«Die Schweiz hat ein Potential für Windkraft»
03.12.2022 WirtschaftDer Rheinfelder Reto Rigassi beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den erneuerbaren Energien. Er ist Verantwortlicher für die Deutschschweiz bei der Schweizerischen Vereinigung für Windenergie und arbeitet für den Trägerverein Energiestadt. Im Interview erklärt er, was es für die Energiewende braucht.
Valentin Zumsteg
NFZ: Herr Rigassi, haben Sie für den Winter schon einen Dieselgenerator und ein Elektro-Öfeli gekauft?
Reto Rigassi: Nein, das habe ich nicht getan. Ich glaube, das braucht es auch nicht. Natürlich ist es aber möglich, dass es beim Gas und Strom eng wird. Die Schweiz hat die letzten 30 Jahren im Bereich erneuerbare Energien zu wenig gemacht, wir waren bei der Photovoltaik und bei der Windkraft lange viel zu zögerlich. Nach der Nutzung der Wasserkraft durch die vorangegangenen Generationen haben wir uns zu sehr ausgeruht. Die jetzige Situation ist eine Folge davon.
Wie beurteilen Sie denn die aktuelle Energiesituation in der Schweiz?
Ich glaube, die jetzige Krise ist auch eine Chance. Niemand bestreitet heute mehr ernsthaft, dass die Zukunft den erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz gehört. Die aktuelle Situation ermöglicht hoffentlich jetzt ein höheres Tempo bei der Umsetzung.
Was muss die Schweiz konkret tun, um von der fossilen Energie wegzukommen und unabhängiger zu werden?
Die Hälfte der Energie wird in der Schweiz für die Wärmeerzeugung gebraucht. Diese muss auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Das passiert bereits zu einem guten Teil: 2021 waren 68 Prozent der neu verkauften Heizungen Systeme mit erneuerbarer Energie – insbesondere Wärmepumpen. Zudem muss sich der Trend zur Elektromobilität weiter verstärken. Da Wärmepumpen und Elektromobilität zusätzlichen Strom benötigen, muss die erneuerbare Stromproduktion stark ausgebaut werden. Hier hat die Photovoltaik das grösste Potential. Sie wird künftig für die Versorgungssicherheit im Frühling, Sommer und Herbst sorgen. Im Winter wird es hingegen knapp mit Photovoltaik. Deswegen braucht es neben der Wasserkraft auch noch die Windenergie. Mit den Wasserkraftwerken und den Speicherseen verfügen wir in der Schweiz über eine ausgezeichnete Ausgangslage für die Energiewende. Wir müssen sie nur nutzen.
Bei der Windenergie ist die Schweiz eines der Schlusslichter in Europa. Im Gebiet Oberhof/Kienberg sind seit vielen Jahren fünf Windräder geplant. Das Projekt ist aber – wie an anderen Orten auch – wegen Einsprachen blockiert. Was sagen Sie dazu?
Auch die Schweiz hat ein Potential für Windkraft. Für die Versorgungssicherheit im Winter ist es wichtig, dass dieses genutzt werden kann. Allerdings wird die Entwicklung bisher durch Gerichtsverfahren sehr stark verzögert. Dies ist auch deshalb problematisch, weil sich die Gerichtsverfahren in der Schweiz in der Regel gegen Projekte richten, welche von der lokalen Bevölkerung befürwortet worden sind. Das Gebiet Oberhof/Kienberg ist ein guter Standort für eine solche Anlage, ich bin optimistisch, dass sie dort gebaut werden kann.
Wie sieht es mit der Geothermie aus, sehen Sie dort Potential?
Geothermie wird in Zukunft sicher wieder zum Thema. Heute setzt man aber auf eine andere Technik, als dies vor ein paar Jahren zum Beispiel im Raum Basel probiert wurde. Heute bohrt man weniger tief und sucht wasserführende Schichten. Dadurch sollten keine Erdbeben ausgelöst werden. Riehen ist mit dieser neuen Technik erfolgreich.
Sie arbeiten auch für den Trägerverein Energiestadt. Dieser versteht sich als Kompetenzzentrum für lokale Energie- und Klimapolitik in der Schweiz. Gibt die aktuelle Situation diesen Anliegen Auftrieb?
Schon heute leben mehr als fünf Millionen Schweizer in einer Energiestadt, also deutlich über die Hälfte. Bei den mittleren und grossen Gemeinden sind wir bereits sehr erfolgreich unterwegs. Immer mehr Energiestädte setzen es sich jetzt zum Ziel, bis spätestens 2050 netto Null CO2-Ausstoss zu erreichen. Sie sind ambitionierter geworden.
Was bringt es einer Gemeinde, wenn sie sich als Energiestadt zertifizieren lässt?
Der Vergleich mit anderen Gemeinden zeigt auf, wo man selber steht. Er bringt die Gemeinden auch auf Ideen, wo sie sich noch verbessern könnten und stellt Hilfsmittel zur Verfügung. Das Label ist ein gutes und wertvolles Instrument, um einen Prozess in Gang zu setzen und diesen optimal zu gestalten. Die Gemeinden, die mitmachen, bleiben auch dabei. Es zählt aber vor allem, was man tut – und nicht unbedingt, ob dies zertifiziert wird.
Wenn Sie das Fricktal betrachten, was könnten die Gemeinden noch unternehmen?
Die Energiestädte setzen es sich zum Ziel, bis 2050 auf dem ganzen Gemeindegebiet klimaneutral zu werden. Bei kleineren Gemeinden ist dies vielleicht schwieriger, weil sie nicht über die nötigen Ressourcen auf der Verwaltung verfügen. Solche Gemeinden könnten aber immerhin beschliessen, dass die Verwaltungen klimaneutral werden. Das bedeutet, dass zum Beispiel die fossilen Heizungen in den gemeindeeigenen Gebäuden ersetzt werden. Das ist auch in kleinen Gemeinden machbar.
Viele Gemeinden setzen auf Holzschnitzel. Ist dies klimatechnisch wirklich so gut?
Holz ist klimaneutral, allerdings ist das Potential beschränkt. Schweizweit können wir maximal 10 bis 20 Prozent der Raumwärme mit Holz abdecken. Der Vorteil bei Holz ist, dass es transportiert werden kann. Abwärme von Produktionsbetrieben kann hingegen nur lokal genutzt werden. Holz soll deswegen primär dort verwendet werden, wo es nichts anderes gibt. In Rheinfelden könnte in Zukunft zum Beispiel auch das Rheinwasser als Wärmelieferant dienen.
Wie sieht es mit der Wirtschaft aus, wo sehen Sie dort Potential?
In der Wirtschaft gibt es sicher weiterhin ein grosses Potential, um energieeffizienter zu werden. Was aber beeindruckend ist: Die Industrie macht bereits sehr viel. Grössere Firmen sind auf gutem Weg. Feldschlösschen zum Beispiel ist wesentlich ambitionierter unterwegs als die Stadt Rheinfelden. Schwieriger ist es für kleinere und mittlere Betriebe, die haben teilweise kaum die nötigen Kapazitäten, um sich mit diesem Thema zu beschäftigen.
Zum Schluss: Was erwarten Sie von jedem einzelnen?
Wer eine fossile Heizung hat, soll diese, wenn möglich, durch eine mit erneuerbaren Energien ersetzen. Beim Autokauf kann sich jeder überlegen, ob er tatsächlich ein eigenes Auto braucht. Wenn ja, dann sollte es eines mit Elektroantrieb sein. Dann kann jeder selber Solar-Storm einkaufen. Wenn man ein Dach hat, das geeignet ist, kann man vielleicht eine Photovoltaik-Anlage erstellen lassen. Und ganz wichtig: der persönliche Konsum. Es macht einen grossen Unterschied, ob man viel fliegt, viel Fleisch isst und zum Beispiel viele neue Kleider einkauft. Es geht hier nicht um Verbote, sondern primär darum, sein Verhalten zu hinterfragen.