«Es ist im Prinzip wie ein Brückenbau»

  30.05.2014 Gewerbe, Stein, Wirtschaft, Oberes Fricktal, Unteres Fricktal

Es wird kontrolliert, wer die Baustelle betritt. Wer hinein will, bekommt eine orange Leuchtweste, Helm, Schutzbrille, Sicherheitsschuhe und wird mit einem Namenskärtchen versehen. Dann folgt eine Sicherheitseinweisung. «Jeder erhält eine Sicherheitsinstruktion, ohne kommt man nicht auf die Baustelle», versichert Patrick Burgherr. So also auch die Journalistin der NFZ.

Burgherr ist Bauherren-Vertreter der Novartis. Er gewährt heute einen Einblick in die Grossbaustelle im Werk Stein. Dass nur vereinzelt Arbeiter zu sehen sind, zeigt die Dimension auf. Im Moment seien 250 Arbeiter auf der Baustelle, erklärt Burgherr. Das neue Produktionsgebäude, welches hier entsteht, ist 160 Meter lang und 80 Meter breit und besteht aus zwei Produktionsgeschossen mit jeweils einer Technikebene darüber. Wir befinden uns im Erdgeschoss. Verloren in der Grösse des Raums steht eine Rollbühne. Der Arbeiter darauf beschäftigt sich mit einem dicken Rohr. «Leitern sind auf der Baustelle verboten und können nur in Einzelfällen mit spezieller Bewilligung eingesetzt werden. Bauarbeiter müssen sich auf der Arbeitsebene der Rollbühne bewegen», erklärt Burgherr. Im Hintergrund laufen Maschinen, im Nebenraum ertönt ein Hämmergeräusch.

Spezielle Fassade

Burgherr verweist auf die Fassade. Nicht aussen, sondern zwischen den zwei Glasscheiben sind Lamellen angebracht. «Die Lamellen sind so gestellt, dass möglichst viel Tageslicht einfällt, gleichzeitig aber nicht zu viel Wärme in das Gebäude dringt», sagt Burgherr. Denn durch die Produktion werde bereits viel Wärme im Innern erzeugt. Die Lamellen leiten auch das Licht an die Decke und damit weiter in den Bau hinein. Je nach Himmelausrichtung ist der Winkel für die Lamellen anders berechnet. Wenn man aus der Distanz aus dem Fenster schaut, wirken sie fast transparent.

40 Meter ohne Stütze

Auffällig sind die wenigen Stützen im Bau und damit die Grösse des Raums. Vor allem Stahlbetonstützen tragen das Gebäude. Dazwischen liegen bis 40 Meter ohne Stütze. «Es ist im Prinzip wie ein Brückenbau», vergleicht Burgherr. Es ist eine Hängekonstruktion. Der Boden des Technikgeschosses ist mit Zugstangen an den riesigen Trägern der darüber liegenden Decke aufgehängt. Für diese Träger brauchte es den Einsatz des extra starken Spezialkrans, der eigens für diese Baustelle angefertigt wurde (die NFZ berichtete). Die Elemente haben ein Gewicht von 30 Tonnen und mussten über eine Distanz von 40 Metern gehievt werden. «Dieser Kran ist zwei- bis dreimal stärker als ein normaler Kran. Er kann auf die gleiche Distanz mehr Gewicht heben», erklärt Burgherr. Der Kran beeindruckt weniger durch seine Höhe, sondern vielmehr durch seinen Turm, der doppelt so lang und breit ist, wie bei einem normalen Kran. Der Spezialkran wird nach Abschluss der Rohbauarbeiten Ende Mai abgebaut und auf einer anderen Baustelle wieder verwendet, wie Burgherr ausführt.

Die Tragkonstruktion ist getrennt vom Innenausbau. Durch die Stützenfreiheit sind die Produktionsräume flexibel. «Wir produzieren hier zukünftig Produkte, die wir auf dem Weltmarkt lancieren. Diese neuen Produkte ändern häufig, deshalb muss man die Produktionsräume in Zukunft flexibel anpassen können», erläutert Burgherr. Wie hier einst Tablettenpressen, Mixer und Lackiergeräte usw. stehen, um feste Arzneiformen herzustellen, kann man sich derzeit nur vorstellen. Die Produktionsräume werden von Glaswänden umgeben sein, deutet Burgherr auf die Stelle, wo diese zustehen kommen werden. Sie werden durch eine Schleuse passiert, da im Innern höhere Hygienevorschriften gelten als im Korridor davor.

Reserven für später

Der Bau besteht aus vier Hauptteilen. In der sogenannten Galenik werden die Medikamente produziert. Daneben ist ein Zwischenteil, der verschieden genutzt werden kann und auch noch Reserven für später beinhaltet. In einem dritten Teil ist die Verpackung untergebracht und in einem vierten Teil sind die Waschräume mit grossen, begehbaren Industriewaschmaschinen. Daneben beinhaltet dieser vierte Teil noch Büros, Labors sowie Aufenthalts- und Umkleideräume.

An diesem Tag treffen wir besonders viele Arbeiter im Untergeschoss. Ein Blick in den Keller zeigt ein Wirrwarr verschieden grosser Rohre und Kabel. Es sind teilweise drei bis vier Lagen an Leitungen, die übereinander hängen. Dies müsse dreidimensional geplant und beim Bau intensiv koordiniert werden, weiss Burgherr. Sie führen von der Heizzentrale, der Kältezentrale, der Lüftung, etc. in die verschiedenen Stockwerke.

Auf der Baustelle verlaufen unterschiedliche Bauphasen teilweise parallel. Bereits beim Rohbau wurde dort, wo die Fassade schon geschlossen war, mit dem Innenausbau und anschliessend mit der Installation des Equipments begonnen, während an anderer Stelle noch der Rohbau weitergeführt wurde. Um Zeit zu sparen. «Es ist eigentlich wie eine Tunnel- oder Hochhausbaustelle», veranschaulicht Burgherr. Bis im ersten Quartal 2015 soll der Innenausbau abgeschlossen sein. Danach müssen die Anlagen von den Behörden bewilligt werden, um darauf Medikamente produzieren zu können. Das benötigt verschiedenste Tests. Bevor die Maschinen mit echten Wirkstoffen getestet werden können, werden sie mit einfachen Produkten wie Milchzucker und Wasser getestet. Das ganze Verfahren dauert ungefähr ein Jahr.

Zurück beim Eingang der Baustelle heisst es Helm ab, Brille ab, Weste ab und Schuhe aus. Die Journalistin verlässt die Baustelle, welche bald täglich bis zu 400 Arbeiter betreten werden, bis das neue Produktionsgebäude Mitte 2016 in Betrieb genommen werden kann.

Aus Stein für den Weltmarkt

Das Werk in Stein ist einer der wichtigsten strategischen Standorte im Pharma-Produktionsnetzwerk von Novartis. Auf 17 500 Quadratmetern entsteht dort derzeit eine neue Produktionsanlage. «Die neue Anlage wird als globales Zentrum für feste Arzneiformen und Neueinführungen dienen, das rund 150 Märkte in aller Welt bedient», sagt Werkleiter Stefan Amberg. Als feste Arzneiformen, die in der neuen Anlage produziert werden sollen, kommen Kapseln, Tabletten, Filmtabletten und Pulver in Frage. Im neuen Gebäude sollen künftig unter anderem das Leukämiemedikament Glivec und das Multiple Sklerose-Medikament Gilenya produziert werden. «Wir werden uns künftig noch stärker auf anspruchsvoll zu produzierende Spezialmedikamente in den Bereichen Inhalation und hoch aktive Solida fokussieren wie beispielsweise das Brustkrebsmittel Femara », so Amberg.

Die Investition dafür beträgt eine halbe Milliarde Franken. Der Standort Stein ist der grösste Produktionsbetrieb für pharmazeutische Produkte von Novartis. Die knapp 2000 Mitarbeiter produzieren jährlich über vier Milliarden Tabletten, Kapseln, Ampullen, Fertigspritzen, Injektionsfläschchen. Über 14,7 Prozent des Schweizer Gesamtexports entfielen im vergangenen Jahr auf Novartis.

Bis Ende Mai sind die Rohbauarbeiten für das neue Produktionsgebäude abgeschlossen. Bis im Frühjahr 2015 soll auch der Innenausbau fertig sein. «Geplant ist, den Betrieb in der ersten Hälfte 2016 aufzunehmen und die volle Kapazität im Jahr 2018 zu erreichen», erklärt Amberg. Ab 2018 soll in der alten Fabrik die Produktion eingestellt werden. Laut Amberg wird danach ein Drittel des Gebäudes abgerissen und die verbleibenden zwei Drittel umgebaut. Die bestehenden Mitarbeiter des alten Produktionsgebäudes sollen künftig in der neuen Anlage arbeiten. Weitere Arbeitsplätze sind derzeit nicht vorgesehen. 


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