Von «Hosenträgerparzellen», Bauland- und Bierpreisen
29.01.2023 LaufenburgInterview mit dem Laufenburger Franz Koch
Im Gespräch mit der NFZ blickt der heute 85-jährige Franz Koch auf die Siedlungs- und industrielle Entwicklung im Fricktal zurück. Obwohl sich die Bevölkerungszahl in den letzten 60 Jahren mehr als verdoppelt hat und grösser ist als mancher Kanton, stelle das Fricktal keinen Parlamentarier mehr in Bundesbern.
Interview Bernadette Zaniolo
NFZ: Herr Koch, vor genau 60 Jahren traten Sie im Vermessungs- und kulturtechnischen Ingenieurbüro Hans Meyer in Laufenburg Ihre damalige Praktikantenstelle für den Erwerb des eidgenössischen Geometerpatents an. Sie kamen vom Weltkurort Interlaken ins ländliche Fricktal. Wie haben Sie das erlebt?
Franz Koch: Interlaken war schon damals sehr international. Die Menschen kamen aus der ganzen Welt. Das war hier völlig anders. Im oberen Fricktal gab es extrem viele Kleinbauern. Es gab jedoch für Kulturingenieure sehr viel Arbeit im Vermessungsund Geometerbereich (nach dem Studium braucht es zuerst eine zweijährige Praxis, bevor man das Staatsexamen als Geometer machen kann). Es waren damals «Hosenträgerparzellen» (lacht) und man musste diese zuerst zusammenlegen. Erst dann erfolgte die Grundbuchvermessung. Von Magden bis Schwaderloch/Zeihen gab es über 20 Güterzusammenlegungen. Die letzte Gemeinde, die zurzeit eine Kulturlandzusammenlegung macht, ist Eiken. Anschliessend fanden in allen Gemeinden Grundbuchvermessungen statt, um das Eidgenössische Grundbuch einzuführen. Ich habe die Fricktaler als sehr offen erlebt und die Landschaft ist sehr schön. Seit meinem dritten Lebensjahr bin ich Asthmatiker. Für mich ist das Klima hier dafür besser als in den Bergen, wo körperliche Anstrengungen mich immer gefordert haben.
Gab es dann schon Grundbuchvermessungen?
Laufenburg hatte bereits vor der Einführung des Eidgenössischen Zivilgesetzes anno 1912 eine Grundbuchvermessung, dies wegen dem Kraftwerkbau. Eiken und Gansingen hatten sich vor hundert Jahren für die Grundbuchvermessung entschieden. Bald merkte man aber, dass es keinen Sinn macht, die Hosenträgerparzellen zu vermessen. Der Güterregulierungsboom begann nach dem 2. Weltkrieg. Die Landwirtschaftlichen Aussiedlungen prägten neu das Landschaftsbild.
Wie erlebten Sie die industrielle Entwicklung im Sisslerfeld?
Anfangs 1963, als ich ins Fricktal kam, fand die Industrielandumlegung im Sisslerfeld statt, welche wir mitentwickelt haben. Damals gab es im Sisslerfeld einen Flugplatz. Da die Roche das Land bis zum Fricktalerhof kaufte, wurde der Flugplatz nach Schupfart «verlegt». Die Firmen Roche und Ciba erschlossen das Land damals selber. Die Gemeinden Stein und Sisseln hatten kein Geld. Jetzt soll Eiken elf Millionen Franken für die Erschliessung zahlen? Ich glaube, ich darf behaupten, dass heute niemand noch mehr über die Entwicklung im Sisslerfeld weiss als ich.
In den vergangenen 60 Jahren sind auch die Baulandpreise gestiegen. Wieviel betrug der Quadratmeterpreis damals und wieviel betrug der Monatslohn eines «durchschnittlichen» Arbeitnehmers?
1964 hat man in Gansingen für einen Quadratmeter Bauland fünf Franken bezahlt, heute wohl um 400 Franken. Ich ziehe gerne den Vergleich mit dem Bier. 1963 kostete ein Becher Bier 40 bis 45 Rappen, heute wohl vier Franken und mehr. Extrem war die Entwicklung der Industrielandpreise mit damals 50 Rappen bis zwei Franken. Kürzlich hat der Staat Aargau 340 Franken bezahlt. Bis 1972 – bei Einführung des kantonalen Baugesetzes
– hatten nur Laufenburg, Rheinfelden und Stein meines Wissens eine Bauordnung. Nach der Einführung des kantonalen Baugesetzes durfte nur noch baureifes Land bebaut werden. Auch gab es erst ab 1971 ein eidgenössisches Gewässerschutzgesetz. Dieses hat die Baulandpreise erhöht. Früher genügte ein Feldweg zur Erschliessung. Der Begriff der «Mehrwertabschöpfung» verlangt heute für planerische Aufwertungen zusätzlich auch noch neue Steuerabgaben. Früher wurde meistens im Stundenlohn entlöhnt. Ein Hilfsarbeiter auf dem Bau verdiente damals zirka 1.15 Franken; ein Gelernter 2.50 Franken. Viele Bauern hatten ein Zweiteinkommen. Als Praktikant habe ich vor 60 Jahren 1000 Franken monatlich erhalten; danach als Ingenieur-Geometer 1400 Franken.
Wie entwickelte sich das Siedlungsgebiet in dieser Zeit?
Ja, das war ganz verrückt. Es entstanden Hunderte von Bauten, nach Einführung des kantonalen Baugesetzes. Aber bereits in den 60er-Jahren war eine grosse Zuwanderung aus Basel ins untere Fricktal wie Magden oder Möhlin bemerkbar, wo diese Leute ihre Einfamilienhäuser bauten. Auch Frick – als Beispiel im oberen Fricktal – entwickelte sich. In den letzten zirka zehn Jahren war das Wachstum exponentiell, früher verlief es linear. Auch wurde früher Bauland als Alters- und Gesundheitsreserve angeschaut. Jetzt müssen die eingezonten Gebiete innert 15 Jahren überbaut werden, sonst wird das Land wieder ausgezont.
Und die Bevölkerungsentwicklung?
Die Bevölkerungszahl im Fricktal hat sich mehr als verdoppelt. 1963 wohnten 38 000 Personen hier, heute sind es 83 000. Dennoch haben wir – im Gegensatz zu Glarus, Schaffhausen oder Jura – keinen Parlamentarier in Bundesbern mehr (schmunzelt).
Glauben Sie, dass die digitale Entwicklung der letzten Jahre die Vermessungsarbeit zwar verbessert, gleichzeitig aber tendenziell stressiger gemacht hat?
Ja, die Kunden sind nicht mehr gleich geduldig wie früher. Diese Entwicklung war natürlich auch exponentiell gestiegen. So gab es früher keine Scanner, Plotter oder Drohnen.
Vom Acht-Mann-Betrieb zur KMU
1963 trat Franz Koch ins Ingenieurbüro von Hans Meyer in Laufenburg ein; damals beschäftige das Büro acht Mitarbeiter. Elf Jahre später wurde Koch zum Partner und als er 1980 Kreisgeometer des Bezirks Laufenburg wurde, konnte er das Büro als Alleininhaber übernehmen. 1994 wurde Sohn Christoph mit drei weiteren Mitarbeitern in die Partnerschaft aufgenommen und sie gründeten zusammen die Kommanditgesellschaft KOPA (die Gruppe zählt heute mehr als 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter). Im Alter von 70 Jahren trat der Familienvater (er hat einen Sohn, zwei Töchter und mittlerweile neun erwachsene Enkelinnen und Enkel) aus der Firma aus. (bz)
Zwei Episoden
Früher waren im sogenannten Interimsregister (Vorläufer des Grundbuches) wohl die Eigentumsverhältnisse festgehalten, entsprechende Pläne mit dem genauen Grenzverlauf fehlten jedoch. Hinzu kam, dass das Eigentum äusserst kleinparzelliert war. Oft kannten die Eigentümer nicht den genauen Ort ihres Grundstücks. So schrieb ein Mann damals an Franz Koch, dass er sein Grundstück im Himmel (Flurname in Schwaderloch) suche. Koch schrieb ihm zurück, er solle sich an den Petrus richten, der kenne die Verhältnisse im Himmel besser!
In bester Erinnerung hat Koch auch das Projekt interkommunale Schmutzwasser-Leitung von Eiken nach Sisseln und dann übers Sisslerfeld und schliesslich über die neue Fridolinsbrücke zur Grosskläranlage in Bad Säckingen. «Bei der Eröffnung des gelungenen Werkes in Bad Säckingen offerierte der damalige Bürgermeister Günther Nufer ein Glas vom gereinigten Abwasser, bevor er dann noch zu einer Flasche Weisswein griff», so Koch schmunzelnd. (bz)