Wir halten an der Hoffnung fest
15.04.2022 Gipf-OberfrickImmer wieder zieht es mich auf meinen Fahrten mit dem Mountainbike rund um Gipf-Oberfrick dorthin – auf die Wegenstetter Flue. Dort einen Moment Pause zu machen, Atem holen, die Aussicht geniessen. Was mich dorthin zieht? Genau weiss ich es nicht. Es ist ein besonderer Ort. Das Hinauffahren, das Pause machen erfüllt mit Freude und macht mich zufrieden.
Vielleicht ist es auch die Kiefer, die dort am Abhang wächst, die mich anzieht. Einen unwirtlicheren Ort hätte sie sich kaum aussuchen können: der karge Fels, in den sie sich mit ihren Wurzeln krallt, um nicht abzustürzen, ausgesetzt den Stürmen im Herbst, ohnmächtig ausgeliefert der Hitze und der Trockenheit des Sommers. Sie ist nicht gerade gewachsen, der eine oder andere ihrer Äste ist in Stürmen verloren gegangen. Manches schon hat dieser Baum überstanden und überlebt. Von den Stürmen des Lebens gezeichnet wird er zum Zeichen unbändigen Lebens.
In diesen Wochen herrscht in Europa Krieg. Es mag ein Einschnitt sein, so nah ist das Kriegsgeschehen. Dieser Krieg ist nicht mehr zu ignorieren, wie so viele andere Kriege auf dieser Welt. Die Gefahr, nicht mehr nur Zuschauer zu sein, ist real. Das weckt Ängste und macht ohnmächtig. Wir fühlen uns den Stürmen des Lebens ausgeliefert wie diese Kiefer. Es ist ja nicht nur der Krieg, der uns unsere Ohnmacht zeigt und die Zerbrechlichkeit unseres Lebens. Da sind noch die Auswirkungen von Corona, ebenso wie persönliche Sorgen und Leid. Neben der Kiefer steht ein Kreuz. Es ist ein Zeichen für all das, was Menschen einander an Leid zufügen können. Es ist aber auch ein Zeichen der Hoffnung für die Christinnen und Christen unter uns, die die Hoffnung teilen, dass Gewalt und Leid, ja auch der Tod nicht das letzte Wort haben. Merkwürdig hartnäckig halten wir an dieser Hoffnung fest. Gegen allen Augenschein halten wir daran fest, Ostern als Beginn des neuen Lebens, ja auch des Friedens zu feiern. Wir halten daran fest, dass alles sich verändert hat – und wir dennoch in einer Welt leben, die noch im Alten, im Unfrieden, in Leid und Not gefangen ist.
Gott hat sich damals beim Tod Jesu am Kreuz unwiderruflich eingemischt in unsere Welt und hat Jesus seine Treue gezeigt. Er lässt auch heute keinen Menschen im Stich. Er hält zu uns. Das Kreuz als Hoffnungszeichen ergibt nur Sinn, wenn wir darin das Mitleiden Gottes erkennen. Ein Mitleiden, das nicht nur für den besonders Frommen damals gilt, sondern uns heute und der gesamten Schöpfung.
Da liegt für mich der Umkehrpunkt: Das Wissen um das Mitleiden Gottes mit uns schenkt uns Ohnmächtigen und Verängstigten Kraft und richtet auf. Es genügt, wenn wir an Jesu Gottesbild Massnehmen, wenn wir menschenfreundlich und friedensfähig werden, wenn wir den göttlichen Funken in uns mehr entdecken und entfalten.
«Manchmal feiern wir mitten im Tag ein Fest der Auferstehung», so singen wir in der Osternacht. Ostern erfolgt vom Kreuz her im täglichen Aufstehen, ermutigt zum Auf- und Widerstand gegen die Schwerkraft der unmenschlichen Verhältnisse, wo immer wir Gelegenheit dazu haben. Auch im Kleinen, im Alltag, finden sich von dieser täglichen Auferstehung Spuren. Mitten im Tag. Und das ist ein echter Grund zur Freude.
Zwei Hoffnungszeichen, die zerzauste Kiefer und das Kreuz – sie laden ein zum hoffnungsfrohen Osterspaziergang.
Martin Linzmeier, Gemeindeleiter, römisch-katholische Pfarrei St. Wendelin, Gipf-Oberfrick