Lob gibt es auch für das Publikum

  22.03.2022 Musik, Rheinfelden

Die Starpianisten Lucas und Arthur Jussen begeistern in Rheinfelden

Sie spielen sonst in Boston, Berlin und Sydney – doch auch auf der kleinen Bühne im Rheinfelder Kurbrunnensaal liessen die Brüder Jussen nichts von der Hingabe ans Klavier vermissen, die sie zu Stars gemacht hat. Publikum und Künstler waren gleichermassen voneinander begeistert.

Boris Burkhardt

Es war nicht nur eine grosse Freude, den Gebrüdern Lucas und Arthur Jussen beim Klavierspiel zuzuhören, sondern besonders auch zuzusehen. Wer am Donnerstagabend im Kurbrunnensaal ganz vorne sass, hatte zwischen den beiden grossen schwarzen Flügeln zwar nur einen der Brüder im Sichtfeld (beim vierhändigen Spiel auf der falschen Seite sogar keinen), hatte dafür aber das Privileg, ganz nah mitzuerleben, mit welcher Konzentration, Präzision und Inbrunst die beiden jungen niederländischen Starpianisten das anderthalbstündige Konzert «Lebensstürme» spielten – sämtliche vier Stücke komplett auswendig, für den gemeinsamen Einsatz immer wieder Blickkontakt suchend, aber streckenweise mit geschlossenen Augen.

Dass Musiker auf diesem Niveau auswendig spielten, sei normal, erklärt nach dem Konzert gegenüber der NFZ Organisator Christoph Müller. Das zeigt aber wiederum, welch hohes Niveau Müller für die Veranstaltungsreihe «Klassiksterne» mit vier Konzerten in diesem Winterhalbjahr nach Rheinfelden bringen kann.

Lucas (1993) und Arthur (1996) Jussen wurden in Hilversum geboren und stammen aus einer musikalischen Familie; seit früher Kindheit, heisst es, hätten sie zusammen Klavier gespielt, bereits in jungen Jahren vor Königin Beatrix. Die Brüder spielten auf den Bühnen in Boston, Philadelphia, Birmingham, Montréal, Sydney, Singapur, Shanghai und in der aktuellen Saison im Konzerthaus Berlin. «Aber die Brüder Jussen spielen oft auch vor kleinem Publikum», erklärt Christoph Müller.

Die vier Stücke des Konzertabends wählte Müller gemeinsam mit den Brüdern aus: «Wir haben versucht, ein gemischtes Programm aus Bekanntem und weniger Bekanntem zusammenzustellen.» Die beiden bekannten und klassischen Klavierstücke waren Mozarts «Sonate D-Dur für zwei Klaviere» (KV 448) sowie Franz Schuberts «Allegro a-Moll für Klavier zu vier Händen» (D 947), das die Brüder vierhändig an einem Flügel spielten.

Passion und Virtuosität
Schuberts Werk stammt aus seinem Nachlass; sein Verleger Anton Diabelli gab diesem «Allegro» den werbewirksamen Titel «Lebensstürme», ein Titel mit dem sich Musikwissenschaftler Peter Keller im Begleittext des Konzerts gar nicht einverstanden zeigt: «Eine turbulente Einleitung findet ihr Gegenstück in der Heiterkeit eines zweiten Themas, von Sturm oder gar Lebenssturm keine Spur.» Ein Urteil, dem man als Zuhörer nicht folgen musste; schliesslich können Stürme, vor allem Lebensstürme, durchaus turbulent und heiter sein. Dieser Meinung war offensichtlich auch Müller, der sie als Titel für den ganzen Abend gewählt hatte: Er beziehe den Titel vor allem auf die Passion und Virtuosität der beiden Künstler.

Die stellten Lucas und Arthur Jussen besonders bei den beiden «exotischeren» Stücken unter Beweis: Bei Maurice Ravels «La Valse – Poème choréographique» flogen die Finger nur so über die Tasten, teilweise in Arpeggi über die gesamte Klaviatur. Ravel hatte «La Valse» 1920 als Ballettmusik ursprünglich für zwei Klaviere geschrieben, für die tatsächliche Aufführung aber noch eine Fassung für Soloklavier verfasst. Am Schluss brachen die Zuhörer in freudiges Gelächter und begeisterten Applaus aus – auch dieses Stück hätte den Titel «Lebensstürme» verdient gehabt.

Die zweite Hälfte des Konzerts war Igor Strawinskys Ballettmusik «Le Sacre du Printemps» gewidmet. An sich durchaus ein «bekanntes» Stück, wie Müller zugibt, sei es aber selten in der Fassung für zwei Klaviere zu hören: «In der Orchesterversion spielen 120 Instrumente.» Tatsächlich schrieb Strawinsky diese Fassung 1912, nachdem er wie damals üblich die Version für Soloklavier als Klavierauszug an die Pariser Ballets Russes geschickt hatte. «Strawinsky hatte Mühe, alles musikalische Geschehen in eine Klavierversion zu packen und entschied sich, zusätzliche eine Fassung für zwei Klaviere zu schreiben», teilt Keller im Begleittext mit. Die musikalische Erzählung über das «heidnische Russland» missfiel dem zeitgenössischen Publikum aufgrund seiner Dissonanzen und scharfen Wechsel von Tempi und Tonlagen.

Das Publikum in Rheinfelden bewies einen modernen Geschmack und belohnte auch diesen Parforce-Ritt der Pianisten mit begeistertem Applaus. Die beiden Brüder zeigten, dass die Wertschätzung gegenseitig war: Ein solches Stück fordere nicht nur die Konzentration der Spieler, sondern auch des Publikums. «Wir spüren sofort, ob das Publikum konzentriert ist; und das waren Sie», sagten die beiden auf Deutsch. Ihre strahlenden Gesichter beim Schlussapplaus bewiesen ausserdem, dass sie tatsächlich auch Auftritte vor kleinem Publikum ernstnehmen und schätzen. Mit der vierhändigen Bach-Kantate «Gottes Zeit ist die allerschönste» als Zugabe verliehen sie dem Abend einen ruhigen und würdigen Abschluss.


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