Die Kraft, über Grenzen zu gehen

  19.04.2019 Frick

Ein Gastbeitrag zu Ostern von Pfarrerin Anna Schütz.

«Was hat das Osterei mit Ostern zu tun?», fragt der Nachbarsjunge. Ja, er ist noch relativ klein. Ältere Jugendliche fragen nicht mehr. Sie sind ausgestiegen. Ausgestiegen aus der Zauberwelt einer Auferstehung, ausgestiegen aus der Zauberwelt des Osterhasen. Beides nicht real. Macht es Sinn, Jugendlichen etwas dazu erklären zu wollen? Oder wartet man lieber, bis sie älter sind?

Aber halt: geht es Erwachsenen besser? Zwar müssen sie über Osterhasen und Ostereier nicht mehr nachdenken, sie nur noch kaufen und verschenken. Aber das mit der Auferstehung? Was soll das? Wie passt das in heutiges Denken?

Ach, sofort kommt Unsicherheit auf: da gibt es doch unglaublich viele Erklärungsmöglichkeiten, unzählig viele Aspekte, die man näher betrachten könnte, ganz unterschiedliche Tiefenschichten, in die man eintauchen könnte. Was passt?

Wie das Osterei, das ich rundum betrachten kann, kann ich auch den Sinn von Ostern rundum betrachten. Keine Ansicht ist falsch. Keine richtig. Und das, was ich suche, nämlich das Osterei oder den Sinn von Ostern, ergibt sich nur, wenn alle Perspektiven zusammen das Ganze ergeben.

Nun aber konkreter: wie erkläre ich einem Jugendlichen, was Ostern bedeuten könnte? Einer jungen Frau, die sich für einen Berufsweg entschieden hat, ohne wissen zu können, ob es diesen Beruf in 15 Jahren noch geben wird? Einem jungen Mann, der aufs erste Auto spart, ohne wissen zu können, wann die nächste Finanzkrise ausbricht oder vom Zaun gebrochen wird? Vor jungen Menschen liegt eine Zukunft voller Unsicherheiten. Das einzig sichere – vermutlich – ist der Tod. Und genau da kommt Ostern und sagt: ach ne, der Tod ist auch nicht sicher. Da war mal einer, der spazierte nach seinem Tod wieder auf der Erde herum, bis er dann endgültig verschwand.

Will ein junger Mensch hören, dass auch der Tod nicht sicher ist? Möchte er nicht lieber Sicherheit, etwas woran er sich im Blick auf die unsichere Zukunft halten kann?

Gerne möchte ich diesen jungen Menschen bitten, mal nicht das ganze Osterei anzuschauen, nicht über die ganze Bedeutung von Ostern nachzudenken, sondern nur den Stein vor dem Grab zu betrachten. Der grosse Brocken, den man in jener Zeit vor Felsengräber wälzte, damit die Toten sicher waren vor Leichenfledderern und Tieren. Mit solch grossen Steinen kann die Zukunft verbaut sein: zu schlechte Noten, zu wenig Geld, zu wenig Disziplin. Einführung von immer mehr digitalen Möglichkeiten, Einführung von Überwachungsmechanismen, Einführung von Robotern. Pech in der Liebe, Streit in der Familie, Scheidung. Wie vieles kann als grosser Stein auf dem Lebensweg liegen, hinter dem man ganz plötzlich nur noch wie tot daliegen kann!

Ostern sagt: Pass auf, es gibt Kraft um solche Steine wegzuwälzen. Es ist keine käufliche Kraft und auch antrainiert im Fitnesstudio kann sie nicht werden. Aber es gibt sie trotzdem. Ständig erleben Menschen, dass es sie gibt. Du kannst darauf bauen, dass auch Du sie erleben kannst, falls Du mal in eine Situation kommst in der alles blockiert ist. Es gibt Kraft über Grenzen, die von aussen gesetzt werden, zu gehen. Ist das nicht eine gute Information? Ist das nicht eine ermutigende Nachricht: komm, mach Dir nicht zu viele Sorgen über die Zukunft! Du wirst, wenn es nötig ist, Kraft finden, um über Grenzen zu gehen, Grenzen zu sprengen, Steine wegzurücken. Wenn es geht, vertrau diesem Versprechen. Probier es aus, wenn es nötig wird! Es wird funktionieren, so wahr wie die Ostereier, die Du als Kind gefunden hast, obwohl nicht der Osterhase sie versteckt hatte.

Anna Schütz ist Pfarrerin in der reformierten Kirchgemeinde in Frick.


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