«Die Zahlen sprechen eine andere Sprache»

  09.09.2021 Gesundheit, Möhlin

Stadelbach: im Gespräch mit der Zentrumsleiterin und zwei Vorstandsmitgliedern

In den letzten Wochen wurde Kritik seitens Mitarbeitenden und Angehörigen von Bewohnern des Möhliner Wohn- und Pflegezentrums Stadelbach laut. Im Interview äussern sich Trinidad Coi, Zentrumsleiterin, sowie die Vorstandsmitglieder des Trägervereins «Wohnen im Alter» Karl Eiermann (Präsident) und Marion Wegner-Hänggi (Vizepräsidentin) dazu.

Janine Tschopp

NFZ: Frau Coi, in letzter Zeit ist Kritik seitens Mitarbeitenden, aber auch seitens Angehörigen von Bewohnern laut geworden. Vieles scheint im Stadelbach derzeit schlecht zu laufen.
Trinidad Coi:
Die Mehrheit im Stadelbach ist zufrieden. Ihr Artikel hat bei unseren Bewohnern Schlechtes ausgelöst. Die Vorwürfe an uns machten sie sehr betroffen. Wir sind keine Götter, aber wir machen alles nach bestem Wissen und Gewissen. Vor knapp zwei Jahren haben wir einen Scheiterhaufen übernommen. Die Schlüsselfunktionen waren nicht besetzt. Wir haben einen Betrieb übernommen, der nicht funktionierte. Wir mussten einen Neuauf bau machen. Mit der Pandemie wurden wir in unserer Entwicklung aufgehalten. Seit Ausbruch der Pandemie im letzten Jahr wurden 45 Bewohner und 44 Mitarbeitende positiv auf Corona getestet. Bei den Mitarbeitenden sind auch Spätfolgen zu beobachten. Ich finde, was wir in den letzten eineinhalb Jahren mit der Unterstützung des Vorstands erreicht haben, trotz Pandemie, ist enorm.

Marion Wegner-Hänggi: Die Zahlen, die wir haben, sprechen eine andere Sprache als die Kritikpunkte. An der schriftlichen Generalversammlung haben 91 Prozent unserer Mitglieder den Traktanden zugestimmt. Auch gibt es im Stadelbach neu einen Briefkasten, wo Bewohner, Mitarbeitende und Angehörige Informationen an uns platzieren können. Auch dort überwiegt das Lob. Sicher machen wir auch Fehler, und es gibt Leute, die nicht zufrieden sind. Aber es ist nicht hinnehmbar, dass alles schlecht läuft. Wir sind noch voll in der Aufbauphase, wenn man vergleicht, wo das Haus vor eineinhalb Jahren stand. Von einer grossen Mehrheit hören wir, dass heute vieles besser ist als früher. Deshalb steht Ihre Aussage, «dass es absolut nicht gut läuft», in einem krassen Widerspruch zu dem, was wir hören.

Sie sagten, Sie sind daran, Strukturen aufzubauen. Sind Sie denn schon dort, wo Sie hinwollten?
Karl Eiermann:
Nein, überhaupt nicht. Das dauert noch etwa zwei Jahre.

Was beinhaltet dieser Strukturaufbau beispielsweise?
Trinidad Coi:
Als wir angefangen hatten, war vieles nicht da oder nicht so wie es dem gängigen Standard entspricht. So schufen wir Strukturen, zum Beispiel in Bezug auf Mitarbeiterschulungen, Pflegebedarfserfassung, Pf legeplanung, Personaleinsatzplanung, Sicherheit der Medikation, Hygieneschulungen und vieles mehr. Zudem wollen wir die Zusammenarbeit in den Bereichen fördern und eine offene Kultur schaffen.

Trotzdem äussern Mitarbeitende und Angehörige Kritik, dass man unterbesetzt sei und nicht mehr würdevoll pflegen könne. Trinidad Coi: Es gibt einen Richtstellenplan vom Kanton, der vorgibt, wie viel diplomiertes Personal und Hilfspersonal in einer Institution arbeiten müssen. Diesen Plan übertreffen wir.
Karl Eiermann: Dass wir den Richtstellenplan übertreffen hat der Pflegedienstleiter Kai Schröder an einer Teamsitzung und an einer Mitarbeiterinformation mehrmals erklärt, und alle haben zugehört.
Marion Wegner-Hänggi: Wir können nicht mehr tun, als die Mitarbeitenden zu informieren und sie mit ins Boot zu holen.


«Eine Reorganisation braucht Zeit und generiert viele Austritte»

Man werde in der Aufbauarbeit torpediert, sagt die Vizepräsidentin des Trägervereins des Möhliner Wohn- und Pflegezentrums Stadelbach, Marion Wegner-Hänggi.

Janine Tschopp

NFZ: Die Problematik ist laut den Mitarbeitenden und den Angehörigen aber auch der relativ grosse Anteil an Temporären, die den Bezug zu den Bewohnern viel weniger haben im Vergleich zu Festangestellten.
Marion Wegner-Hänggi:
Wir wären noch so froh, weniger Temporäre zu haben, auch aus finanziellen Gründen. Bei derart hohen Absenzen-Zahlen in der Pflege, die schwer nachvollziehbar sind, sind wir gezwungen, auf Temporäre zurückzugreifen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Es ist exorbitant, wenn man schaut, wieviel höher die Absenzen-Quote in der Pf lege ist im Vergleich zu anderen Bereichen.

Wie hoch ist sie?
Karl Eiermann:
Im Pflegebereich liegt sie bei 26 Prozent. Das ist wirklich bedenklich.

Warum ist sie so hoch?
Trinidad Coi:
Wir hatten sehr viele Ausfälle, wie es in vielen Gesundheitsinstitutionen auch der Fall war. Morgens wussten wir nicht, wer arbeiten kommt und wer krank ist. Dies hat die Arbeitsplanung enorm erschwert.
Karl Eiermann: Es gibt auch Angestellte, die sich nicht an die Regeln halten. Sie wollen frei nehmen, und wenn sie nicht frei kriegen, sind sie krank.

Schaffen Sie es denn immer, rechtzeitig Temporäre zu holen?
Trinidad Coi:
Ja. Es gibt auch die Möglichkeit, die Dienste anzupassen. Wir betreiben eine flexible Arbeitsplanung und Arbeitszeitgestaltung, so dass wir den Mitarbeitenden, aber vor allem den Bewohnern gerecht werden.

Wie wollen Sie gegen die Absenz-Problematik vorgehen?
Trinidad Coi:
Es ist geplant, dass wir ab 1. Oktober mit einer neutralen Anlaufstelle für die Mitarbeitenden arbeiten. Zudem suchen wir auch das Gespräch mit Mitarbeitenden, die öfters ein paar Tage krank sind.

Es gab auch einige Austritte in letzter Zeit.
Karl Eiermann:
Bei einer Reorganisation ist das nicht einfach. Diese braucht Zeit und generiert viele Austritte. Das ist normal. Eine andere Kultur in einen Betrieb zu bringen ist ein langwieriger Prozess.

Haben Sie auch Kündigungen ausgesprochen?
Trinidad Coi:
Ja, es gab in den letzten eineinhalb Jahren Kündigungen seitens des Arbeitgebers. Dann, wenn Regeln wiederholt nicht eingehalten wurden. Kündigungen werden nur ausgesprochen, wenn es wirklich notwendig ist, und es gehen immer Gespräche voran.

Warum haben Sie aufgehört mit den freiwilligen Helferinnen der Cafeteria zusammenzuarbeiten?
Trinidad Coi:
Freiwillige Helferinnen im Café sind nach wie vor willkommen. Die Verantwortung in Zusammenhang mit dem Einhalten der BAG-Hygienemassnahmen dürfen wir ihnen nicht übergeben, weil sie nicht bei uns angestellt sind. Deshalb werden nun Mitarbeitende der Hauswirtschaft für diese Aufgabe gefragt. Wir sehen es als Entlastung, dass diese Frauen die Hygienemassnahmen des BAG bei den Besuchern nicht durchsetzen müssen.

Von einigen Angehörigen wurde bemängelt, dass den Bewohnern nur das Mittagessen im Speisesaal serviert wird, und die anderen Mahlzeiten ins Zimmer gebracht werden.
Trinidad Coi:
Das Frühstück und das Nachtessen können die Bewohner wahlweise ins Zimmer oder in die Stuben, die es auf jedem Stock hat, bestellen. Viele Bewohner geniessen es, im Zimmer zu essen.

Wir haben entschieden, das Frühstück auch weiterhin in den Zimmern zu servieren, weil man dann für die Pflege viel mehr Zeit hat. Das ist für die Bewohner entspannter.

Für die Bewohner oder fürs Pflegepersonal?
Trinidad Coi:
Für die Bewohner.

Angehörige sagen, dass es den Bewohnern teilweise langweilig ist.
Trinidad Coi:
Jeden Tag gibt es ein Aktivierungsprogramm. Da werden alle mitgenommen, die wollen. Auch Bewohner, die nicht mehr so mobil sind.

Wie geht es jetzt weiter im Stadelbach?
Marion Wegner-Hänggi:
Die Institution liegt uns am Herzen, und den Bewohnern und Mitarbeitenden soll es so gut wie möglich gehen. Den Bewohnern geht es aber nur gut, wenn es den Mitarbeitenden auch gut geht. Mit unserer Auf bauarbeit sind wir noch längstens nicht am Ziel, und es gibt eine kleine Gruppe von Mitarbeitenden, die auf den neuen Weg nicht mitkommen will. Das bremst uns aus. Wenn es faktisch vorhandene Themen sind, die schief laufen, sind wir enorm gewillt, darauf einzugehen und eine schnelle Verbesserung hinzukriegen. Wenn es aber Sachen sind, wie zum Beispiel der Vorwurf der Unterbesetzung, den wir immer wieder erklären, der aber nicht gehört werden will, stossen wir an unsere Grenzen. In unserer Aufbauarbeit werden wir derart torpediert, dass wir Abgänge bei den Mitarbeitenden, in der Leitung oder im Vorstand befürchten müssen.


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