das erfüllt mich oft mit Stolz.
Geht dieser Stolz einher mit der Pflicht, in die Fussstapfen des Grossvaters treten zu müssen?
Überhaupt nicht. Bei meiner Kandidatur als Gemeindeammann wurde ich oft gefragt, ob ich in die grossen Fussstapfen meines Vorgängers Hansueli Bühler treten will. Das war nie mein Ziel. Ebenso wenig, wie in die Stapfen meines Grossvaters zu treten. Wie diese beiden Männer gehe auch ich meinen Weg. Ich bin eine eigene Person, mit eigenen Vorstellungen und Visionen
Das ist so. Dennoch sind die Parallelen zum Grossvater sehr gross. Er war wie Sie Gemeindeammann und wie Sie FDP-Grossrat. Und er hat sich ebenfalls für die Mittelschule in Stein stark gemacht.
Auch der berufliche Weg ist der Gleiche. Mein Grossvater kam 1953 nach Stein und begann hier mit seinem Landwirtschaftsbetrieb. Kurz darauf ist er mit zwei Kollegen, die er von der landwirtschaftlichen Schule her kannte, nach Russland gereist, um dort möglichst viel über den Maisanbau zu erfahren und zu erlernen. Das kannte man in der Schweiz damals noch nicht wirklich. Auch die Russlandreise war für jene Zeit etwas Aussergewöhnliches.
Er war ein Visionär und Macher. Er hat nicht nur gesagt, man könnte etwas machen, er hat es auch gemacht. Ob alles recht war, was er tat, weiss ich nicht. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann: Er hat viele Sachen aufgegleist, von denen wir heute profitieren können.
Wie eben die Mittelschule?
Ja. Eine Mittelschule in Stein ist seit 1981 im Schulgesetz verankert. Sie kam damals einfach nicht zustande, weil für die Fricktaler Kantischüler eine Vereinbarung mit Baselland und Baselstadt getroffen werden konnte.
Hat der Standortentscheid für Stein und gegen Frick und Rheinfelden für Missstimmung unter den Gemeinden geführt?
Ich denke nicht. Natürlich wurde im Vorfeld der Entscheidung viel gesagt. Auch immer wieder, warum Stein nicht geht. Für uns war immer wichtig, wir haben uns für unser Dorf als Standort eingesetzt, für uns gekämpft und kein Kampf gegen andere Gemeinden geführt. Letztlich hat Stein ja überzeugt. Auch wenn wir kein so grosses Dorf sind, so bedeutet das nicht, dass es uns nicht gut geht. Wir zahlen immerhin jährlich über 900 000 Franken in den Finanzausgleichtopf. Das ist nicht nichts. Zudem verfügen wir über eine gute ÖV-Anbindung.
Der öffentliche Verkehr nimmt an Bedeutung zu…
Richtig. Es geht dabei nicht nur um die Mittelschule. Unser Bahnhof ist schon vor fünf Jahren bereit gemacht worden. Seither können dort Gelenkbusse verkehren.
Eine Rolle spielt auch die grosse Bautätigkeit im Dorf. So ist etwa bei der grossen Überbauung Neumatt bereits die nächste Etappe geplant. Für dieses neu entstandene Quartier ist eine gute Busverbindung auch wichtig. Ebenso wie zu den grossen Firmen im Dorf.
Was geht aktuell im Bereich öffentlicher Verkehr?
Wir wollen mit dem Kanton eine regionale Verkehrsplanung machen. Wenn das nicht geht, dann sicher einen kommunalen Verkehrsplan. Dieses Vorhaben wollen wir in den nächsten Wochen aufgleisen. Ganz klar ist, dass bei allen Überlegungen zum öffentlichen Verkehr auch die neue Schule mit einem Bushalt eingebunden wird.
Im November, wenige Tage nach dem Standortentscheid für die Mittelschule, ist Stein als Austragungsort für das Kantonalturnfest 2028 ausgewählt worden. Tausende von Turnerinnen und Turner werden dann zwei Wochenende lang Stein zu einer Hochburg des Sports machen. Ist die Gemeinde dafür gewappnet?
Selbstverständlich. Der Turnverein Stein hat gesagt, er will das übernehmen. Und wir von der Gemeinde haben ihnen unsere Unterstützung zugesagt. Natürlich stellt das Ganze auch eine Herausforderung dar. Wir sind parat!
Dass wir das können, haben wir schon früher bewiesen. Im Jahr 2015 fand bei uns das Regionalturnfest statt. Es war das einzige im Kanton. Es war also damals aufgrund der vielen Teilnehmenden schon annähernd ein Kantonalturnfest. Wir haben somit ja schon einen Testlauf light durchgeführt und bestanden.
Was kann von den Erfahrungen aus dem Regionalen auch für das Kantonale übernommen werden?
Der Zusammenhalt und die Zusammenarbeit der Vereine. Der Turnverein kann das ja nicht allein stemmen. Mich hat schon beim Regionalturnfest sehr beeindruckt, wie viele damals mitgeholfen haben und wie gut es funktioniert hat. Ich denke, vielmehr bin ich überzeugt, dass es wieder eine ganz gute Sache geben wird.
Bei der Durchführung des Turnfestes im Jahre 2028 wird der Bau der Kantonsschule schon weit vorangeschritten sein. Schliesslich soll die Schule im August 2029 starten. Befürchten Sie nicht, dass es aufgrund der Bauarbeiten nahe bei den Sportanlagen Probleme beim Turnfest geben könnte?
Nein, ich sehe da keine Probleme. Das geht gut aneinander vorbei. Vielleicht könnte sogar schon etwa die neue Turnhalle der Mittelschule genutzt werden. Auch wenn das sicherlich vom Baustand her sehr knapp sein würde.
Sie sind voller Lob für den Zusammenhalt im Dorf. Wie ist das über die Gemeindegrenzen? Gibt es da ein «Gartenhagdenken»?
Das ginge heute gar nicht mehr. Das hat auch mein Vorgänger schon so vorgelebt.
So haben etwa wir vier Gemeindeammänner der Sisslerfeld-Gemeinden ein sehr gutes Verhältnis miteinander. Der regelmässige Austausch unter uns funktioniert sehr niederschwellig.
Und über die Landesgrenze zu Bad Säckingen?
Die Zusammenarbeit mit Bad Säckingen ist sehr gut und sehr wichtig. Aufgrund Corona hat der Austausch leider vermehrt nur telefonisch oder digital stattgefunden. Mit Säckingen besteht eine sehr gute Beziehung, die Spass macht und die wir auch pflegen müssen.
Herr Käser, Sie haben vorhin Ihren Grossvater als Visionär gelobt. Würden Sie uns eine Ihrer Visionen verraten?
Warum baut man nicht beispielsweise eine Hochbahn, bei der man die hier ansässigen Firmen untereinander verbindet, vielleicht sogar unsere deutschen Nachbarn anbindet. Und statt einer neuen Brücke in Sisseln, von dieser Idee hört man ja auch, sie sei «gestorben», einen Rheinübergang ganz woanders planen. Rheinabwärts, zwischen den Dörfern und direkt mit der Autobahn verbunden. Dann müsste man nicht wie heute von zwei Seiten her den Verkehr ins Dorf Richtung Grenzübergang zwingen.
(grinst) Visionen darf man haben und sie auch aussprechen.
Sie haben das nun zu Ende gehende Jahr als sehr spannend beschrieben. Als Landwirt wurden Sie dieses Jahr aber auch mit einigen Wetterkapriolen konfrontiert.
In der Landwirtschaft ist nie alles gut, aber auch nie alles schlecht. Wir konnten unser Getreide behandeln, damit wir es brauchen konnten. Beim Mais hatten wir sogar einen super Ertrag.
Welche Vergleiche können Sie von der Landwirtschaft zur Arbeit als Politiker ziehen?
Ganz einfach, das was Du säst, das erntest Du.