Wenn die Ernährung auf dem politischen Menu steht

  07.09.2018 Abstimmungen

Am 23. September entscheiden wir über «Fair-Food» und «Ernährungssouveränität»

PRO - Gertrud Häseli, Grossrätin Grüne, Wittnau

Was sind uns unsere Lebensmittel wert?

Der Preis für unseren Lebensmittelkorb ist seit der Generation unserer Grossmütter im grossen Stil gesunken. Wir Konsumenten profitieren, es bleibt Geld im Portemonnaie zur Deckung von neuen Bedürfnissen. Doch auf wessen Kosten geht diese Entwicklung? Landwirte und Bäuerinnen können von den produzierten Lebensmitteln nicht mehr leben. Die intensive Landwirtschaft schädigt die Böden und die Artenvielfalt. In der Schweiz werden sie durch Direktzahlungen unterstützt und kommen auf diese Weise auf ein faires Einkommen. Auf dem Weltmarkt sind die Bedingungen aber viel weniger fair. Kaffee, Kakao, Soja, Palmöl aber auch Getreide, Früchte und Gemüse sind Produkte, die wir in grossen Mengen importieren. Der Weltmarkt macht den Preis, die Bäuerinnen verdienen einen Hungerlohn, das Tierwohl bleibt auf der Strecke, die Böden werden übernutzt und der Insektenvielfalt geht es an den Kragen. Die beiden Initiativen zeigen Lösungen auf:

Fair Food
Will eine Stärkung des Angebots an Lebensmitteln, die von guter Qualität sind und die umweltund ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt wurden. Diese Kriterien sollen auch für den Import gelten. In den Verkaufsregalen und auf unseren Tellern landen Fleisch und Eier aus Tierhaltungen, die in der Schweiz längst verboten sind. Die Deklaration ist nicht transparent. Wissen Sie aus welcher Haltung die Eier kommen, die in ihren Teigwaren verarbeitet wurden?

Die Initiative fördert die Vermarktung von regional produzierten Lebensmitteln. Zudem bekämpft sie die Lebensmittelverschwendung. Es darf nicht sein, dass ein Drittel der produzierten Lebensmittel weggeworfen wird! Gründe sind unsinnige Standardgrössen und zu eng formulierte Ablauffristen. Wichtig ist, die Nachfrage nach Produkten aus nachhaltigen Systemen ins Zentrum zu rücken, Verantwortungsbewusstsein zu schaffen, zum Beispiel in der Werbung, den Medien und an den Schulen. Weiter ist verstärkt auf die Zusammenarbeit innerhalb der Wertschöpfungsketten zu setzen.

Ernährungssouveränität
Die Forderungen der Initiative für Ernährungssouveränität gehen in die gleiche Richtung, wie jene der Fair Food Initiative. Das Verbot der Gentechnologie und der Erhalt der Fruchtfolgeflächen werden noch stärker ins Zentrum gerückt. Tiere sollen vor allem mit Gras und einheimischen Futterpflanzen gefüttert werden. Saatgut und der dazu passende Pflanzenschutz darf nicht zum Monopol der Grosskonzerne werden. Das Kräfteverhältnis zwischen Landwirt, Verarbeiter und Handel muss ausgewogen sein. Der Preis für das Landwirtschaftsprodukt muss wieder fair kalkuliert werden. Es kann nicht sein, dass 1 kg Bio-Dörräpfel 50 Franken kosten und der Preis für die darin verarbeiteten Äpfel 5 Franken beträgt.

Schlussfolgerung
Die Nahrungsmittel sind Lebensmittel und haben einen Wert. Die Jagd nach «Budget», «Miniprix» und «Familienpreis» ist unwürdig. Der Lebensmitteleinkauf soll wieder ein bewusster Entscheid zu Gunsten unseres Grundbedürfnisses nach Genuss und gesunder Nahrung sein. Jeder, der meint, er sei Gewinner, muss wissen, es gibt auch Verlierer: Menschen, Tiere, Wasser, Böden, Luft. Die beiden Initiativen sind die Antwort.


CONTRA - Désirée Stutz, Grossrätin SVP, Möhlin

Damit der Konsument nicht verliert und der Markt nicht abgeschottet wird

Am 23. September 2018 stimmen wir über die «Fair-Food-initiative» und die «Initiative für Ernährungssouveränität» ab. Die Anliegen der sogenannten «Agrar-Initiativen» tönen so gut, dass man eigentlich gar nicht Nein sagen kann. Wer will denn nicht, dass es unseren Tieren und unserer Landwirtschaft gut geht? Niemand.

Wer aber die beiden Initiativtexte analysiert, merkt sofort, dass sie für die Schweizer Konsumenten und den Schweizer Markt nachteilig sind.

Die Initianten fordern, dass in der Schweiz nur noch Produkte verkauft werden dürfen, welche die Schweizer Produktionsstandards einhalten. Gleichzeitig sollen in der Schweiz die höchstmöglichen Produktionsstandards verpflichtend eingeführt werden, was auch zur Steigerung der Produktionskosten und damit zu höheren Preisen von Lebensmitteln führen würde.

Verlust von Arbeitsplätzen
Bereits heute aber zahlen Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten (auch wegen der schon hohen Produktionsstandards) rund 70 Prozent mehr für Lebensmittel – auch dies ein Grund, weshalb der Einkaufstourismus über die Grenzen stetig zunimmt und mit Annahme der Initiativen weiter zunehmen würde. Letztlich würden die beiden Initiativen die Schweizer Lebensmittelproduzenten benachteiligen, was unweigerlich auch zum Verlust von Arbeitsplätzen führen würde.

Verteuert würden die Produkte zusätzlich durch den immensen Kontrollapparat, der zur Kontrolle der ausländischen Produktionsstätten (halten sie die hohen Schweizer Produktionsstandards ein?) sowie zur Überprüfung, dass auch nur diese Produkte in die Schweiz eingeführt werden, nötig wäre.

Produzenten, die den Nachweis nicht erbringen könnten, dürften ihre Produkte nicht mehr in der Schweiz verkaufen. Damit fordern die Initianten die Bevormundung des Konsumenten – nicht mehr er entscheidet, was er kaufen will und ob er bereit ist, für gute Produktionsbedingungen mehr zu zahlen, sondern der Staat soll entscheiden, was der Konsument noch kaufen kann – unabhängig davon, ob er sich die Produkte leisten kann.

Der Konsument verliert
Weiter ist davon auszugehen, dass kaum ein ausländischer, international agierender Produzent bereit wäre, seine Produktion einzig für den Schweizer Markt umzustellen – dafür ist unser Markt schlicht zu klein. Gleichzeitig können in der Schweiz aber nicht alle Produkte hergestellt werden. Wer würde verlieren? Wiederum die Konsumenten.

Der Schweizer Markt müsste bei Annahme der Initiativen mit höheren Zöllen geschützt werden. Diese Zölle würden nicht nur die weitere Verteuerung vieler Produkte, sondern auch die Verletzung des WTO-Abkommens sowie 28 weiteren Freihandelsabkommen mit 38 Ländern bedeuten. Dies würde unweigerlich zur Abschottung des Schweizer Marktes führen.

Die Schweiz verfügt bereits über strenge Vorschriften, und das ist gut so. Die Konsumenten können ganz im Sinne der Eigenverantwortung entscheiden, welche Produkte sie kaufen wollen. Deshalb Nein zu zwei Initiativen, die derart übers Ziel hinausschiessen, dass die Konsumenten gleich mehrfach verlieren würde.

 


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