«Jetzt bin ich da, wo mein Herz hinwollte»
24.07.2022 OberhofenIn Oberhofen findet Eveline Gasser einen Ort der Ruhe und Kreativität
Vom Bau ans Schreibpult. Nach 30 Jahren in der hektischen Baubranche lehrt Eveline Gasser nun Achtsamkeit. Kalligrafie sei sehr viel mehr, als schön zu schreiben, sagt sie.
Karin Pfister
Es sind meditative Momente: Wenn Eveline Gasser am Fenster in ihrem Atelier in der alten Spinnerei in Turgi sitzt, auf die Limmat hinunterschaut und kalligrafiert: «So wie der Fluss fliesst, so fliesst auch die Farbe aufs Papier.»
Aufgewachsen ist Eveline Gasser im Zürcher Unterland, danach hat sie viele Jahre lang in Oerlikon gewohnt; seit zwei Jahren ist sie mit ihrem Partner Andre in Oberhofen zuhause. Das ehemalige Bauernhaus mit Holzherd – im Winter beginnt Eveline Gasser ihren Tag immer mit Anfeuern – ist ein Ort der Ruhe und Kreativität. «Ich fühle mich erfüllt und erholt.» Schon alleine die sanfte Fricktaler Landschaft habe eine beruhigende Wirkung. «Ich war früher oft müde, vom Lärm und der Hektik in der Stadt, das ist jetzt weg.»
Zum neuen Lebensgefühl beigetragen, hat auch der Wechsel ihres anstrengenden und hektischen Berufes. 30 Jahre lang war Eveline Gasser im familieneigenen Baugeschäft mit 70 Angestellten in der Stadt Zürich tätig. Sie hat das Handwerk von Grund auf gelernt; hat einst eine Maurerlehre gemacht – «ich wollte wissen, wie es ist, wenn einem bei 5 Grad der Regen in den Nacken läuft» –, eine Hochbauzeichnerlehre und die Bauführerschule absolviert und war dann viele Jahre in der Geschäftsleitung sowie als Bauführerin tätig. Schon länger habe sie gemerkt, dass diese Arbeit ihr emotional nicht mehr entspricht und eines Tages habe sie den Mut gehabt, zu kündigen und zu «fliegen». «So einer Entscheidung geht ein längerer innerer Prozess voraus.» Seit Anfang Juni ist die 51-Jährige mit «flieg-JETZT» als Selbstständige unterwegs. Sie führt die Firma in Turgi zusammen mit ihrer Tochter Jasmin Ambord und Andre Römer. Eveline Gasser bietet unter anderem Kurse für kreatives Schriftenmalen und Coaching nach Byron Katie an. Dafür hat sie verschiedene Ausbildungen absolviert. «Jetzt bin ich da, wo mein Herz hinwollte», sagt sie. Die Flügel ausbreiten und losfliegen; bei diesem Prozess möchte sie ihren zukünftigen Kunden zur Seite stehen.
Entdeckt habe sie das «Schönschreiben» an ihrem 20. Geburtstag, als ihr jemand ein Kalligrafie-Buch schenkte. Früher habe sie hauptsächlich mit Tusch und Feder gearbeitet, heute mehr mit dem Aquarellstift. «Kreatives Schriftenmalen ist viel mehr, als nur schön zu schreiben», erklärt Eveline Gasser. Das ruhige Gestalten von Buchstaben lehre einem Achtsamkeit. Wenn man sich auf das Papier und das Schreiben konzentriere, bleibe wenig Raum für hektische Gedanken. «Kalligrafie ist ein Geschenk für mich selber, weil es mir Freude macht und auch den Beschenkten.» Sie erhalte viele positive Rückmeldungen; gerade in der heutigen Zeit, in der die meisten nur noch Email oder Whatsapp schreiben, sei eine schön gestaltete, handgeschriebene Karte eine riesige Freude für den Empfänger. Eveline Gasser möchte mit dem Schriftenmalen auch den Menschen helfen, ihre Kreativität zu entdecken und ihre Gefühle zu zeigen. «Alles, was in einem drin ist, kann man mit Farbe und Form ausdrücken.»
Die ehemalige Bauführerin glaubt nicht an Zufälle. «Als wir ins Fricktal gezogen sind, habe ich im Internet nach kreativ und Oberhofen gegoogelt und bin auf Rosmarie Müller, die ebenfalls in Oberhofen wohnt, aufmerksam geworden. Sie gibt auch kreative Schriften-Kurse und hat den gleichen Stil wie ich. Wir haben uns gefunden.» Von ihr habe sie auch die Ferienspass-Kurse übernommen. 160 Kinder aus allen drei Ferienspass-Gebieten Frick, Laufenburg sowie Rheinfelden erhielten in den ersten zwei Juli-Wochen einen Einblick in die Schrift-Kunst. «Ich staune immer wieder, mit wieviel Ruhe, Freude und Eifer die Kinder dabei sind.»