«Die Erde schüttelt uns notfalls einfach ab»

  20.03.2022 Gipf-Oberfrick

Rafael Miesch blickt fasziniert nach oben

Hale-Bopp, der Komet mit einem Kern von über 50 Kilometern Durchmesser und mehr Wasser – allerdings in gefrorener Form – als die Ostsee fasst, stand am Anfang seiner Leidenschaft. Die NFZ sprach mit Rafael Miesch aus Gipf-Oberfrick über sein Hobby, die Astronomie.

Simone Rufli

Überwältigend sei es gewesen, als er den Kometen Hale-Bopp von seinem Fenster aus habe beobachten können – überwältigend und faszinierend. Das war vor 25 Jahren. Aus dem 14-jährigen Teenager von damals ist ein 39-jähriger Familienvater geworden – und ein versierter Hobby-Astronom. Von Beruf Chemikant mit Arbeitgeber Syngenta, lebt Rafael Miesch mit seiner Frau und den beiden Kindern in Gipf-Oberfrick. In Muttenz, wo er aufgewachsen ist, habe die Lichtverschmutzung längst Formen angenommen, die ein Fotografieren des Nachthimmels nicht mehr zulasse. In Gipf-Oberfrick, am Freudackerweg hingegen, sei es in der Nacht noch richtig dunkel und damit ideal für sein Hobby.

Ein Hobby, das er mit all seinen Facetten liebt. «So eine Art drittes Kind», sagt er und ist froh, dass seine Frau seine Leidenschaft für die Sternkunde versteht und mitträgt. Und so hat er sich nicht nur die Grundlagen der Astrophysik im Selbststudium angeeignet, sondern auch viele Bücher zur Geschichte der Astronomie gelesen. Über Eratosthenes von Kyrene, der bereits rund 200 Jahre vor Christus in Alexandria aufgrund von Schattenwurf erste Messungen machte zur Bestimmung des Erdumfangs. Über die Erfindung des Fernrohrs (1609), die bedeutenden wissenschaftlichen Gelehrten Galileo Galilei und Johannes Kepler. Zum Verständnis spezieller Messgeräte und zur Himmelsmechanik bis zum Einsatz von Radio- und Weltraumteleskopen – Miesch hat alles aufgesogen und setzt sich mit allem auseinander. Über Bereiche und Themen, die sich ihm nicht im Eigenstudium erschliessen, tauscht er sich gerne mit entsprechenden Spezialisten in Foren aus.

Führungen und Beratung
Miesch ist seit vielen Jahren Mitglied im Astronomischen Verein Basel (AVB). Der AVB betreibt seit Ende 2007 die Sternwarte St. Margarethen auf dem Bruderholz in Binningen. Bis zu dessen Auflösung war die Sternwarte zuvor Teil des astronomischen Instituts der Universität Basel. Für den Verein macht er unterdessen auch Führungen. Um ins All zu schauen, muss Miesch aber längst nicht mehr zur Sternwarte fahren. Er hat zwei Spiegelteleskope und zwei Linsenteleskope bei sich zu Hause. «Und ich habe mich entschieden, Führungen auch hier in Gipf-Oberfrick anzubieten.» Mitzuerleben, was es in einem Menschen emotional auslöse, wenn dieser zum ersten Mal den Saturn aus der Nähe betrachten könne, «das ist schon sehr schön und eindrücklich». Immer öfter kämen auch Leute auf ihn zu, die sich die Anschaffung eines eigenen Teleskops überlegten. «Ihnen biete ich gerne meine Unterstützung an, indem ich sie vor dem Kauf über die Eigenschaften der Teleskope und die Funktionsweise berate.» Der Kauf soll auch deshalb gut überlegt sein, «weil das Hobby nicht ganz günstig ist».

Die Formel 1 der Fotografie
Vor zwölf Jahren hat er mit der Astrofotografie begonnen. Die Sonne, natürlich durch Filter hindurch, Planeten, Galaxien und andere Himmelskörper fotografiert er durchs Teleskop. Was sich einfach anhört, ist hochkomplex. Langzeitbelichtung allein genüge nicht, um die Sujets im All einzufangen. «Das führt zu Strichspuren, wie bei vorbeifahrenden Autos», erklärt Miesch. Der Grund liege in der Erdrotation. «Die muss kompensiert werden, indem man das Teleskop auf die Pol-Achse ausrichtet und die Kamera dann einem Leitstern folgen lässt.» Scheint der Mond zu hell oder windet es etwas stärker, wird mit der besten Technik kein scharfes Bild gelingen. Eine technische Herausforderung. Miesch nickt: «Die Formel 1 der Fotografie.» Bilder, die, wenn sie gelingen, umso mehr begeistern. «Manche kommen mit dem Wunsch zu mir, dass ich eine Aufnahme des Sternenhimmels in der Nacht ihres Geburtstags mache.»

Dem Weltgeschehen entrinnen
Den Sternenhimmel betrachten und den Gedanken freien Lauf lassen, fern aller physikalischen Gesetze. Aus dem Weltgeschehen abdriften. Lässt das der Astronom zwischendurch zu? «Das kommt vor», sagt Miesch und spricht von einer Art Meditation. «Beim Blick in die Unendlichkeit des Alls kann man sich schon die eine oder andere Sinnfrage stellen: Wer bin ich? Was will ich erreichen im Leben? Manchmal genügt es aber auch, einfach nur für eine gewisse Zeit Smartphone, Computer und Nachrichten zu entrinnen.» Zieht es ihn ins All? Miesch schüttelt den Kopf. «Ich meine, der Mensch gehört nicht dort hinauf.» Auf den Mond fliegen, um dann von dort Sonden zu starten, das hingegen mache Sinn, «weil man so nicht jedes Mal zuerst die Erd-Gravitation überwinden muss, aber unser Lebensraum ist die Erde.»

Terraforming nicht angebracht
Eine Erde, die mit dem Blick und der Kenntnis eines Astronomen sicher noch verletzlicher erscheint. «Die Erde hat schon immer alles überstanden. Was wir auch machen, wir tun es für uns, denn notfalls schüttelt die Erde uns Menschen einfach ab.» Terraforming, also den Einsatz von Technologien verschiedener Wissenscha f tsd iszipl i nen, u m ei nen Planeten, einen Mond oder anderen Himmelskörper an menschliche Lebensbedingungen anzupassen, hält Miesch nicht für angebracht. «Zuerst sollten wir die Probleme auf der Erde in den Griff bekommen. Was wir hier nicht schaffen, werden wir auch anderswo nicht bewältigen.»

Die Sache mit den Ufos
Hat er schon Ufos entdeckt? «Nein. Aber ich kann mir schon vorstellen, was für Himmelserscheinungen Menschen manchmal zur Annahme verleiten, sie hätten ein unidentifiziertes Flugobjekt entdeckt.» Dass Astronomie in der Schule nur ganz am Rand gestreift wird, findet er schade. «Ich erlebe bei Führungen immer wieder, wie fasziniert auch anfänglich skeptische Jugendliche sind, wenn sie einen ersten Blick auf die Planeten haben werfen können.» Auch er habe mit den Planeten unseres Sonnensystems angefangen und sich optisch dann immer weiter nach aussen gewagt. Heute richte sich sein Augenmerk mehr auf die Entdeckung einer Supernova, auf das kurzzeitige, explosionsbedingte, helle Aufleuchten eines massereichen Sterns am Ende seiner Lebenszeit. Noch hat er keine gesehen. Auch die Sonne fasziniert ihn, das einzige, was der Astronom tagsüber erforschen kann. «Sonnenflecken beobachten ist interessant.» Macht er Führungen für Einsteiger, fängt er mit «Starhopping» an, indem er von einem Sternbild zum anderen führt und Eselsbrücken verrät, die das Auffinden leichter machen.

Mindestens einmal im Jahr fährt er ins Napfgebiet auf die Ahorn-Alp. Im Gepäck die 30 bis 40 Kilo schwere Ausrüstung. Sein Traumziel: «Namib, die älteste Wüste der Welt in Namibia, das ist eine Art Mekka für Astronomen.»

Weitere Infos auf der Webseite von Rafael Miesch: www.kosmologisch.com oder telefonisch unter 076 503 77 32 oder via E-Mail: kosmologisch@gmail.com


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