«Weihnachten auf der Balkanroute»
17.12.2021 Brennpunkt, FrickZusammen mit Gleichgesinnten hilft ein Fricktaler geflüchteten Menschen
Wenn an Heiligabend die Menschen bei uns in ihren warmen Stuben feiern, ist Rolf Schmid aus Frick mit drei anderen Männern unterwegs nach Bosnien: «Rund 4000 Frauen, Männer und Kinder auf der Flucht verharren dort in schlimmen Zuständen.» Die Not etwas lindern, das will das Team aus dem Aargau mit Hilfsgütern.
Susanne Hörth
«Wir fahren zu viert, voraussichtlich mit zwei Fahrzeugen. Wir versuchen, so viel Waren wie es geht mitzunehmen. Die Einkäufe und Beschaffung vor Ort sind aber sehr wichtig, damit unsere Arbeit Akzeptanz findet. Zudem können wir mit dem Geld in Bosnien auch wesentlich mehr kaufen.» Während viele Menschen sich aktuell Gedanken darüber machen, wie und in welchem Rahmen die Festtage hier bei uns gefeiert werden können, steckt Rolf Schmid aus Frick zusammen mit den drei Aargauern Stefan Dietrich, Sandro Covo und Michael Staubli mitten in den Vorbereitungen für die Aktion «Weihnachten auf der Balkanroute», ein Hilfseinsatz in Bosnien. Am Nachmittag des 24. Dezember startet die Reise.
«Weihnachten auf der Balkanroute ist ein Projekt von Help Now», erklärt Schmid. «Es wurde von Stefan Dietrich aus Bremgarten ins Leben gerufen und vor einiger Zeit in den Verein Netzwerk Asyl Aargau integriert.» Seit etwa sechs Jahren leiste Help Now die sehr niederschwellige und direkte Hilfe vor Ort. «Die Stärke ist das Netzwerk auf dem Balkan mit lokalen Freiwilligen, die, so gut es geht, Hilfe leisten», führt er weiter aus. «Aus gesellschaftlichen und ökonomischen Gründen braucht es aber die Unterstützung aus der Schweiz dringend.»
Warum Hilfe so dringend ist, erklärt er unter anderem so: «Mit der Schliessung der Balkanroute für geflüchtete Menschen hat eine Kriminalisierung Einzug gehalten. Auch die Menschen vor Ort haben nicht viel.» Ein Teil der Politik würde sich die Ängste der lokalen Bevölkerung zu Nutze machen. «Damit wird die Entrechtung und Entwürdigung legitimiert.»
Draussen ist es eisig kalt
Auf die Vorbereitung des Hilfseinsatzes angesprochen, verweist Rolf Schmid insbesondere auf Stefan Dietrich. Dieser plant als Ortskundiger die Route, nimmt mit lokalen Helfenden Kontakt auf und klärt die Bedürfnisse ab. «Er schätzt zudem ab, wie die Situation in etwa aussieht.» Denn: «Die Angaben der Behörden, auch der EU, sind oft nicht zuverlässig, da sie nur Menschen in offiziellen Prozessen und Lagerstrukturen erfassen. In Tat und Wahrheit halten sich mehr Menschen im Freien auf.» Wie wichtig eine aktuelle Hilfe ist, macht Schmid auch deutlich mit: «Inzwischen liegt Schnee, es herrschen Minustemperaturen.» Die gef lüchteten Menschen, die im Freien oder in Bauruinen leben, werden durch das Team aus der Schweiz unter anderem mit Lebensmitteln, Wasser, Decken und Schlafsäcken versorgt.
In den Lagerstrukturen wird als erstes abgeklärt, woran es mangelt. Das wird dann vor Ort besorgt. Auf Unterstützung ist teils auch die Bevölkerung angewiesen. «Nicht erst seit der Pandemie, aber verstärkt durch sie, leben viele Menschen in Armut. Sie unterstützen wir mit Lebensmittelpaketen, Brennholz oder Medikamenten.» Um die richtigen Personen unterstützen zu können, sei man hier auf Hinweise von lokalen Organisationen angewiesen. «Dieser Teil der Verteilung stärkt auch die Akzeptanz für unser Engagement. Es wäre zudem nicht angebracht, dieses Leid ausser Acht zu lassen.»
Statt zuhause die Festtage zu verbringen, reisen vier Männer aus dem Aargau nach Bosnien, um mit der Aktion «Weihnachten auf der Balkanroute» Menschen auf der Flucht mit Hilfsgütern zu unterstützen. Einer aus dem Team ist Rolf Schmid aus Frick.
Susanne Hörth
Es ist bereits das zweite Mal, dass Rolf Schmid zusammen mit anderen Mitgliedern vom Netzwerk Asyl Aargau die Fahrt nach Bosnien begleitet, um dort mit Hilfsgütern die Not etwas zu lindern (siehe dazu auch Seite 1). Sie wollen mit Gütern wie Schlafsäcke, Hygieneartikel, Lebensmitteln, Medikamenten und vielen mehr den Menschen auf der Flucht wie auch der Not leidenden Bevölkerung etwas Unterstützung bieten.
Welche Rolle spielt bei einem solchen Einsatz die Angst? Keine, sagt der Fricker. «Wir sind uns bewusst, was wir vor Ort antreffen und was passieren könnte, dazu zählt etwa eine Eskalation der Situation. Da wir jedoch nur kurz im Land sind und kurzfristige Ereignisse dennoch gut abschätzbar sind, ist das Risiko eher gering», zeigt er sich zuversichtlich. Beim eigenen Schutz spiele unter anderem die Pandemie eine Rolle. «Wir sind alle doppelt geimpft, überwiegend geboostert. Wir versuchen die Menschen vor Ort, die keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung und schon gar nicht zur Impfung haben, bestmöglich vor einer Ansteckung zu schützen.» Er weist noch auf einen anderen Aspekt hin. Es sei eine Tatsache, dass sie für manche lokale Menschen als Feinde angesehen werden. «Eine Konfrontation ist zwar möglich, kommt aber nur selten vor. Wenn sich Hass ergiesst, dann leider direkt über den schutzsuchenden Menschen.»
Der Umgang mit dem Leid
«Eine gute Frage», meint Schmid darauf angesprochen, wie man das viele Leid verkrafte, dem sie unterwegs unweigerlich begegnen werden. «Während der Reise bleibt gar nicht viel Zeit dafür. Die Tage sind lang und anstrengend, wir haben ein sehr dichtes Programm.» Nebst den Besuchen und Beschaffungen würden sie auch meist offizielle Personen, wie etwa den Schweizer Botschafter oder Vertreterinnen und Vertreter der bosnischen Regierung treffen. Diese Besuche würden oft auf Randstunden fallen. «Die Nächte sind kurz, zu kurz. Man muss schauen, dass man dabei gesund bleibt», weiss Schmid. Er sei bei seinen Einsätzen im Kopf auch immer mit einer Schubkarre unterwegs. Diese belade er mit allen Eindrücken. «Frühestens auf der Rückreise fange ich dann mit dem Sortieren an. Ich schreibe Vieles auf, mache Ordnung im sonst schon vollen Kopf.» Leise fügt er an: «Manchmal scheint es ausweglos. Aber es bleiben auch die schönen, wenn auch kurzen Momente des Glücks. Das kann ein Ausdruck der Dankbarkeit oder ein ehrliches Lächeln sein. Sie stärken die Gewissheit für einen Menschen just in diesem Moment einen wirklichen Unterschied zu machen. Diese Gefühle schaffen es bis ins Herz.» Mit allem anderen müsse man lernen umzugehen. Auch, wenn es oft sehr schwer zu sein scheint. «Am schwierigsten finde ich dabei immer den Moment, wenn wir irgendwo, sei es von lokalen Freiwilligen oder in einem Lager, manchmal sogar im Freien, eine Einladung zum Tee oder zum Essen erhalten. Wir Helfenden erleben viel Grosszügigkeit in der grössten Not. Zurück in der Schweiz stelle ich fest: Wir haben so viel und geben so wenig.»
Umso dankbarer sind sie alle, dass die Spendefreudigkeit ziemlich gross ist. Um die benötigten Hilfsgüter vor Ort beschaffen zu können, ist das Team auf finanzielle Spenden angewiesen. Aber auch Sachgüter wie Kleidung, Schuhe und Schlafsäcke werden gespendet und sind sehr willkommen. «Leider können wir im Dezember nicht viele Sachen mitnehmen. Allenfalls gibt es im Februar nochmals einen Transport», sagt hierzu Rolf Schmid.
Infos unter: www.helpnowswitzerland.ch
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