«Die Besucher bringen Freude und Abwechslung in den Alltag»

  10.01.2023 Laufenburg

Myrta Zimmermann gibt Einblick in den Besuchsdienst

Seit Bestehen des Besuchsdienstes Regio Laufenburg ist Myrta Zimmermann Leiterin der Koordinationsstelle. Mit der NFZ spricht sie über emotionale Momente, wichtige Regelmässigkeit und Wertschätzung.

Bernadette Zaniolo

NFZ: Frau Zimmermann, warum ist der Besuchsdienst so wertvoll?
Myrta Zimmermann:
Es gibt ganz viele Menschen, die allein sind. In Institutionen werden wohl die pflegerischen Arbeiten übernommen, daneben fehlt aber die Zeit, um sich individuell um die einzelne Person zu kümmern. Der Besuchsdienst beziehungsweise die Besucherinnen und Besucher bringen Freude, Licht und Abwechslung in den Alltag. Dabei ist die Regelmässigkeit wichtig. Die Frau, die ich zurzeit besuche, kann nicht gut sprechen und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Ihre Augen und ihr Gesichtsausdruck widerspiegeln ihre grosse Freude, wenn sie auf unserem «Spaziergang» einen Hund streicheln darf; auch wenn es nur für ein paar Sekunden ist. Natürlich frage ich den Hundehalter immer vorher um Erlaubnis.

Sie sind seit 2010, also seit Bestehen des Besuchsdienstes Regio Laufenburg, Leiterin der Koordinationsstelle. Welche Rückmeldungen haben Sie in all den Jahren erhalten?
Sehr unterschiedliche. Sie kommen von Angehörigen, aus der Bevölkerung sowie aus dem Team. Der Besuchsdienst ist mittlerweile bekannt. Die Angehörigen bedanken sich für die Zeit, die wir den Besuchten schenken. Diese Wertschätzung ist gerade im Freiwilligenbereich sehr wichtig. Die Dankbarkeit ist auch in den vielen Kollekten und Spenden spürbar.

Was war für Sie persönlich der emotionalste Moment?
Es gab ganz viele berührende Momente, sei es von Besucherinnen oder Besuchern oder den besuchten Personen sowie an Super-Visionen. Emotional (lacht) wurde es auch an meiner Antrittsrede; dies jedoch mehr aus Nervosität. Ein besonders emotionaler Moment war vor drei oder vier Jahren. Eine Frau, die ich im Spital besuchte, konnte nur liegen. Es war ein schöner Tag und ich fragte das Personal, ob es möglich ist, dass wir mit dem Bett nach draussen gehen könnten. Der Wind strich durch ihr schütteres Haar und sie schien selig. Der Moment in der Stille da draussen, vor dem Spital-/ Pf legeheim, war speziell. Es gab kein zweites Mal; die Frau starb kurz darauf.

Der regelmässige Erfahrungsaustausch in der Gruppe ist für das ganze Team sehr wichtig, eine grosse Bereicherung und manchmal auch emotional.


«Der Besuchsdienst ist eine Lebensschule»

Die 66-jährige Myrta Zimmermann gibt die Leitung im Mai 2023 ab

Die Pandemie war für den Besuchsdienst eine sehr herausfordernde Zeit. Myrta Zimmermann erzählt, wie kreativ die Besuche - rinnen und Besucher der neuen Situation begegneten, welchen «Rucksack» sie haben sollten und was sie persönlich gereizt hat, die Stelle anzutreten.

Bernadette Zaniolo

NFZ: Corona hat die Menschen, welche schon so sehr einsam sind, noch mehr in die Einsamkeit gedrängt. Wie schwierig war diese Zeit, was konnte der Besuchsdienst trotzdem bieten?
Myrta Zimmermann:
Diese Zeit war sehr schwierig, weil wir viel über die Mimik kommunizieren. 80 Prozent der besuchten Personen haben aufgrund ihres Gebrechens nicht verstanden, weshalb wir Masken tragen mussten oder sie nicht besuchen durften. Einige Besucherinnen gehörten selbst zur Risikogruppe. In dieser Zeit musste jede Besucherin und jeder Besucher individuell mit den Pflegefachkräften nach Lösungen für die zu besuchende Person suchen. Teilweise wurden Karten, Briefe, Zeichnungen oder Päckli an der Pforte abgegeben. Die Besucherinnen waren sehr kreativ und wir haben versucht, den Kontakt aufrecht zu erhalten. Wir sind glücklich, dass es wieder möglich ist, die Gefühle über Lachen und andere Gesten aufzunehmen. Die Nähe hat gefehlt; Berührungen jeglicher Art konnten nicht stattfinden. Auch der Austausch unter uns selbst war in dieser Zeit nicht möglich. Das Ganze hat uns belastet, gefordert und manchmal überfordert.

Im Mai geben Sie die Leitung der Koordinationsstelle ab. Werden Sie weiterhin Besucherin sein?
Ja. Ich mache es gerne. Es ist jedoch an der Zeit, dass die Leitung in jüngere Hände kommt und dass auch Veränderungen möglich sind. Die Aufgaben sind sehr vielfältig. Der Besuchsdienst war hier in der Region vor dreizehn Jahren neu. Ich bin durch den Aufbau und die Arbeiten in den Jahren gewachsen. Der Besuchsdienst ist eine Lebensschule und trotz Freiwilligenarbeit mit Pflichten verbunden. Jeder Besuch sollte individuell vor- und nachbearbeitet werden. Während der ganzen Zeit des Besuchs gilt die Aufmerksamkeit jener Person, die besucht wird.

Wie «rekrutieren» Sie Besucherinnen und Besucher?
Ich habe noch nie jemanden für diese Aufgabe gesucht oder angesprochen. Interessierte melden sich selbst, so zum Beispiel, wenn wieder ein Zeitungsartikel über uns publiziert wurde. Es wäre auch nicht gut, wenn jemand kommt, weil ich oder jemand von uns dies will. Personen, welche sich als Besucherin oder Besucher engagieren möchten, müssen zuerst einen Fragebogen ausfüllen. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht. Am vierteiligen Einführungskurs, welcher von der Reformierten Landeskirche Aargau und von Bildung Mobil (Römisch-Katholische Kirche im Aargau) organisiert und angeboten wird, werden die Besucherinnen und Besucher auf ihre Einsätze vorbereitet. Sie erfahren auch viel über Krankheiten wie Alzheimer und Demenz und den Umgang mit daran erkrankten Personen. Zudem bieten wir den Besucherinnen und Besuchern Weiterbildungsmöglichkeiten. Sehr wertvoll sind auch die Supervisionen «Wegbegleitung». Diese können wir zum Glück vor Ort, in Laufenburg, durchführen. Das ist grossartig.

Weihnachten und Jahreswechsel sind oft für einsame Menschen eine Belastung. Wie kann der Besuchsdienst hier Hilfe geben?
Das kann er nicht. Wir machen die Besuche zu den normal abgemachten Zeiten. In der Institution sind die Bewohner während dieser Zeit betreut und es werden auch Weihnachtsfeierlichkeiten organisiert. Es wären eher die Menschen, die daheim wohnen. Jene Personen, die wir daheim betreuen, sind jedoch eingebettet in ihren Familien.

Was hat Sie seinerzeit bewogen oder «gereizt», sich für die Stelle als Leiterin der Koordinationsstelle zu bewerben?
Ich hatte dannzumal meine Eltern betreut. Auf die Stelle wurde ich per Zufall, durch meine Schwester, aufmerksam. Aber ich habe den Schritt nie bereut, obwohl ich nicht wusste, was mich erwartet. Für den Besuchsdienst, nicht nur für die Leitung, braucht es die vier «M», heisst «man muss Menschen mögen».

Wer kann den Besuchsdienst in Anspruch nehmen?
Jeder Mensch, unabhängig von Konfession, Alter und Geschlecht. Alle, die uns brauchen. Einen Grossteil der Menschen, die unseren Dienst beanspruchen, besuchen wir über Jahre, heisst während fünf, sechs oder sieben Jahren. Da entstehen Beziehungen. Wir machen jedoch keine Jobs wie etwa Haushaltsarbeiten oder Einkäufe.

Welche Kosten entstehen den Personen, die diesen Dienst in Anspruch nehmen?
Der Besuchsdienst ist gratis. Die Besucherinnen und Besucher arbeiten ehrenamtlich, heisst ohne Lohn. Sie erhalten nur eine Kilometerentschädigung. Ihr Engagement würdigen wir durch ein Dankesessen, Weiterbildungen und Super-Visionen. Wir bekommen ganz viele Spenden von Stiftungen und Privaten. Wir sind in sechs Dörfern und vier Institutionen präsent.

Was war vor 13 Jahren die grösste Herausforderung?
Alles! Weil es hier noch nichts solches gab. Ich habe Neuland betreten. Es war «learning by doing», nach dem Motto «mach mal». Die ersten vier Besucherinnen wurden in Möhlin ausgebildet. Zum Glück konnte ich auf einen guten Ausschuss (Vorstand) mit Eva Schütz, Verena Salvisberg, Lisbeth Müller und Silvia Blaser zählen. Machen musste ich es jedoch allein. Ich habe einfach angefangen und bin hineingewachsen. Der Stellenumfang für die Leitung beträgt 15 bis 20 Prozent.

Und wo «drückt» der Schuh heute?
Dass der Besuchsdienst die Warteliste nicht abdecken kann. Wir haben zurzeit acht Personen auf der Warteliste, die besucht werden möchten. Eventuell können wir die Liste ab Januar verkürzen, auf fünf Personen. Wir würden gerne alle berücksichtigen. Der Grossteil der Besucherinnen und Besucher besucht eine Person.

Was für Menschen nehmen den Besuchsdienst in Anspruch?
Das geht von der 30-jährigen MS-Patientin bis ins hohe Alter. Jeder kann sich melden, wenn der soziale Kontakt nach aussen nicht mehr funktioniert. Meistens melden sich die Angehörigen sowie die Leitungen der Alters- und Pflegeheime.

Wie viele Personen nahmen den Dienst vor Corona in Anspruch und wie viele aktuell?
Aktuell sind es 17 Personen, die wir besuchen. Seit Bestehen waren 28 Besucherinnen für den Besuchsdienst tätig und es wurden über 10000 Stunden Freiwilligenarbeit geleistet.

Welche Voraussetzungen muss eine Person mitbringen, die sich beim Besuchsdienst engagieren möchte?
Zeit! Und offen sein für Neues. Man muss die Menschen gerne haben und bereit sein, die Komfortzone zu verlassen sowie sich im Team auszutauschen und sich gegenseitig zu motivieren. Es entstehen schöne Beziehungen und man trifft sich auch ausserhalb von gemeinsamen Zusammenkünften des Teams. Es ist für alle eine grosse Bereicherung.

Wie regelmässig erfolgen die Einsätze und wie viel Zeit pro Einsatz sollten die Besuchenden mitbringen?
Mehrheitlich wöchentlich oder 14-täglich, immer zur gleichen Zeit. Wir haben eine Frau, die 13 Jahre – seit Beginn – als Besucherin tätig ist. Der Zeitaufwand pro Einsatz liegt zwischen ein und eineinhalb Stunden. Eine Stunde ist lang, wenn jemand nicht reden kann. Die Zeit verbringen wir mit Spielen, Gesprächen und Spaziergängen. Wenn dies nicht mehr möglich ist, sitzen wir schweigend daneben, lassen die Besuchten riechen, tasten, schauen oder lesen ihnen aus einem Buch vor. Jeder Besucher und jede Besucherin entscheidet selbst, was er oder sie macht.

Auch nach dem Tod einer Person, die besucht wurde, entscheidet jeder Besucher und jede Besucherin selber, wie lange die Trauerpause dauert, beziehungsweise bis er oder sie wieder bereit ist und auf Besuch geht. Man muss zuerst abschliessen, bevor ein Neubeginn möglich ist.

Sind es eher Personen, die daheim leben oder solche, die in Institutionen wie Alters- oder Pflegeheimen leben, welche den Dienst in Anspruch nehmen?
Mehrheitlich Personen, die in Institutionen leben.

Gab es auch schon Probleme zwischen Institutionen, Besuchenden und solchen, die den Dienst in Anspruch genommen haben?
Ja, jedoch im gesunden, normalen Rahmen. Wir haben ein gutes Einvernehmen und auch eine gegenseitige Wertschätzung. Nichts schwillt im Hintergrund. Es ist nichts, dass mir negativ in Erinnerung geblieben ist.


Der Besuchsdienst

Der Besuchsdienst Regio Laufenburg nahm seine Arbeit 2010 auf. Träger und Gönner sind diverse Einwohner- und Kirchgemeinden, Pro Senectute Aargau, das Gesundheitszentrum Fricktal, der Verein für Altersbetreuung im Oberen Fricktal (VAOF), RPB Baden (Pflegewohngruppe Laufenburg), Stiftungen sowie Private und Firmen. Besucht werden Menschen in Institutionen wie etwa im Alterszentrum Klostermatte (Laufenburg), dem Pflegeheim GZF Laufenburg, dem Haus Rheinblick GmbH Laufenburg sowie der Pflegewohngruppe Laufenburg. Im Jahr 2021 wurden 28 Personen besucht; 24 in Institutionen und 4 privat. Die «geschenkte Zeit» wird mit total 719 Stunden (im 2021) beziffert. Aktuell sind 15 Besucherinnen und 2 Besucher im Einsatz. Der Ausschuss wird von Ursula Jutzi präsidiert. Die Leitung der Koordinationsstelle übernimmt ab Mai 2023 neu Jacqueline Loretan (bz)

www.besuchsdienst-regio-laufenburg.ch, E-Mail: kontakt@besuchsdienst-regiolaufenburg.ch, Telefon 056 247 12 53


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