Abstand vom Alptraum

  29.03.2022 Stein

Ukrainische Geflüchtete finden in Stein ein temporäres Zuhause

Die reformierte Kirche Mittleres Fricktal hat in einer Blitzaktion ihr leerstehendes Pfarrhaus in Stein für ukrainische Flüchtlinge bereitgemacht. Vier Erwachsene und sieben Kinder füllen seit einigen Tagen das Haus wieder mit Leben.

Susanne Hörth

Die drei Ukrainerinnen auf der Terrasse des reformierten Pfarrhauses in Stein lächeln und winken grüssend mit den Händen. Die Ankömmlinge tun es ihnen gleich. Mimik und Gesten genügen, man versteht sich trotz vorhandener Sprachbarrieren. Wie eine verbale Verständigung trotzdem möglich ist, verdeutlicht Andrea Gross. Sie zeigt auf die anwesende Journalistin und tippt auf ihrem Smartphone «Sie ist von der Zeitung» ein. Die Übersetzungs-App sorgt dafür, dass es die drei Ukrainerinnen auf der Terrasse verstehen. Sie nicken zustimmend.

«Nein, von ihnen spricht niemand Englisch. Wir verständigen uns mit Händen und Füssen oder eben über diese App. Und es funktioniert ziemlich gut», lacht Andrea Gross. «Ich muss mir diese App unbedingt auch noch auf mein Handy laden», setzt hier Markus Dutly an. Die beiden gehören dem Kernteam an, welches sich im Namen der reformierten Kirche Mittleres Fricktal um die elf ukrainischen Flüchtlinge – vier Erwachsene und sieben Kinder – im Steiner Pfarrhaus kümmern. «Sie haben uns noch zwei weitere junge Frauen zugewiesen. Doch mit ihnen wäre es zu eng im Pfarrhaus geworden. Die beiden Frauen sind deshalb bei mir und meiner Familie eingezogen», sagt Andrea Gross. Sie unterbricht; auf ihrem Smartphone geht ein Anruf ein. Einer von vielen in diesen Tagen. Dazu kommen Text- und Sprachnachrichten. «Es ist gerade ein Fulltime-Job. Natürlich fordert es einem einiges ab. Wir machen es aber trotzdem sehr gerne, es kommt von Herzen.»

Markus Dutly nickt zustimmend. «Der Krieg in der Ukraine wühlt so sehr auf. Man möchte helfen, etwas tun.» Deshalb hat sich die reformierte Kirche Mittleres Fricktal (Stein, Sisseln, Münchwilen, Mumpf, Obermumpf und Wallbach) entschlossen, das zurzeit leerstehende Pfarrhaus in Stein für ukrainische Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Seit diesem Entscheid sind erst wenige Tage vergangen. Die Meldung an die zuständigen Stellen war kaum erfolgt, als schon eine Mutter und ihre vier Kinder angekündigt wurden. Was dann folgte, bezeichnet Kirchenpflegepräsidentin Barbara Weilenmann als eine Blitzaktion. «Das Pfarrhaus war komplett leer. Nichts war vorhanden.»

Überwältigende Hilfsbereitschaft
Gerade einmal drei Tage blieben, um das Benötigte zu beschaffen. Zwischenzeitlich waren bereits die nächsten sechs Geflüchteten gemeldet worden. «Die Hilfsbereitschaft ist überwältigend. Auf unseren Aufruf für Möbel, Ausstattungsartikel, Kleider, Spielsachen und noch vielem mehr haben sich ganz viele Leute gemeldet», freut man sich beim Kernteam. Die kurze Zeit galt es dann zu nutzen, um das Haus einzurichten. Auch die geflüchteten Frauen packten vom ersten Augenblick mit an. «Mittlerweile sind sie gut angekommen», sagt Dutly. Er zeigt auf ein Hochbeet neben der Terrasse. «Eine der Ukrainerinnen ist gelernte Gärtnerin. Sie hat bereits damit begonnen, Blumen zu pflanzen.»


In die Aufgabe hineinwachsen

Die reformierte Kirche Mittleres Fricktal hat in einer Blitzaktion das leerstehende Pfarrhaus in Stein für ukrainische Flüchtlinge bereitgemacht. Mittlerweile sind vier Erwachsene und sieben Kindern eingezogen. Betreut werden sie von einem Kernteam der reformierten Kirche Mittleres Fricktal. Zu diesem Team gehören auch Andrea Gross und Markus Dutly. Von den Geflüchteten spricht niemand Deutsch, auch nicht englisch, erzählen sie. Die Kommunikation erfolgt in erster Linie über Sprach-App. Dass der Austausch trotz Sprachhindernisse ziemlich gut funktioniert, erfahre er bei einem Kaffee oder einem gemeinsamen Essen mit den Geflüchteten immer wieder, betont Markus Dutly. Andrea Gross nickt zustimmend. Die bei der Ankunft der Journalistin noch anwesenden drei Ukrainerinnen haben sich zwischenzeitlich verabschiedet. Sie sind mit den Kindern unterwegs zu einer Kleiderabgabe. «Die Mutter und ihre vier Kinder hatten bei ihrer Ankunft nur einen kleinen Koffer dabei», blicken Andrea Gross und Markus Dutly der Gruppe hinterher. Natürlich gebe es viel zu tun. «Man wächst schnell in die Aufgabe hinein», betonen beide: «Uns geht es so gut hier. Wir sind einfach froh, dass wir etwas tun und den Flüchtlingen hier bei uns etwas Abstand vom erlebten Alptraum ermöglichen können.» Sie setzen hier zudem an, dass viele Leute mithelfen und so die Arbeit rund um die umfassende Betreuung inklusive Administration auf mehreren Schultern verteilt wird. Auf Unterstützung, insbesondere finanzieller Art, sei man natürlich immer froh. Alles kommt den Geflüchteten zugute.

In Stein sind bereits zahlreiche ukrainische Flüchtlinge durch die Gemeinde, bei Privaten und eben auch bei der reformierten Kirche Mittleres Fricktal untergekommen. Um Synergien zu nutzen, das Netzwerk noch mehr zu vergrössern, findet in den nächsten Tagen mit allen Beteiligten eine erste Koordinationssitzung statt. (sh)


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