«Selbst anpacken» heisst die Devise

  25.04.2020 Nordwestschweiz

Eigentlich war ihnen Unterstützung aus Übersee versprochen, doch wegen des Coronavirus kann der Neuseeländer Schafscherer Simon Scott nicht anreisen. So sind Liliane und Toni Pianta dazu gezwungen, ihre über 90 Schafe selbst von der Wolle zu befreien.

Peter C. Müller – Volksstimme

SISSACH. «Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an. Mit 66 Jahren, da hat man Spass daran», so heisst es in einem Schlager des Österreichers Udo Jürgens. Liliane und Toni Pianta, beide im entsprechenden Alter, haben offensichtlich ihre Freude daran: Mit grosser Hingabe, aber auch einiger Sorgfalt kümmern sie sich jetzt im Frühling um die Schur ihrer Schafe. In einem Scheunenteil des Hofs Himmelrain in der Nähe der Sissacher Kunsteisbahn liegen die Schafe und Lämmer in den mit Stroh ausgelegten Gehegen und warten im Schatten darauf, geschoren zu werden.

Es ist eine recht schweisstreibende und zugleich anspruchsvolle Aufgabe, die das Ehepaar vor sich hat: Während Toni die Schafe zu sich holt, sie möglichst ruhig zwischen seine Beine packt und dann schert, kehrt Liliane mit einem Besen die geschorene Wolle zusammen und packt sie in grosse Plastiksäcke, die sich nach und nach zu füllen beginnen. «Seit mehr als 35 Jahren habe ich nun meine Schafe», sagt der ehemalige Matrose. Inzwischen sind es rund 90 Schafe und etliche Lämmer, die im Besitz des Ehepaars aus Tennniken sind. «Wie viele Lämmer ich habe», so Toni Pianta schmunzelnd, «weiss ich erst, wenn alle erwachsenen Tiere geschoren sind und ich einen allgemein Überblick über den gesamten Bestand habe.» Seit rund zwei Jahren hilft dabei Liliane Pianta mit und hat die Arbeit inzwischen richtig lieb gewonnen: «Es ist ein guter Ausgleich zum sonstigen Haushalt und hält auch ziemlich fit», sagt sie.

Geübtes Scheren in Höllentempo
Eigentlich hätte Toni Pianta auch in diesem Jahr Hilfe und Unterstützung vom Neuseeländer Simon Scott bekommen sollen. Schon seit vielen Jahren arbeitet der geübte Schafscherer, der wie viele Australier oder Neuseeländer die Tiere in einem Höllentempo von der Wolle befreit, in der Schweiz und im Baselbiet. Doch in diesem Frühjahr machte das Coronavirus allen einen Strich durch die Rechnung: Scott darf nicht in die Schweiz einreisen – das Tenniker Ehepaar muss sich allein um die Schur seiner Tiere kümmern. «Ich brauche rund eine Woche für alle 90 Schafe», führt Toni Pianta aus: «Simon Scott hätte dafür maximal zwei Tage benötigt.» Das hänge vor allem mit dem Ablauf der Schafschur in Sissach zusammen, erklärt er weiter: «Ich muss die Tiere selbst aus dem Gehege holen, festhalten und scheren. Simon hingegen werden die Schafe gebracht.» So laufe alles ein wenig schneller ab. Der Neuseeländer Schafscherer erhalte dabei sechs Franken Lohn pro geschorenes Schaf.

Ein wertvolles Naturprodukt
Und was passiert mit der Wolle, die gesammelt wurde? «Diese bringe ich zusammen mit derjenigen anderer Schafzüchter der Fiwo in Amriswil», sagt Toni Pianta. Der Sozialverein zur Förderung innovativer Wollverarbeitung Ostschweiz sei vor 15 Jahren als Non-Profit-Organisation gegründet worden und verfolge zwei Hauptziele: zum einen sozial schwache Menschen wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern und zum anderen Schweizer Schafwolle nicht zu vernichten, sondern zu hochqualitativen Produkten zu verarbeiten. «Der Verein», so Toni Pianta, «stellt daraus Dämmstoffe, Filze, Bettwaren oder Dünger und Folien für den Garten her.»

Der Tenniker schätzt, dass er jährlich etwa drei Tonnen Wolle unterschiedlichster Qualität sammelt. Von der Fiwo bekomme er dafür etwa 20 bis rund 80 Rappen pro Kilo. «Für Brustvlies, das durch das Liegen der Schafe zusammengedrückt wird, bekommt man nicht so viel wie für Rücken- oder Flankenvlies.»

Noch lange nicht Schluss
Liliane und Toni Pianta kommen an diesem Tag gut voran. Plastiksack um Plastiksack füllt sich und es ist Zeit für eine kleine Verschnaufpause mit weiteren Details des anstrengenden Hobbys: «Viele Bauern haben derzeit Mühe, für die Schur Unterstützung aus dem Ausland zu bekommen – das ist ähnlich wie bei der Spargelernte. Ich wurde sogar selbst angefragt, ob ich nicht helfen könne, zum Beispiel von einem Hof bei der Sissacherfluh. Doch ich musste ablehnen», sagt der 66-jährige leicht verschmitzt. «Ich freue mich darauf, wenn alle meine Tiere frisch geschoren sind und alle alles gut überstanden haben.»

Das Ehepaar möchte seine Schafe und Lämmer nur ungern in die Obhut anderer geben. «Wir werden – wenn immer es gesundheitlich geht – gerne noch ein paar Jahre so weitermachen», tönt es unisono. Passt irgendwie zu Udo Jürgens weiterem Songtext: «Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss. Mit 66 Jahren, ist noch lange nicht Schluss!»


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