Über die Wichtigkeit von Parteien
02.10.2021 Brennpunkt, MöhlinWährend beim grossen Nachbarn Rheinfelden sämtliche Stadträte der kommenden Legislatur einer Partei angehören, sieht es in Möhlin anders aus: Dort sind plötzlich die Parteilosen in der Überzahl und nach der Abwahl des freisinnigen Kandidaten bloss noch die SP und SVP in der Exekutive vertreten. Möhlins Parteipräsidenten äussern sich zur neuen Konstellation. (rw)
Ist es bloss ein Schnupfen?
Das Schwächeln der Parteien im Möhliner Gemeinderat
Von fünf Gemeinderäten der neuen Amtsperiode gehören bloss noch deren zwei einer Partei an. Die NFZ hat den künftigen Gemeindeammann und einige Parteipräsidenten zum Thema befragt.
Ronny Wittenwiler
Der künftige Gemeindeammann Markus Fäs bekam am Sonntag, kurz nach dessen glanzvollen Wahl, auch eine existenzielle Frage gestellt. Ob das Resultat der Gemeinderatswahlen der Anfang vom Ende war für die politischen Parteien in der Exekutive. «Eine interessante Frage», befand Fäs, lächelte, und sollte nach kurzem Überlegen eine Antwort geben.
Das ist passiert
Selbstverständlich, die Wahl von Markus Fäs stand zu keinem Moment in Gefahr, der Mann von der SP Möhlin holte auch als Gemeinderat am meisten Stimmen (2434), gefolgt von Lukas Fässler von der SVP (2298) – doch dann aber war für die politischen Parteien Ende der Fahnenstange. Stattdessen sitzen in Möhlin erstmals gleich drei Parteilose in der Exekutive. Einer von ihnen ist Thomas Freiermuth (2093), der ebenfalls als Bisheriger wiedergewählt wurde. Freiermuth nimmt ab 2022 seine vierte Amtsperiode in Angriff, bislang gehörten jeweils all seine Ratskollegen, mit denen er zusammengearbeitet hatte in den zwölf Jahren, einer Partei an.
Mit den beiden neu in den Gemeinderat Gewählten Hans Metzger und Loris Gerometta wurde aber die Mehrheit der politischen Parteien in der Exekutive nun gesprengt. Ironie der Geschichte: Einstmals beide selbst Mitglieder in der SVP, eroberten Metzger und Gerometta jeweils Sitze, die von Bürgerlichen besetzt waren. Konkret liessen Metzger und Gerometta mit ihren 2078 beziehungsweise 1659 Stimmen den Neo-Kandidaten Stephan Müller (SVP, 1065) und den bisherigen Gemeinderat Karl Eiermann (FDP, 946) deutlich hinter sich. Konsequenz: Die SVP hat am Sonntag ihren zweiten Sitz (des abtretenden Fredy Böni) nicht halten können, die FDP fliegt nach der Abwahl von Eiermann aus dem Gemeinderat und statt wie bisher vier Gemeinderäte tragen in der kommenden Amtsperiode also bloss noch deren zwei (Fäs, SP; Fässler, SVP) das Etikett einer Partei.
War es das also: War das Resultat der Gemeinderatswahlen der Anfang vom Ende für die politischen Parteien in der Exekutive? Markus Fäs, vor gar nicht allzu langer Zeit selbst Präsident der SP Möhlin, überlegt einen Moment und sagt dann: «Ehrlich gesagt, hoffe ich das nicht. Ich finde, Parteien sind wichtig. Und es braucht sie auch, um Kommissionen zu besetzen. Aber die Tendenz, nicht nur in Möhlin, ist eindeutig: Parteilose bekommen immer mehr Gewicht.»
Das sagen Parteipräsidenten
«Noch lange nicht ausgedient»
«Die Parteien sind wichtige Elemente unserer Demokratie und haben deshalb noch lange nicht ausgedient. Sie sind auch ein Sprachrohr für Menschen, die sonst keine Lobby haben. Die Positionen der vermeintlich unabhängigen Parteilosen sind eher unberechenbar. Was mir Sorgen macht, ist, dass Frauen in Möhlin weiterhin nicht vertreten sind. Die Rolle der Parteien auf Gemeindeebene ist oft etwas schwierig, weil manchmal auch nicht so attraktive Themen behandelt werden müssen, aber teilweise wird in der Öffentlichkeit ein falsches Bild gezeichnet. Die nationale oder internationale unterscheidet sich stark von der kommunalen Politik. Deshalb kann sie nicht in den gleichen Topf geworfen werden. Wichtig ist das Funktionieren miteinander.»
WERNER ERNI, PRÄSIDENT SP MÖHLIN
«Parteizugehörigkeit bedeutet kein Abhängigkeitsverhältnis»
«Die Parteien sind ein wichtiger Bestandteil des politischen Prozesses. Sie vermitteln über einzelne Themen und Interessen hinweg einen verlässlichen Wertekompass und geben den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern damit Orientierung. Für viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sind parteilose Kandidatinnen und Kandidaten eine Projektionsfläche für die von ihnen erwartete Sachorientierung und Unabhängigkeit. Diesem Anspruch werden die von Parteien portierten Kandidatinnen und Kandidaten jedoch ebenso gerecht wie Parteilose.
Die Parteizugehörigkeit bedeutet kein Abhängigkeitsverhältnis. Sie ist ein Bekenntnis zu bestimmten politischen Werten. Dass parteilose Kandidatinnen und Kandidaten gewählt werden, ist aber auch ein Ausdruck davon, dass die Wählerinnen und Wähler unzufrieden sind und Veränderung wünschen. Diese Signale müssen die Parteien erkennen und den Menschen durch ihren Beitrag im politischen Prozess zeigen, dass sie diesen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger mitgestalten.»
MARTIN FRANA, PRÄSIDENT FDP MÖHLIN
«Müssen uns noch mehr Mühe geben»
«Auf Gemeindeebene hat die Tendenz, dass immer mehr Parteilose gewählt werden, nun also auch grössere Gemeinden erfasst. Für mich ist das kein Misstrauensvotum gegen Parteien an sich. Es hängt vielmehr von der Auswahl an Kandidierenden ab. Wären Hans Metzger, Loris Gerometta oder Tommy Freiermuth in einer Partei, wären sie wohl auch gewählt worden. Für die Ortsparteien bedeutet die aktuelle Tendenz in meinen Augen, dass wir uns noch mehr Mühe geben müssen, potenzielle Mitglieder von den Vorteilen einer Mitgliedschaft zu überzeugen.
Eine gewisse Gefahr sehe ich bei der Einflussnahme auf kantonaler Ebene. Die künftigen Gemeinderäte sollten sich überlegen, auf welchen Wegen sie frühzeitig an Informationen kommen, was auf kantonaler Ebene in ihren Ressorts geplant ist und wie sie bei Bedarf auf die kantonale Gesetzgebung Einfluss nehmen können. Diesbezüglich bieten Par teistrukturen und -gremien nicht zu verachtende Vorteile.»
ANDREAS FISCHER, PRÄSIDENT GRÜNE MÖHLIN
Die SVP-Präsidentin Désirée Stutz war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.