Von der Rettungsanstalt zum Schulheim
22.03.2022 Bücher, EffingenDie Geschichte des Schulheim Effingen in Buchform
134 Seiten umfasst die Festschrift, in der Thomas Brodbeck und seine Co-Autorinnen Katharina Moser und Andrea Schüpbach die über 150-jährige Geschichte des Schulheim Effingen würdigen. Am Donnerstag wurde das Werk im Schulheim vorgestellt.
Simone Rufli
Als er vor 30 Jahren in Kontakt mit dem Schulheim kam, habe er gedacht, «frag nie einen Buben, ob es ihm hier gefällt. Jeder Bub möchte doch daheim bei seiner Familie sein», eröffnete Ernst Kistler, Stiftungsratspräsident des Schulheims den Festakt. «Da es aber Situationen gibt, in denen es daheim nicht schön ist, braucht es uns.» Vom Leben im Schulheim aus Sicht jener, die es eben nicht so schön hatten, erzählen im Buch sechs ehemalige Heimbewohner. Mit ihnen wird der Wandel von der «christlichen Zucht» des 19. Jahrhunderts hin zu moderner Sozialpädagogik von heute eindrücklich erlebbar. Die ältesten Portraitierten besuchten das Heim in den 1960er-Jahren. Dass es einst Strafen, Gewalt und Härte gab, kommt in ihren Schilderungen ebenso zur Sprache wie ihre Erinnerungen an schöne Momente sowie die Abkehr von rigiden Erziehungsmitteln und die immer grössere Bedeutung der Wertschätzung. Mit den Worten von Ernst Kistler: «In den vergangenen 156 Jahren änderte alles.»
Eigentlich hätte das Buch eine Festschrift zum 150-Jahr-Jubiläum werden und damit anno 2017 erscheinen sollen. Dass es nun den Zeitraum von 1867 bis 2021 abdeckt, hat ver-
schiedene Gründe; es gab Verzögerungen durch den Umbau des Heims ebenso wie durch den Wechsel in der Heimleitung und später durch Corona. Für die Arbeit am Buch konnten Thomas Brodbeck und seine Co-Autorinnen Katharina Moser und Andrea Schüpbach aufs hauseigene Archiv zurückgreifen, unter anderem auf Festschriften aus früheren Jahren sowie auf das Aargauer Staatsarchiv.
Als Arbeitskräfte eingesetzt
Den Wandel aus Sicht des Historikers beleuchtete am Donnerstag Titus J. Meier, Brugger Grossrat, in seiner Festrede. Möglich gemacht wurde die Gründung des Schulheims im Jahre 1867 durch die Schenkung von 100 000 Franken (entspricht heute rund eine Million) von Anna Elisabeth Meyer-Siegrist aus Brugg. Das Geld bewahrte das Heim allerdings nicht vor schwierigen Zeiten. Jahrelang musste man sich über die angeschlossene Landwirtschaft finanzieren und die aufgenommenen Buben – aus überwiegend ärmlichen Verhältnissen – wurden als Arbeitskräfte eingesetzt.
In jener Zeit sei das Leben in der «Meyerschen Rettungsanstalt für sittlich Verwahrloste» – so der Name damals – von Armut, Härte und Religiosität geprägt gewesen. Erst mit den 1970er-Jahren hätten sich in allen Bereichen moderne sozialpädagogische Konzepte durchgesetzt und die Arbeitserziehung abgelöst. 1955 hiess es «Erziehungsheim Effingen», seit 1975/76 schliesslich «Schulheim Effingen».
Papier contra «Päckli»
Mit einem Stoss Papier in der einen und einem Paket in der anderen Hand machte Schulheimleiter Roger Willen auf ein gravierendes Problem von heute aufmerksam. Viel zu viel administrative Arbeit reduziere die Zeit im Umgang mit den Buben, «von denen jeder ein ‹Päckli› ist, das nicht einfach weitergegeben, sondern geöffnet werden möchte».
Begleitet wurde die Buch-Vernissage durch immer wieder eingeschobene musikalische Präsentationen von Schülern der Musikschule Brugg.